Jetzt wird der alten Dame Blues aber mächtig Beine gemacht.
Einen Rollator als Gehhilfe braucht sie noch nicht, aber diese Dinger sind auch zu schnell. Ein Fahrtraining sollte verpflichtend werden.
Training hat der junge Wilde des Blues ohne Grenzen bestimmt, so wie der seine verschiedenen Harps spielt.
Es ist die jugendliche Frische, mit der Jason Ricci den 12-Takter spielt und zu Beginn des Albums hätte ich für den Stil ein Blues Rock geschrieben. Allerdings ist das nach einigen weiteren Stücken nicht mehr so zielsicher.
Dennoch trifft der junge Amerikaner mit seinen Songs, die er mit seinem Gitarristen Shawn Starski und dem Bassisten Todd Edmunds geschrieben hat, voll ins Schwarze.
Welche Bandbreite der Harper und Sänger darauf hat, zeigt ebenfalls die Auswahl seiner Coversongs.
In der Tracklist-Reihenfolge sind das: "I Turned Into A Martian" von Glenn Danzig, "As Long As I Have You" vom Howlin' Wolf-Bassisten Willie Dixon, "Afro Blue" stammt im Original aus der Feder des Salsa-Spezialisten Mongo Santamaria und den Abschluss der CD bildet Sun Ras "Enlightenment".
Ein wahrer Spagat, aber, verdammt noch eins, man kauft es dem Musiker für bare Münze ab. Er verfällt in keine Beliebigkeiten. Jeder Track hat seine feste Position und Berechtigung. Auch die eigenen Geschöpfe sind so bunt, wie seine Haarpracht, ach, was schreibe ich, da kann noch nachgefärbt werden.
Jeder Song produziert eine Freudenfalte mehr im Gesicht.
Die Karten im Harp-Lager müssen neu gemischt werden.
Selbst die ältern Meister des Mississippi-Saxofons bekommen feuchte Handinnenflächen bei einem Jason Ricci.
Seine persönliche Situation beschreibt er so treffend im Booklet, nachdem ihm jemand den Tipp gab, eigene Songs zu spielen und zu singen, was er zunächst nicht im Sinn hatte. Er wollte zum Beispiel wie Little Walter sein. Aber: »Here's where it gets cool: When I started listening to all the music around me, jazz, punk, classical, funk, rock, Eastern… When I started dressing like myself, and not some version of what I thought my blues heroes were… When I started being myself: gay, quirky, hyper, white and from Maine those guys started accepting me and talking to me like I was one of their own.«
Genau so ist es mit seiner Musik, ganz gleich, ob eigen oder Cover… Jason Ricci ist authentisch, eine eigene Persönlichkeit.
Mir kommt gerade eine Parallele in den Sinn, auch wenn dieser Musiker nicht die Harp als Instrument spielt. Von einem Joe Bonamassa ging zu Beginn seiner Karriere ein ebensolches Esprit aus.
Alleine schon der Opener ist ein Hammer.
Im Twin-Sound sind es Harp sowie Gitarre, die die Fußwippe aktivieren und später machen es der Bassist Todd Edmunds und Ricci abermals. Ansonsten legt der Tieftöner einen Schmackes-Groove hin und Trommler Ed Michaels (unter anderem Roy Rogers) serviert das volle Programm aus der rockigen Ecke.
Wenn da nicht noch elf Songs folgen würden, ist diese Nummer bereits ein Highlight. Die Harp soliert teuflisch gut und ohne Zweifel ist der Song 'done with the devil', wenn sich auch noch Gitarrist Starski einmischt.
Bunt geht es zu!
Von der Schwere des Blues Rock wechselt man zum luftigen, Motown-getriebenen "Sweet Loving". Uh, diese Hammond von Phillip Wolfe, der zuvor noch die Rhythmus-Gitarre spielte. Oh Mann, mit welcher Selbstverständlichkeit zaubert man hier die Songs aus dem Ärmel.
Funky geht es weiter, Riccis Stimme wird rauer und welchen tollen Sound bietet der Silberling! Edmunds zupft ein gigantisches Basssolo und dann kommt der Track auch noch mit einem siebenköpfigen Chorus daher. Über einem Funk-Teppich soliert Starski und Ricci übernimmt den Staffelstab. Breaks, Hooklines... es sind doch erst drei Lieder vorbei.
