Persona Grata / Reaching Places High Above
Reaching Places High Above Spielzeit: 47:04
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2014
Stil: Prog Metal

Review vom 09.02.2014


Boris Theobald
Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" dauert so um die sechzehn Stunden, ist zuweilen ziemlich anspruchsvoll und progressiv. "Reaching Places High Above" ist auch ganz schön anspruchsvoll und progressiv. Und dauert ... Moment mal - gerade mal eine gute dreiviertel Stunde? Tatsache. Die gefühlte Länge stimmt nicht ganz mit dem überein, was die Anzeige im Display hergibt. Dies ist das Empfinden, mit dem man die Veranstaltung verlässt: beeindruckt, aber auch ganz schön fix und foxy. Vielleicht nicht arg so doll wie nach sechzehn Stunden Wagner (vermutlich). Zu Beginn präsentieren sich die Slowaken von Persona Grata (cooooler Bandname!) auf ihrem Debütalbum durchaus einladend, machen dem sensationslustigen Prog-Banger viel Lust und befriedigen diese auch alsbald ... mit einem zunehmenden Hang zur Überdosierung.
Fangen wir an: "Ace". Ein Klaviertremolo nähert sich und entfernt sich. Eine Querflöte kommt hinzu, plötzlich monumentale Gitarrenriffs und verrückte Screams. Yeah, baby! Ein interessantes vom ersten Hören an attraktives Gitarrenthema wird vorgestellt - irgendwie simpel, aber doch vielschichtig. Diese Melodie wird die kommenden Minuten prägen und immer wieder auftauchen, anstelle eines klassischen Gesangs-Refrains. Das Instrumentale steht im Vordergrund. Wobei auch die Stimme nicht von schlechten Eltern ist. Nach zwei Minuten setzt zu relaxtem Drive mit akustischer Gitarre Martin Stavrovský mit cool in sich ruhendem Gesang ein - und doch merkt man gleich, dass da viel Energie schlummert, die dringend noch raus will. Bald wird klar: Der Mann ist auch höhentauglich und kann es explosiv.
Muss er auch, denn kleine und große Explosionen gehören hier dazu. Es vergeht kaum eine Minute, die ohne Affixoide wie 'Psycho-' oder 'Speed-' zu beschreiben wäre. Zumindest braucht man immer mehr extremes Vokabular, je länger die Spieldauer der CD fortschreitet. Schon der Opener "Ace" lässt erahnen, was diese Truppe technisch drauf hat. Bei der Wahnsinns-Keyboard-Frickel-Arie im Opener mit anschließender Parallelbefriedigung mit E-Gitarre staunt man nicht schlecht. Da ist viel Dream Theater dabei. Jordan Rudess war ganz bestimmt ein prägendes Vorbild, auch was den Sound angeht. Außerdem diverse Gitarrenhelden. Tolles Teil, dieses "Ace", mit einem gewaltigen Flow und stets pochenden Puls, ein proggiges Sahnestück!
Das folgende "Edge Of Insanity" packt fünf Minuten Spielzeit drauf - mehr als zwölf Minuten auf die Zwölf. Nein, in die Zwölf. Persona Grata fordern das Hirn. "Edge Of Insanity" pendelt hin und her zwischen sonniger Leichtigkeit und Hightech mit dem Bulldozer. Na, der Name für das Teil passt ja schon mal! Leichtfüßig-melodisch geht es los. Jana Vargovás Querflöte bringt, wie so oft auf dem Album, einen Hauch von Retro Prog ins schwermetallische Umfeld - übrigens ebenfalls technisch großartig; die Frau hat eine klassische Ausbildung an ihrem Instrument genossen. Und dann wird es zum ersten Mal abgedreht: »Tic-toc, tic-toc ...« (nein, nix Metallica) - und nun könnte man glauben, die Band habe einen großen weißen Hasen auf Koks gesehen ...
