Stuttgart, Anfang Juli, ein wunderschöner Sommertag. Was hätte angenehmer sein können, um den Pogues auf ihrer Abschiedstour ein letztes Mal 'Auf Wiedersehen' zu sagen? Nachdem die Sonne den Tag über ziemlich erbarmungslos den Wunsch nach alkoholfreien, kohlesäurehaltigen Getränken heraufbeschworen hatte, war der Abend so angenehm und die Stimmung so freudig aufgeregt wie (aufgrund des Abschieds) melancholisch aufgeladen, dass es einfach nach dem ein oder anderen kühlen Bier schrie. Nach Betreten der Freilichtbühne Killesberg dann ein weiterer Wermutstropfen, denn obwohl das für Konzerte sehr gut angelegte Gelände prächtig gefüllt war, war es nicht ausverkauft. Schade für die Band, aber wenigstens angenehmer für alle Fans und Schaulustigen, die sich dennoch eingefunden hatten.
Bereits seit Jahren ist das Prozedere am Killesberg so, dass um Punkt 22.00 Uhr Feierabend sein muss, was zwangsläufig einen pünktlichen Beginn der jeweiligen Show voraussetzt. Grundsätzlich kein Fehler, der aber zu Lasten einer eventuell anzubringenden Light Show und des beim Rock'n'Roll so geliebten 'Nacht'-Gefühls geht. Aber um ehrlich zu sein, spielte solch ein Nebenaspekt an diesem Abend keine entscheidende Rolle, denn mindestens 90 % des anwesenden Publikums war erschienen, um dieser irisch/englischen Band, die ihre größten Erfolge Ende der Achtziger feierte, die letzte Ehre zu erweisen bzw. ein letztes Mal deren Hymnen abzufeiern.
Nicht wirklich überraschend ging es mit den Songs "Streams Of Whiskey" und "If I Should Fall From Grace With God" los, die aber (sowohl in der Vergangenheit wie auch an diesem Abend) ein perfektes Eröffnungs-Duo bildeten und die ersten zehn Zuschauer-Reihen bereits in wilde Pogo-Wallungen versetzten. Bereits ab diesem Zeitpunkt war der Ton des Abends und die insgesamt sehr gute Stimmung im Publikum gesetzt. Nach den ersten paar Tracks nahm sich ein sehr aufgeräumt wirkender Shane MacGowan eine kleine Auszeit und übergab das Mikro an Spider Stacy, der den nach wie vor hammergeilen Song und damaligen Hit "Tuesday Morning" - vom ersten Post- Shane-Album Waiting For Herb (1993) - zum Besten gab.
Es war die Abschieds-Tour, von dem her wurde selbstverständlich eine 'Best of'-Setlist geboten. Zumindest fast, denn mit "The Band Played Waltzing Mathilda" und (der Single B-Seite) "London Girl" waren auch zwei richtige Überraschungen im Programm. Zwei Tracks, die sicherlich nicht jeder der etwa 5.000 Anwesenden kannte, das Herz des Rezensenten aber noch einmal so richtig erfreuten. Von den Alben "Peace And Love" und "Hell's Ditch" kam mit "Boat Train" und "Sunny Side Of The Street" jeweils nur ein Stück zum Einsatz, der Fokus lag ganz klar auf den ersten drei Alben, wobei "Rum, Sodomy And The Lash" (1985) und "If I Should Fall From Grace With God" (1988) die Nase vorne hatten.
Und wie - wenn man auch nur ein minimales Faible für diese Musik hat - kann man sich der Power, der Magie, der herausgeschrienen Lebensfreude, der Trauer und des allgemein geballten Feelings von "The Sickbed Of Cuchulainn", "Bottle Of Smoke", "Thousands Are Sailing", "The Body Of An American" oder "Sally MacLennane" auch entziehen? Unmöglich!! Aber auch bei den ruhigeren Stücken wie etwa "Lullaby Of London" oder "Dirty Old Town" war die Stimmung großartig und (mindestens) mehrere hundert Kehlen stimmten mit dem Überlebenswunder Shane MacGowan ein. Zwischendurch lieferte Phil Chevron noch gekonnt den Gesang zum bereits erwähnten "Thousands Are Sailing". Yeah, Baby!!!
Aufgrund meines Ausflugs in die pogende Meute lässt mich mein Erinnerungsvermögen im Stich, ob es sich beim gespielten Instrumental um "The Battle Of Brisbane" oder "Repeal Of The Licensing Laws" handelte. Nachdem bereits mehrere Zugaben performt waren, wurde als letzter Song des Abends noch einmal "Fiesta" zelebriert, bevor Shane MacGowan und die komplette Band sich ein letztes Mal verabschiedeten. Leider war dann zu diesem Zeitpunkt auch bereits die 22.00 Uhr-Grenze erreicht und wer blecht schon gerne Konventional-Strafe, wenn man mit dem Programm sowieso schon durch ist?
Von den Live-Highlights vergangener Zeiten kamen lediglich "Turkish Song Of The Damned", "Summer In Siam", "Rain Street", "Streets Of Sorrow/The Birmingham Six" oder "Sayonara" nicht zum Einsatz Aber gut, man kann nicht alles haben. Dass der größte Hit der Band, "Fairytale Of New York", als Weihnachts-(Knast-) Lied im Hochsommer nicht gespielt wurde, war von vornherein klar, aber dafür entschädigten dann hochemotionale Versionen von "Broad Majestic Shannon" und "A Rainy Night In Soho".
Die komplette Band war an diesem Abend in perfekter Verfassung. Aus der Meute gab es vor allem laute Anfeuerungsrufe in Richtung Shane MacGowan und Spider Stacy (der mit seinem Kopf und einem Blech-Tablett für zusätzliche Percussion sorgte) zu vernehmen und die komplette Show kann als hundertprozentiger Erfolg gewertet werden. Erwartungsgemäß gab es vor dem Konzert auch wieder mindestens ein halbes Dutzend Leute, die einen komplett betrunkenen Lead Sänger gesehen haben wollen (gähn!), aber die sollten dann spätestens während der Show eines Besseren belehrt worden sein.
Sollte dies tatsächlich das Ende einer Band gewesen sein, die mich seit über zwanzig Jahren begeistert und sowohl musikalisch wie auch lyrisch in ihren Bann gezogen hat, dann ziehe ich hier und jetzt meinen (imaginären) Hut und zolle ein (vielleicht) letztes Mal meinen ganzen Respekt! The Pogues waren einer der wenigen (neuen) musikalischen Rock-Lichtblicke der achtziger Jahre und sind mit ihren Songs unsterblich geworden. Rest in peace, brothers, we won't forget!
Und wer weiß, die Rolling Stones haben ihre erste Abschieds-Tour auch bereits 1977 gespielt. Möglicherweise ist also noch nicht aller Tage Abend!
Line-up:
Shane MacGowan (lead vocals)
Spider Stacy (tin whistle, lead and background vocals, beer tray)
Jem Finer (banjo)
James Fearnley (accordion)
Phil Chevron (acoustic guitar, lead and background vocals)
Terry Woods (mandolin)
Darryl Hunt (bass)
Andrew Ranken (drums)
Externer Link:
|