Musik wirkt wie eine Droge. Und so mancher Heavy Metal-Süchtling erinnert sich beim Gedanken an Michael Kiske noch immer an die schlimmen Entzugserscheinungen Anfang der 90er Jahre, verließ mit der einst so markanten Helloween-Stimme doch ein Garant für glückserfüllte Rauschzustände nicht nur seine damalige Band, sondern auch gleich die Bühne des Heavy Metal.
Dafür lässt der Ex-Kürbiskopf aber inzwischen das Herz des Melodic Rock-Fans höher schlagen - spätestens seitdem Kiske dem Frontiers-Projekt Place Vendôme erstmals seine Stimme lieh. Es war schon 2005 ein bemerkenswertes Debüt, mit dem man problemlos über dem Genre-Mittelmaß landete: Eine Handvoll Spitzensongs und rundherum grundsolide Füllmasse. Anfang 2009 ist Zeit für den Nachfolger - und ganz nebenbei eines der vollkommensten AOR-Meisterwerke seit langem!
Wo soll man mit dem Lob für so ein rundum gelungenes Rockalbum anfangen? "Streets Of Fire" widerlegt so viele Klischees über ein scheinbar abgedroschenes Genre der zahnlosen Rock-Musik für nostalgische ewig Gestrige. "Streets Of Fire" geht ins Herz und bleibt im Kopf. Und "Streets Of Fire" rockt!
Gleich der Titeltrack zu Beginn des Albums bringt Musiksüchtige auf den richtigen Trip. Ein wuchtiger Nach-vorn-Rocker mit doppelter Schubkraft - eine gar nicht im Hintergrund versteckte Rhythmusgitarre und eine Leadgitarre mit einer Hookline, die sich sofort in die Gehörgänge einbrennt. Dazu technisch überraschend großes Kino mit tighten Gitarrenläufen. Und Soli zum Stillhalten und Staunen.
Die dafür verantwortliche Instrumentalfraktion ist die selbe wie auf dem ersten Album: Dennis Ward, Kosta Zafiriou und Uwe Reitenauer von Pink Cream 69 und Günter Werno von Vanden Plas. Gerade Günter Werno als kreativer Tasten-Vollprofi gibt der Musik noch mal einen Schub, der vielen AOR-Scheiben fehlt, bei denen einfach nur ein paar Schmalz-triefende Keyboardteppiche ausgerollt werden. Lyrische Klaviermelodien antizipieren Musical-haft die Hooklines der Gitarren; und die kraftvollen Refrains werden mit wohl überlegten Streichermelodien veredelt. Mit Wernos persönlicher Handschrift entstehen unglaublich intensive, zeitlose Atmosphären, die tatsächlich hin und wieder an Vanden Plas erinnern.
Und doch - auch diese Place Vendôme ist eben keine Droge für Metal-Süchtige, sondern viel mehr ein Rauschmittel für all jene, die den Verlockungen von Survivor, Asia, Bon Jovi oder Joe Lynn Turner verfallen sind. Und wer diese Bands liebt und sich Michael Kiskes Stimme im Reich des melodischen Rocks nicht vorstellen kann, der verpasst etwas wirklich Großes. Kiske singt bei weitem nicht derart am Anschlag wie einst bei Helloween. Doch auch gerade in gemäßigteren Lagen entfaltet diese Stimme eine beinahe hypnotisierende Bannkraft, überzeugt mit einer sagenhaften Technik und nicht zuletzt eben doch mit ein paar Gänsehaut erregenden Tonhöhen.
Nicht zuletzt die Vielseitigkeit von Kiskes Stimme macht auch das ganze Album so abwechslungsreich. Als einfach gestrickte, verträumte Ballade startend, jagt einem "Completely Breathless" Schauer über den Rücken, wenn der Gesang den Refrain am Ende per Kopfstimme in höhere Sphären davonzutragen scheint. Und dann ein Song wie "Set Me Free": eine niedergeschlagene Stimmung, Klavier und ganz tiefer Gesang. So hat man Kiske noch nicht gehört - ein grandioses, emotionales Hörspiel, explodiert der Song doch förmlich im nächsten Moment in einen opulenten, bombastischen Chorus.
Es ist die unverkennbare Stimme Michael Kiskes, welche die Musik in höhere Sphären hievt - doch erst das hochklassige Songwriting treibt "Streets Of Fire" so nah an die Perfektion. Ob es die extrem dynamischen Positiv-Ohrwürmer "Follow Me", "Believer" oder "Changes" (positive Energie im Megajoule-Bereich!) sind oder die breitwandig pulsierenden Stadionrock-Nummern im Journey-Stil, "Surrender Your Soul" und "Changes", oder die sehnsuchtsvolle Ballade "I'd Die For You" - zum Heulen schön mit plötzlicher, bombastischer Keyboard-Hardrock-Infusion à la Foreigner - jeder der zwölf Songs hat sein ganz eigenes Feeling.
Im Fall von "Valerie (The Truth Is In Your Eyes)" ist es das umwerfend authentisch getroffene Gefühl von Toto zu Zeiten von Fergie Frederiksen oder Joseph Williams. Auch das Songwriting würde man, wenn man es nicht besser wüsste, David Paich und Steve Lukather zuschreiben. Der Quantensprung von der sehr guten ersten "Place Vendôme" zur strahlenden "Streets Of Fire" hat sicher auch damit zu tun, dass die Songschreiberei dieses Mal in so viele verschiedene gute Hände gelegt wurde: Torsti Spoof ( Leverage), Ronny Milianowicz ( Saint Deamon) und Robert Säll ( Work Of Art) sind allesamt über sich hinaus gewachsen!
"Streets Of Fire" ist eines der abwechslungsreichsten, mitreißendsten, zeitlosesten, bestkomponierten und bestinterpretierten Genre-Werke der vergangenen Jahre. Ob nostalgische Helloween-Jünger jedoch mit Place Vendôme ihre Sucht befriedigen können, das darf bezweifelt werden. Für Kürbisköpfe handelt es sich allenfalls um ein Drogenersatzpräparat - für Melodic Rock-Liebhaber ist es eine Wunderdroge!
Line-up:
Michael Kiske (vocals)
Uwe Reitenauer (guitar)
Dennis Ward (bass)
Günter Werno (keyboard)
Kosta Zafiriou (drums)
Tracklist |
01:Streets Of Fire
02:My Guardian Angel
03:Completely Breathless
04:Follow Me
05:Set Me Free
06:Believer
07:Valerie (The Truth Is In Your Eyes)
08:A Scene In Reply
09:Changes
10:Surrender Your Soul
11:Dancer
12:I'd Die For You
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