... der Psychotrip mit irrwitzigen Rhythmen und abgedreht-kurzatmigen Wechseln in Melodie und Harmonie passt zum Konzept und erinnert ein wenig an Dream Theaters "Six Degrees Of Inner Turbulence". Zeitweise klingt das wie 'Watchtower meets FloKis'. Technisch sagt die Band richtig laut hallo - so manche Schlagzeugpassage über wildem Poser-Gefrickel reicht bei anderen Bands für ein komplettes Solo! Und im nächsten Moment schüttelt die Band dann wieder alle Spannung ab und lässt es zu, dass der Hörer mal per Stoßlüftung seine strapazierten Synapsen revitalisiert (das ist dann aber auch nötig). In diesen lyrischen Momenten überzeugt Jana Vargová als zweite Stimme - allein und zusammen mit Martin Stavrovsky.
Bis dahin ist auf "Reaching Places High Above" alles super bis (grenz-)genial - spätestens beim zweiten, dritten Hördurchgang, den hier selbst geübte Proggos schon mal brauchen. Aber nun muss man als Hörer zunehmend Nerven wie Gitarrensaiten (aka Drahtseile) mitbringen. Atmosphärisch stimmig eingeleitet von "Istanbul" setzen Persona Grata den rein instrumentalen "Orient Express" aufs Gleis. Was für ein Hirnf%@~§! Das Tempo, in dem diese Ausnahmekönner hier frickeln und solieren und kreieren und changieren .. man könnte zuweilen glauben, die Nummer werde in 1,5-fachem Tempo abgespielt. Wird sie aber nicht. Wir glauben an die slowakische Redlichkeit und bewundern Bratislavas Fingerfertigkeit.
Besonders Keyboarder Adam Kuruc lässt einem den Atem stocken. Schön wäre es allerdings gewesen, ab und zu mal atmen zu dürfen! So beeindruckend die Chose auch ist - das Talent geht mit der Gruppe all zu oft durch. Hier kann man alle paar Takte hören, wie Medikamente aufhören, zu wirken ... Nach "Orient Express" folgt ein ganz und gar okzidentalisches Zwischenspiel: "Venice" ist eine barocke Cembalo-Studie. Der dicke Brocken, jetzt wieder mit (männlichem und weiblichem) Gesang, folgt am Ende: eine knappe viertel Stunde "I Am You". Mit diesem Longtrack loten Persona Grata komplexe Spannungsfelder zwischen Pianorauschen und Prog-Avantgarde aus, zwischen Fantasyfilm und Schock-Thriller. Beeindruckend im Detail - aber schwer erkennbar als großes Ganzes.
Das hat zur Folge, dass das Debütalbum der Band nach kurzweiligem Beginn trotz ausnahmslos großer Klasse am Ende länger und länger wird. Nervenstärke ist gefragt - besonders für die letzteren Brocken auf "Reaching Places For Above" gilt das noch nach vielen Hördurchgängen. Ich will damit nicht sagen, dass eine so ambitionierte und hochtalentierte Prog-Kappelle auf kurze und kompakte Kompositionen umschwenken soll. Aber etwas mehr Raum, damit sich all die musikalischen Exquisitäten zu echten Earcatchern entfalten können, täte manchmal gut. Live ist die Band bestimmt eine Wucht, wobei inzwischen Matej Miklos und Peter Luha Keyboarder Adam Kuruc bzw. Sologitarrist Martin Huba ersetzt haben.
'Mensch, was hast du dir denn eingeschmissen?' dürfte die Frage an so manchen geflashten Hörer nach 47 Minuten "Reaching Places High Above" sein. 'Na, Persona Grata!', lautet dann die Antwort ...
Line-up:
Martin Stavrovský (vocals, guitar)
Jana Vargová (flute, vocals)
Martin Huba (solo guitar)
Adam Kuruc (keyboards)
Ján Šteno (drums, percussion)
Timo Strieš (bass guitar)
Tracklist
01:Ace (7:03)
02:Edge Of Insanity (12:18)
03:Istanbul (2:55)
04:Orient Express (9:31)
05:Venice (1:05)
06:I Am You (14:11)
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