Welches Ergebnis hat das Songwriting, wenn der Protagonist mit dem Bassisten zusammenarbeitet?
"Broken Toy" ist eine Ballade mit verdammt viel Harp-Schmelz. Die Nummer fließt dahin, wie ruhiges Gewässer, an dem es sich in der Sonne vortrefflich träumen lässt. Das ist eineindeutig Starskis Nummer. Todd Edmunds liefert tiefe Töne aus zwei verschiedenen Instrumenten. Klar, einerseits ist es der Bass, aber mittendrin bläst er auch noch die Tuba. Eine extravagante Zugabe, die überrascht.
Alleine schon der Titel "Ptryptophan Pterodactyl" ist ein Zungenbrecher. War vorher Starski im Spotlight, sind es hier der Ricci und wieder Wolfe, dieses Mal am Fender Rhodes. Jazziges Flair, gesteuert von Rudy Millers Kongas und anderen Handtrommel, ist der Output. Wieder Twin-Gitarre-Harp-Sound. Klasse!
Ähnlich der Motown-Sache verwandeln sich Ricci & Co. mit Danzigs "I Turned Into A Martian" in punkige Rock'n'Roller, mit allen wichtigen Zutaten für einen feurigen Song. Hölle, mit welcher Geschwindigkeit ein Harp-Solo hingelegt wird, ist beeindruckend.
Drei Minuten... aus und vorbei. Kurz und sehr gut.
Lasziv wird Dixons "As Long As I Have You" gegroovt. Nach der Attacke streichelt der Harper zur Wiedergutmachung unsere Wangen. In allen Songs gefällt mir, dass man den Bass ein klein wenig in den Vordergrund gemischt hat.
Das von Starski geschriebene "How It Come To Me" kommt in bester John Mayall-Manier aus frühen Tagen daher. Der Gitarrist, jetzt auf der Dobro slidend, singt auch ähnlich wie der Brite.
Fast jeder Song hat eine Besonderheit, mit der er aufwartet.
Im relaxten, aber dennoch sehr rhythmusorientierten "Afro Blue" sorgt die Dumbek von Michaels für mächtig Stimmung. In über acht Minuten können sich die Solisten natürlich noch mehr austoben. Der Latin-Flair des Originals hat man mit hinüber gebeamt ins Shadow Lane Studio, Nashville. Starski kann es auch jazzig, so als wäre es das Selbstverständlichste in der Musikwelt. Von Percussion unterlegt, zupft Edmunds abermals ein Solo. Freiräume wie Sand am Meer...
"Keep The Wolf From My Door" könnte ein Chester Burnett-Ding sein. Sehr traditionell und vom Michaels geschrieben und gesungen.
Am Ende ist "Enlightenment" vom Jazzer Sun Ra noch der Killer-Track. Mit dem Akkordeon entführt man den Hörer an die Seine.
Das gesamte vorherige Treiben steht Spalier, um die Platte mit dem letzen Titel den Weg zur Krönung zu zeigen.
Fertig! Der Rezensent ist beeindruckt... Nimm dir Zeit für gute Musik.
Line-up:
Jason Ricci (vocals, harps, chord)
Shawn Starski (electric guitar, acoustic guitar, Dobro, vocals, backing vocals, voice)
Shawn Kellerman (guitar, vocals)
Todd Edmunds (electric bass, double bass, sousaphone, vocals)
Phillip Wolfe (piano, organ, accordion, slide guitar, tambourine, shaker)
Ed Michaels (drums, stand up snare drum, vocals, backing vocals)
Rudy Miller (drums, percussion)
Brady Mills (vocals, backing vocals)
Rebecca Wolfe (backing vocals)
The Coyotes Of The Tulip Grove (howling - #11)
Tracklist |
01:Done With The Devil (5:11)
02:Sweet Loving (3:58)
03:Hollering For Craig Lawler (6:28)
04:Broken Toy (5:56)
05:Ptryptophan Pterodactyl (4:13)
06:I Turned Into A Martian (3:07)
07:As Long As I Have You (5:21)
08:How It Come To Be (3:43)
09:Life Of Denial (3:52)
10:Afro Blue (8:56)
11:Keep The Wolf From My Door (5:41)
12:Enlightenment (4:44)
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Externe Links:
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