Chris Rea – ein ewiges Missverständnis?
Genau das ist die Frage, die mir ständig bei der Beschäftigung mit Chris Reas neuestem Output durch den Kopf geistert.
Das geht schon damit los, dass ich beim Recherchieren zu "The Road To Hell & Back" eigentlich nichts finden kann, außer das Feilbieten eben jener Produkte unter diesem Namen. Und das sind zu meiner großen Verwirrung einige!
Mir persönlich liegt eine Doppel-DVD im "Billig-Plastik-Pack" und eine CD vor, die in einem mir von der Form und Gestaltung her bisher unbekannten Jewel-Case untergebracht ist, welches es einem völlig unmöglich macht, unfallfrei an das Booklet heranzukommen. Das gibt von der Verpackung her schon mal fette Minuspunkte.
Zusätzlich wird noch eine streng limitierte Doppel-DVD und Doppel-CD Edition angeboten. Dabei unterscheidet sich die DVD-Variante inhaltlich überhaupt nicht von seinem 'Feld-Wald-und-Wiesen'- Pendant, lediglich die Verpackungs-Aufmachung ist deutlich wertiger (quasi ein DVD Digi-Pack). Dagegen bietet die Doppel-CD sage und schreibe acht Titel mehr als mein Exemplar und beinhaltet somit die identische Songabfolge und –menge der DVD-Schwester.
Was soll das?
Zu allem Überfluss entnehme ich der Einzel-CD, dass sich ihre Aufnahmen aus fünf verschiedenen Auftrittsorten zusammensetzen, die DVD gibt dagegen ein vollständiges Konzert vom 18. April 2006 in der Birminghamer Symphony Hall wieder.
Soll und darf ich jetzt daraus schließen, dass auch die Doppel-CD dieses Konzert wiedergibt, oder finde ich hier noch zusätzliche Auftrittsorte?
Das ist wirklich eine äußerst befremdliche Veröffentlichungspolitik und ein weiterer Beleg dafür, dass sich die Musikindustrie das Wasser höchstselbst abgräbt.
Um bei den Inhalten zu bleiben, die DVD-Version bietet auf einem zweiten Rundling eine 55-minütige Tour-Dokumentation, unter anderem mit deutschen Untertiteln.
Diese ist fast wie ein Tagebuch aufgemacht und gewährt intime Einblicke in die Seelenlage des Protagonisten und seiner Mitstreiter, der mit dieser Tour den Abschied von den Bühnen dieser Welt verkündete. Im Gegensatz zu vielen anderen allerdings nicht als Marketing-Gag, sondern leider aus einer bitteren Notwendigkeit heraus, denn die Gesundheit Chris Reas lässt größeres Touren einfach nicht mehr zu. Relativ am Anfang der Dokumentation demonstriert er uns seinen morgentlichen Pillenbeutel, in dem sich 32 Präparate befinden. Nach einer schweren Krebsoperation muss er nunmehr ohne Bauchspeicheldrüse leben, zudem sind große Teile des Magens entfernt worden und er ist hochgradig Diabetiker.
Insofern ist für mich die hier dokumentierte Farewell Tour mit gemischten Gefühlen verbunden, genauso wie es den vielen Konzertbesuchern/-besucherinnen ergangen sein dürfte.
Was bekamen sie geboten?
Nun, ein frühes Missverständnis in der Vita von Chris Rea war die Auffassung, nach seinem ersten großen Hit "Fool (If You Think It's Over)" von 1978, dass er ein Songwriter am Piano sei. Zudem machte ihn seine unverwechselbare Stimme weltberühmt. Dass er aber auch und gerade ein fantastischer Gitarrist ist, vorzugsweise mit Bottleneck, erschließt sich selbst heute nach seinen Aussagen noch lange nicht jedem. So gelangen ihm gerade in den Achtzigern zahlreiche Hits im radiofreundlichen Soundgewand und seine Longplayer verkauften sich zeitweise wie geschnitten Brot. Bei Live-Konzerten zeigte er allerdings schon immer ein ganz anderes, sein wahres Gesicht, und viele Muttis mussten sich erschreckt Tempotaschentücher in die Gehörgänge stopfen, ob des lauten, schneidenden Sounds seiner Slide-Eskapaden. Zudem sind mir noch infernalische Bassattacken bei der "Road To Hell"-Tour 1990 beim gleichnamigen Song in Erinnerung, wo die Bremer Stadthalle in ihren Grundfesten erbebte.
Das schaut anno 2006 vergleichsweise harmlos und anders aus, denn bei Chris Rea regiert seit seiner schweren Erkrankung der Blues.
