Sebastian Persini / Lost City
Lost City Spielzeit: 54:51
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2010
Stil: Prog Metal

Review vom 09.11.2010


Boris Theobald
»Jeder Mann hat seinen Preis.«
(Ferengi-Erwerbsregel Nr. 98)
... und bei Sebastian Persini beträgt er 100 US-Dollar. Je nach Berufslage lässt man sich pro Quadratmeter oder pro Zeile bezahlen, pro Tag oder pro Nacht ... Sebastian Persini kostet aber pro Song. Der junge Argentinier bietet sich als Session-Drummer für Prog-Projekte an und macht kein Geheimnis um seinen Preis, leicht nachzulesen im Netz. Ob es taktisch so geschickt ist, gleich mit einem Preisschild auf der Nase um die Ecke zu biegen, ist die Frage. Sein akustisches Angebotsprospekt liefert schon mal eine ausführliche Produktbeschreibung - mit seiner Solo-CD "Lost City" breitet Persini das Portfolio aus.
Der südamerikanische Silberling ist größtenteils rein instrumental gehalten, mit Ausnahme von "No Way Out". Die Stücke gehen auseinander wie ein warmer Hefeteig, vom nur 3:17 Minuten langen Opener "Red Dusk" bis zum verkopften Schlusstrack "13.73 Billion Years", der dann aber doch nicht ganz so lange dauert, wie der Titel erahnen lässt, sondern nur 14 Minuten und sechs Sekunden. Sebastian Persini spielt auf seinem Album nicht nur die Drums, sondern bedient auch über weite Strecken Gitarre, Bass, Keyboard und den Effekte-Rechner, hat sich aber einige Gastmusiker als Soloartisten mit ins Studio geholt.
Zunächst legt er aber ganz alleine los: Bei den ersten beiden Tracks ist außer Persini selbst kein Musiker gelistet. "Red Dusk" führt zunächst eher unspektakulär in die Grundstimmung des Albums ein, die eine etwas synthetische ist. Das ist gar nicht mal negativ gemeint - viele Synthie-Spielereien bestimmen mit ihren spacig-surrealistischen Klängen die Grundstimmung des Albums. So ziehen beim Titeltrack "Lost City" auch immer wieder experimentierfreudig Keyboard-Fronten durch die hohen Lüfte, während am Boden die tieftönigen Riffs verproggte Rhythmen in den Acker pflügen.
Geradliniger geht es bei "No Way Out" zu, denn das ist schließlich auch kein Instrumentalstück, sondern ein Song. Und Sängerin Solange Massa verwöhnt einem wahrlich die Ohren mit ihrer einfühlsamen Interpretation des Stücks, einer sehr melodischen Halbballade. Das war's mit der Vokalmusik! Fast schon schade um die schöne Stimme; aber dieses Album ist ohnehin eher ein Schmankerl für die Fraktion der Instrumentenbediener.
Mal meditativ mit brummelnden Bässen, mal leichtfüßig und unbeschwert mit quirligen Clean-Gitarren, mal Metal-lastig mit ganz schweren Riffs und auch schon mal wild und superproggig verschwurbelt - der Rest der Platte ist ein Mosaik aus verschiedensten Stimmungen und dezent Technik-betonten Spielgelüsten. Mal werden Atmosphären lange aufgebaut und Melodien in Gitarre und Keyboard breit durchvariiert. Mal gibt es aber auch spontan bis aberwitzig wirkende Breaks, als würde man durch eine Tür in den nächsten Raum Raum gehen, in dem eine völlig andere Musik gespielt wird.
Ganz automatisch konzentriert man sich beim Hören auf das Schlagzeug Sebastian Persinis. Der bringt in allen Lagen von laid back bis druckvoll und aggressiv viel gefälligen Vibe in die Geschichte ein. Er groovt und er versteht es bestens, die rhythmische Dimension der Musik zum Hinhörer zu machen. Persini wechselt die Rhythmen so unaufdringlich, dass es sich anfühlt, als würden sie ineinander schmelzen. Und auch in gleich bleibenden geraden Rhythmen sucht, findet und betont er Bruchteile von Zählzeiten, die dem normal sterblichen Nicht-Schlagzeuger im Kopf ein Rätsel bleiben, im Bauch aber ganz fluffig verdaut werden.
Unter anderem dürften Liebhaber der Fusion-Progger Planet X auf ihre Kosten kommen - immerhin gibt Sebastian Persini auch Virgil Donati als einen seiner Einflussgeber an; und die Pitch-intensiven Synthie-Sperenzchen haben auch einen Hauch von Sherinian. Aber auch Gedanken an die einstige progressive Super-Como Explorers Club rund um Magellan-Mastermind Trent Gardner werden wach (vor allem bei "Bulbo" - Highlight der Scheibe!). Und was die atmosphärische Experimentierfreudigkeit angeht, darf auch mal der Name Joe Satriani genannt werden. Schließlich rückt die Soloarbeit der Gäste auch hier keinesfalls in den Hintergrund. Ganz und gar nicht - besonders bei "13.73 Billion Years" wird ganz schön gewirbelt!
"Lost City" ist mit Sicherheit ein mehr als anständiges Bewerbungsdokument aus Argentinien. Sebastian Persini beweist, dass er sich wenn es proggt und rockt keine Blöße gibt. Seine Interpretationen lassen vermuten, dass er nicht nur die Technik drauf hat, sondern sich auch intuitiv in diverse komplizierte Aufgaben hineinversetzen kann. Allerdings lotet "Lost City" auch keine all zu extremen Schlagzeug-Situationen aus und geht kaum über das hinaus, was man schon so kennt.
Die Frage, wie gut Sebastian Persini im Detail ist, müssen wir so wie so den 'Professor Progs' der Schlagzeuger-Zunft überlassen. Es ist aber nicht so, dass der Herr bislang unterbeschäftigt wirkte; es kommen schon ein paar Referenzen zusammen. Nur das mit den pauschalen 100 US-Dollar pro Song sollte er vielleicht nochmal überdenken. So ein Prog-Song sprengt ja schon mal die 20-Minuten-Marke. Und dann muss er lange trommeln für sein Geld.
Line-up:
Sebastian Persini (drums, bass, guitars, keyboards, programming)
Alex Argento (keyboard solo - #4)
David Locke (guitar solos - #5,6)
Santiago Beis (keyboards - #3,5,7)
Solange Massa (vocals - #4)
Gianluca Ferro (guitar solos - #7)
Stefano Troncaro (keyboard solos - #7)
Martin Marron (guitars - #5)
Tracklist
01:Red Dusk (3:17)
02:Lost City (6:38)
03:No Way Out (6:04)
04:Light Future (8:16)
05:Bulbo (6:58)
06:Closer (9:32)
07:13.73 Billion Years (14:06)
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