Lou Reed / Original Album Classics 3
Original Album Classics 3 Spielzeit:
48:14 (Rock'n'Roll Animal)
37:49 (Rock And Roll Heart)
36:44 (Street Hassle)
40:44 (The Bells)
36:44 (Growing Up In Public)
Medium: CD-Box
Label: Sony BMG, 2011 (1974, 1976, 1978, 1979, 1980)
Stil: Rock


Review vom 21.10.2011


Markus Kerren
Die vorliegende Box ist bereits die dritte "Original Album Classics"-Zusammenstellung mit jeweils fünf Original-Alben, die von Lou Reed erscheint. Umfasste die erste auch die ersten fünf Solo- (Studio-) Platten des New Yorkers, so setzte sich die zweite Box mit den Alben von 1982 bis 1986 auseinander. Und nun machen wir zeitlich noch mal einen Sprung zurück, während wir es mit fünf Werken aus den Jahren 1974 bis 1980 zu tun haben.
Nachdem Reed 1972 mit "Transformer" (auf dem u. a. der Song "Walk On The Wild Side" vertreten war) ein Hitalbum und im direkten Anschluss mit dem depressiven, aufwühlenden (und dennoch künstlerisch großartigen) "Berlin" (1973) einen Mega-Flop gelandet hatte, ging es erstmal auf eine ausgiebige Tour, zu deren Ende in New York City das 1974 erschienene "Rock'n'Roll Animal" (wie auch das ein Jahr später erschienene "Live", eigentlich Teil zwei des vorgenannten) mitgeschnitten wurde. Und dabei handelt es sich nach wie vor um die beste Live-Scheibe seiner bisherigen Karriere.
Lou wirkt (relativ, gemessen an seinem damaligen Lebensstil) frisch und agil, verbietet seinem Publikum (Shut up!!!) in seiner gewohnt griesgrämigen Art auch mal den Mund und hat offensichtlich Spaß auf der Bühne. Ebenfalls stark zum Gelingen der Scheibe trug das Gitarren-Gespann Dick Wagner/Steve Hunter bei, dessen melodiöses und abgeklärtes Spiel die Rohheit und das Punkige früherer Tage aus dem Sound nahm, ohne ihn jedoch poliert und glatt erscheinen zu lassen. Sehr schön, dass auf der CD-Version (neben "Lady Day") auch die beiden weiteren "Berlin"-Tracks "How Do You Think It Feels" und "Caroline Says" enthalten sind.
Im Anschluss veröffentlichte Lou Reed die Alben "Coney Island Baby" (1976, das in der ersten Box enthalten ist) und noch davor die Rückkopplungs-Orgie "Metal Machine Music" (1975), auf dessen Berücksichtigung für eine der drei Boxen großzügig verzichtet wurde. Ebenfalls 1976, und in der vorliegenden Ausgabe enthalten, kam dann "Rock And Roll Heart", bei dem es sich um ein sehr gutes Rockalbum handelt. Im direkten Vergleich vielleicht nicht ganz so stark wie "Coney Island Baby", aber mit Tracks wie "I Believe In Love" (mit Bläsern), "You Wear It So Well" (starke Ballade), "Rock And Roll Heart" (der Songtitel ist Programm) oder "Ladies Pay" landet die Scheibe ganz klar im positiven Bereich. Aber Lou hatte hier mit "Follow The Leader" (Jazz Rock/Fusion) oder "Chooser And The Chosen One" (einem Instrumental) auch einige Überraschungen am Start.
"Street Hassle" (1978) war schließlich das finale Studioalbum des 'alten' Lou Reed in den Siebzigern. Herzstück ist der knapp elfminütige Titelsong, der in drei Parts aufgeteilt wurde. Interessanterweise hat hier Bruce Springsteen einen Gastauftritt, einen ca. halbminütigen, gesprochenen Monolog. Außerdem griff Reed einmal mehr in seinen scheinbar riesigen Velvet Underground-Fundus und nahm "Real Good Time Together" zum ersten Mal für ein Studioalbum auf. Ein grundsolides wie starkes Reed-Album mit Tracks wie dem kauzigen "Leave Me Alone", dem gehässigen "Dirt" oder dem ironischen "I Wanna Be Black".