Und so dominieren weit über die Hälfte des gesamten Sets hinaus die etwas schwermütigen, weitgehend unbekannteren Töne eines Chris Rea, welche dieser mit unglaublicher Intensität und Feinfühligkeit an der Slide zu Gehör bringt. Definitiv keine Mucke zum Abhotten, und daher ist das fast opernhausgemäße Erscheinungsbild der Symphony Hall als kongenialer Rahmen für den Seelenstriptease des Protagonisten zu sehen. Unterstützt wird er dabei von alten Weggefährten, unglaublich aufeinander abgestimmt und eingespielt, ein traumhaft sicherer Boden für Reas raumgreifende Ausflüge auf dem Griffbrett.
Ein Kommunikationswunder ist er wahrlich nicht, er lässt ausschließlich sein Instrument und seine Stimme für sich selbst sprechen.
Innerhalb der ersten Stunde vernehmen wir lediglich einen Crowdpleaser, nämlich "Josephine", wie alle seine alten Hits vollkommen umarrangiert und mit ganz neuen Qualitäten aufwartend, und in großartiger Weise direkt nach "Where The Blues Come From" mit fließendem Übergang gespielt.
Alle anderen vermeintlichen Publikumsfavoriten kommen im letzten Drittel des Konzerts, "Stainsbury Girls" in einer überirdisch guten Interpretation, "Julia", "I Can Hear Your Heart Beat", "On The Beach" oder "Let’s Dance" zum Nicht-Wiedererkennen. Da mutiert der gute Mann teilweise glatt zum gemäßigten und geschmackvollen Jamrocker und bastelt munter unterschiedliche Musikstilistiken und Breaks in seine abgehangenen Songs, so dass selbigen völlig neues Leben eingehaucht wird.
Wirklich ein Genuss.
Passend dazu bleibt die Kameraführung auf das Nötigste beschränkt. Keine Hektik und keine Gimmicks lenken vom Geschehen ab.
Den Sound finde ich allerdings gewöhnungsbedürftig (auf der DVD habe ich nur 2.0 Dolby Stereo gehört). Beide Medien wollten auf meinem Equipment geradezu in Molltönen ersaufen. Da mussten schon massive Eingriffe in die Regelungsmöglichkeiten des aktiven Subbasses her, um schließlich doch noch einen schlüssigen Sound ins heimische Wohnzimmer zu zaubern. Die CD klingt anders abgemischt/gemixt, taugt aber nur bedingt zu Vergleichen, da dort ja ganz andere Auftritte festgehalten sind. Die Interpretationen der Songs unterscheiden sich durchaus, aber nicht um Welten.
Fazit:
Um es kurz auf den Punkt zu bringen – Musik fantastisch, Interpretation gut bis überragend, Klang nicht ganz unproblematisch (zu dunkel eingefärbt), Bild nicht zu beanstanden, DVD-Ausstattung recht üppig, Aufmachung und Verpackung nur zum Teil dem Ereignis und seinem Protagonisten angemessen, die Veröffentlichungspraxis der Plattenfirma einfach unterirdisch.
Wer Chris Rea immer nur und immer noch als radiofreundlichen Pop- und Balladentroubadur einnordet, erliegt einem fatalen Missverständnis.
Der Mann gehört zu den besten Saitenartisten auf diesem Planeten und es bleibt zu hoffen, dass ihm seine Gesundheit in Zukunft wenigstens noch das Aufnehmen von Musik gestattet, wenn er sie auch nicht mehr unter eigenem Namen veröffentlichen möchte. Viel wichtiger ist, dass er uns noch möglichst lange seine Trademarkstimme und –gitarrentöne schenken darf, und ansonsten das Leben bei diesem außergewöhnlich sympathischen Musiker nicht zu kurz kommt!
Line-up:
Chris Rea (vocals. slide guitar)
Paul Hirsh (keyboards)
Robert Ahwai (guitar)
Sylvain Marc (bass guitar)
Martin Ditcham (drums)
Tracklist |
DVD 1:
01:Jazzee Blue
02:That's The Way It Goes
03:Where The Blues Come From
04:Josephine
05:Work Gang
06:Head Out On The Highway
07:Easy Rider
08:'Til The Morning
09:Stony Road
10:KKK
11:Julia
12:Stainsby Girls
13:Somewhere Between Highway 61 & 49
14:I Can Hear Your Heart Beat
15:The Road To Hell
16:On The Beach
17:Let's Dance
18:Fool (If You Think It's Over)
DVD 2:
On The Road To Hell & Back - Documentary
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CD:
01:Jazzee Blue
02:Josephine
03:Stony Road
04:Stainsby Girls
05:Somewhere Between Hightway 61 & 49
06:I Can Hear Your Heart Beat
07:The Road To Hell
08:On The Beach
09:Let’s Dance
10:Fool (If You Think It’s Over)
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Externe Links:
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