Zirka fünf Jahre hatte Lou Reed mit seiner ersten ernst zu nehmenden Band The Velvet Underground durchgezogen. Fünf Jahre und vier Studio-Alben, die vor so genialen wie auch katastrophal unpopulären und ignorierten Songs nur so strotzten. Wenn heute von dem Gottvater des Punk gesprochen wird, dann fällt zumeist der Name Iggy Pop. Und selbst wenn ich dem guten Iggy nichts von seiner sehr wohl verdienten Reputation wegnehmen möchte, so wage ich dennoch zu behaupten, dass solche Statements nur von Leuten kommen können, die noch nie in ihrem Leben (die vor Iggys Zeit erschienenen) Reed-Tracks wie etwa "The Black Angel's Death Song", "The Gift" oder "Sister Ray" von Velvet gehört haben.
Okay, geschenkt! Im Sommer 1970 kehrte Reed dem Rock'n'Roll und seiner Band angewidert den Rücken und zog sich erst einmal vollkommen zurück. Dass der Versuch, laute Gitarren gegen die Schreibmaschine in der Firma seines Vaters einzutauschen allerdings kaum gut gehen konnte, war eigentlich allen klar, die Lou etwas näher kannten. Da auch Reed selbst sehr schnell bemerkte, dass er eine andere Bestimmung hatte, ging er 1971 nach London, um dort sein erstes, gleichnamiges Solo-Album aufzunehmen. Auch hier hielt sich der Erfolg in einem sehr bescheidenen Rahmen, was sein damaliges Label RCA Records aber nicht davon abhielt, ihm eine weitere Chance zu geben.
Lou ging im Folgejahr wieder nach London und unter der Regie seines großen Bewunderers David Bowie und dessen damaligen, kongenialen Gitarristen Mick Ronson entstand das heute legendäre Album "Transformer", das unter anderem die Songs "Walk On The Wild Side" und "Perfect Day" beinhaltet. Und nun flattert mir die CD "Live in New York 1972" ins Haus, über die ich erstmal nicht schlecht gestaunt habe.
Aufgenommen im Rahmen eines Radio-Konzertes am 26.Dezember 1972 war Reed in einer Phase, als "Transformer" bereits veröffentlicht und der Nachfolger "Berlin" (1973) gerade in der intensiven Vorbereitung war. Den Anfang dieser Live-Scheibe macht der Velvet Underground-Klassiker "White Light, White Heat" und es fällt sofort auf, dass der Sound sehr gut für eine über 36 Jahre alte Aufnahme ist. Außerdem, dass Reed hier eine sehr geile (leider namentlich nicht genannte) Begleitband am Start hatte. Das rockt richtig dick und fett geradeaus und lässt die Vorfreude auf den Rest schon mal schlagartig in die Höhe schnellen.
Mit "Vicious" vom "Transformer"-Album folgt dann eine neue Nummer, die ebenso stark umgesetzt wurde. Lou Reed-Freunden blieb in der Vergangenheit nicht verschlossen, dass unser Protagonist nicht unbedingt dafür bekannt ist, auf der Bühne jeden Ton gesanglich einwandfrei zu treffen, was auch hier nicht anders ist. Was diese Aufnahmen aber besonders macht, ist, dass der gute Lou hier noch gesteigerten Wert darauf legt, seine Songs auch tatsächlich zu singen, statt wie später oft in eine Art Sprech-Gesang zu verfallen.
Mit "Sweet Jane" und "I'm Waiting For My Man" gibt's danach wieder eine geballte Ladung VU-Klassiker zwischen die Lichter, bei denen einmal mehr auffällt, wie tight und powervoll die Begleit-Band Reeds in dieser Nacht war. Mit "Walk It Talk It" folgt der einzige Song seines ersten Solo-Albums. Eine groovende Rock'n'Roll-Nummer mit dem Hinweis, dass es Lou mit seinen Song-Texten ernst war. Nicht fiktiv waren die, nein, er schrieb darüber, wie er lebte und was er sah. Nun, wenn man an Titel wie "Heroin" sowie "I'm Waiting For My Man" denkt und sich Reeds damaliges Erscheinungsbild vor Augen führt, hätte man daran sowieso kaum gezweifelt.
Und dann kommt es auch schon: "Heroin"! Hier natürlich ohne die psychedelische und alles in ihrem Strom mitreißende Viola von John Cale. Dennoch verfehlt dieser Track eigentlich niemals seine Wirkung und wird in einer stampfenden, wild rockenden Version zum Besten gegeben. Danach ist Schluss mit den Velvet-Songs und es folgen drei weitere "Transformer"-Stücke sowie eine lange, zumindest in dieser Version von mir noch nicht gehörte Version von "Berlin".
"Walk On The Wild Side" darf natürlich nicht fehlen und wird hier in seiner Gänze und voll ausgesungen gebracht. Im Gegensatz übrigens zum 1978er Live-Album "Take No Prisoners", wo Reed jeweils die erste Zeile einer Strophe singt, nur um darauf jede einzelne im Text besungene Person (inklusive Publikum) in Grund und Boden zu schimpfen. Ein wirklich großartiges Lou Reed-Live-Dokument mit allen Stärken und Schwächen wird präsentiert und zumindest von mir sehr dankbar aufgenommen.
"Live In New York 1972" besticht durch seine Einzigartigkeit und Frische (KEINE Overdubs) sowie durch einen powervollen und störfreien Sound. Bemerkenswert ist, dass Lou Reed der Band hier vollkommen freie Hand in der Interpretation seiner Songs ließ. Ein Umstand, der in der Zukunft kaum noch vorkommen sollte. Ist dieses Album, so wie im Promo-Zettel angekündigt, Lou Reeds beste Live-Scheibe? Nun, es gibt so viele davon, das soll jeder für sich selbst entscheiden. Aber "Live In New York 1972" ist ein absolut geiles und authentisches Teil einer Zeit, als Reed gerade erst im Begriff war, durchzustarten. Sehr cool, gelungen und empfehlenswert!
Tracklist |
01:White Light White Heat
02:Vicious
03:Sweet Jane
04:I'm Waiting For My Man
05:Walk It Talk It
06:Heroin
07:Satellite Of Love
08:Walk On The Wild Side
09:Berlin
10:I'm So Free
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