Portugal. The Man / Evil Friends
Evil Friends Spielzeit: 48:27
Medium: CD
Label: Atlantic Recording Corporation, 2013
Stil: Alternative Rock/Indie

Review vom 04.07.2013


Grit-Marina Müller
Zeiten sind das... einfach zum Heulen... Selbst Höllenvorstand Diavolo - eigentlich hitzebeständig und feuererprobt - laboriert am ausgewachsenen Burnout und weint nur noch dicke Krokodilstränen. Jedenfalls der Einschätzung von Portugal. The Man nach zu urteilen, die den armen Teufel auf dem Cover ihres neuen Werks auch noch mit dem Handicap zweier Zungen versehen - ein wiederum alltägliches, sehr menschliches Phänomen, das einem unter Umständen, unter vielen Umständen wahrscheinlich, das Leben schwer macht.
Portugal. The Man weisen auf die doppelzüngigen Gefahren hin, an allgegenwärtigen Beispielen:
Es sind "Evil Friends", wie sie ihr drittes offizielles Band-Kapitel nennen, böse Freunde, tückischer als schlimmste Feinde, vor denen man sich hüten muss, und es sind "Plastic Soldiers", Karikaturen blind-gehorsamer Weltarmeen, die dem Wahn grandioser Dummheit folgen, und es lauert der "Modern Jesus" überall, mit Glücksversprechen zum mitnehmen… Heiland to go, an jeder Ecke.
Den trügerischen Verlockungen begegnet das Trio aus dem fernen Alaska in Form eleganter, höchst zeitgemäßer Ausweichmanöver. Die mittlerweile etablierten Indie-Haarspalter mit der amüsanten westeuropäischen Schein-Nationalität bewiesen bereits 2011 auf ihrem Zweitling
In The Mountain, In The Cloud chartshöhentaugliches Potenzial - Potenzial, das ihr Selbstvertrauen geradewegs nach NYC ins Erfolgs-Epizentrum von Sound-Futurist und angehendem Grammy-Abonnent Danger Mouse alias Brian Joseph Burton führte.
Wie mir schon, so gefiel auch dem 'gefährlichen Nager' Burton Portugal. The Mans Wolkenkratzer-Album Nr. 2 richtig gut und er ließ sich nach kleinen Über- und Unterredungen auf das inspirative Abenteuer mit PTMs Frontscraper John Baldwin Gourley ein. Der scharte inzwischen eine ziemlich nagelneue Truppe nicht wirklich portugiesischer Begleiter um sein unverkennbares Lead-Falsett und überrascht einmal mehr mit dem Anspruch subtiler Authentizität, detailvernarrten, hintersinnigen Songideen und einem spürbar gereiften, konzentrierteren Stilkonzept.
Nicht jede Nummer entfacht eine Hymne, nicht jeder Track explodiert zur Sensation. "Evil Friends" präsentiert dafür Portugal. The Mans umfassendes make-over voller attraktiver Soundaccessoires der Nobel-Klasse aus dem Haus der Mouse. Der Bombast um jeden Preis ist dem geschmackvollen Thrill dieser trendsicheren Glanzproduktion gewichen, für deren Mastering man übrigens und interessanterweise keinen geringeren, aha, als Altmeister Bob Ludwig gewinnen konnte.
Während die spanischen Nachbarn im bösen Titeltrack noch gern und deutlich an ihre jugendliche Vorliebe für flott-rotzigen Punk erinnern, warten "Creep In A T-Shirt" oder "Plastic Soldiers" dann mit spacigen Club-Grooves, entspannten Lounge-Samples und ästhetisch verführenden Fadeouts auf.
Anders als die pompösen Durchstarter-Scheiben von Portugal. The Mans Spaßnamen-, Genre- und Labelkollegen Fun. erlauscht man dieses Album eher in gedämpfter Atmosphäre. Gespitzte Ohren rekonstruieren beispielsweise die fein-minimalistische Architektur des smart entlarvten "Modern Jesus", den auch durchaus DJ-Guru Moby hätte entwerfen können.
PTMs Metamorphose hat Farfisa und Phaser in den Keller verbannt und ihren letzten zeitgeschichtlichen Overkill goldener Rock-Jahrzehnte gründlich entkernt, entschleunigt, entwaffnet. »…those fuckin' rock'n'rollers« werden Portugals "Hip Hop Kids" mit halbwüchsigen Collegebeats freilich kaum in die Flucht schlagen. Der "Atomic Man" verpasst die zweite Zündstufe, wird die Welt auch nicht retten und verglüht in der Chillout-Zone einer angesagten Rooftop Bar in Midtown, Manhattan. "Evil Friends" zettelt keine Revolutionen an. Der Longplayer schwirrt absolut en vogue durch die urbane Szenerie distanzierter Wahrnehmung, Aussteigersehnsucht und diskreter, grundtiefer Sinnsuche.
"Sea Of Air" und "Waves" - zweifellos die Perlen von "Evil Friends" - bringen die Vielschichtigkeit und anerkennenswerte Eigenart von Portugal. The Man auf den Punkt, wenngleich man allen Songs eine gewisse Akkordschablone zugrunde legt, die sich unter exzellent designten Variationen raffiniert verleugnen lässt.
Alles Bedeutende legt man nun gern auf einen reizvollen melodiös schimmernden Pianoteppich, dramatisiert Refrains gekonnt wie zweckmäßig in synthetisch anmutenden String- und Bläserarrangements, um eine stets gewollte leise Grundnote schließlich wieder auf sehr aparten und echten akustischen Saiten zu folk-ussieren.
Danger Mouse holt Portugal. The Man vom Nostalgietrip und katapultiert "Evil Friends" mitten hinein ins Hier und Jetzt der planetweit vernetzten, app-faszinierten Android-Generation. Ihr Kingdom heißt Random. Es beginnt auf der Playtaste und endet beim wahllos konformierten Like-Button. Das Maus-Genie und John Gourley fabrizieren einen messerscharf observierten, brandaktuellen silbernen Daytripper mit beinah zynischem Unterton, der sich punktgenau in "Creep In A T-Shirt", "Someday Believers" oder "Purple, Yellow, Red And Blue" ausdrückt. Sie produzieren den perfekten Audio-Screenshot einer hochintelligenten und dennoch lebensohnmächtigen Party-Community 2.0., die raum- und zeitvergessen auf dem schwankenden Dancefloor des globalen Abgrunds tanzt.
Wie spät ist es eigentlich…
Na dann, wir sehen uns letzten Mittwoch.
Line-up:
John Baldwin Gourley (guitar, vocals)
Zachary Scott Carothers (bass, vocals)
Kyle O'Quin (keyboard)
Noah Gersh (guitar, percussion, keyboard)
Kane Ritchotte (drums)
Tracklist
01:Plastic Soldiers
02:Creep In A T-Shirt
03:Evil Friends
04:Modern Jesus
05:Hip Hop Kids
06:Atomic Man
07:Sea Of Air
08:Waves
09:Holy Roller Hallelujah
10:Someday Believers
11:Purple Yellow Red And Blue
12:Smile
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