"The Bells" (1979) war die letzte Platte des Protagonisten, die er unter dem Einfluss von harten Drogen aufnahm. Ob der Grund der Entscheidung für einen gesünderen Lebensstil darin zu suchen war, dass er mittlerweile tatsächlich ganz nah am Abgrund balancierte, oder der, dass er sich dieses Album nach der Fertigstellung in einem lichten Moment mal zu Gemüte führte, sei mal dahingestellt. Aber Spaß beiseite, "The Bells" ist ganz sicher eines der ungewöhnlichsten Alben in Reeds Katalog. Ob "Disco Mystic" (mit ebensolchen Rhythmen) eine Anbiederung an den zu dieser Zeit sehr angesagten Sound oder eher eine Persiflage war (und ist), lässt sich für den Zuhörer (der selbstverständlich Zweiteres glauben möchte) dabei nicht wirklich eruieren.
Insgesamt klingt der Sound auf dieser Scheibe wesentlich voller und moderner, dazu mit jeder Menge und mehr Bläsern angereichert, als auf allen Vorgängern. "City Lights" klingt wie eine Variete-Nummer, während der sich Lou mehr durch die Vocals quält, als singt. Und auch "All Through The Night", bei dem über den Song immer wieder Gespräche während eines Trinkgelages eingeblendet werden, lässt den Hörer eher mit einem Schulterzucken zurück. Der Titelsong "The Bells" klingt dann tatsächlich mehr wie der Soundtrack zu Reeds eigenem Begräbnis, als nach irgendwas anderem. Düstere Keyboardsounds, jazzige Trompeten, ein grollender Bass und im Mix begrabenes Rezitieren, das sich fast wie ein Gebet anhört, machen hier den Sound aus. Das hat schon eine geradezu gruselige Atmosphäre.
Zur Ehrenrettung des Protagonisten sei jedoch angemerkt, dass sich mit "I Want To Boogie With You", "Looking For Love", "Stupid Man" und "With You" auch gute bis sehr gute Nummern auf der Scheibe befanden. Für mich ist "The Bells" aber nach wie vor eine sonderbare Scheibe ...
Der Ex-Velvet Underground-Leader nahm die Sache mit dem gesunden Lebensstil im Anschluss sehr ernst und sollte auch bald darauf den Alkohol aufgeben. So war "Growing Up In Public" (1980) die letzte Scheibe, bei der während der Aufnahmen die Drinks noch einmal in Strömen flossen. Und hier erleben wir Reed bereits so, wie er im Grossen und Ganzen auch auf seinen weiteren Alben bis zum Ende der achtziger Jahre klingen sollte. Relative knappe, zwar mit Bläsern ausgestattete, aber sonst aufs Nötigste arrangierte Songs, die zwar klasse anzuhören sind, sich aber nicht unbedingt im Langzeit-Gedächtnis einprägen. Dies sollte ihm erst wieder mit seinem Meisterwerk "New York" (1989) gelingen. Als herausragende Tracks für "Growing Up..." seien hier mal "My Old Man", "The Power Of Positive Drinking" und der Titelsong genannt.
In RockTimes-Uhren sieht das Ganze dann so aus:
"Rock'n'Roll Animal" 9
"Rock'n'Roll Heart" 7,5
"Street Hassle" 7
"The Bells" 6
"Growing Up In Public" 6,5
Wenn es auch ein paar (musikalische) Kritikpunkte an der Musik in dieser Box gibt: Insgesamt ist sie sehr zufrieden stellend! Für den Rock-Fan ist mit "Rock'n'Roll Animal" immerhin ein 'Muss' dabei, dazu mit "Street Hassle" und "Rock And Roll Heart" zwei sehr starke Reed-Alben. "The Bells" hat durch die ihm eigene Außergewöhnlichkeit seine Berechtigung und "Growing Up In Public" ist schlicht und ergreifend eine gute, wenn auch keine essentielle Scheibe. Natürlich sollte man Lou Reed wenigstens ein kleines bisschen mögen, aber wenn dem so ist, kann ich diese Box - speziell bei dem Preis, für den sie angeboten wird - nur aller wärmstens empfehlen.

Rock'n'Roll Animal  Rock'n'Roll Heart  
Street Hassle  The Bells  Growing Up In Public
Tracklists
Rock'n'Roll Animal:
01:Sweet Jane
02:Heroin
03:How Do You Think It Feels
04:Caroline Says
05:White Light/White Heat
06:Lady Day
07:Rock and Roll
Rock and Roll Heart:
01:I Believe In Love
02:Banging On My Drum
03:Follow The Leader
04:You Wear It So Well
05:Ladies Pay
06:Rock And Roll Heart
07:Chooser And The Chosen One
08:Senselessly Cruel
09:Claim To Fame
10:Vicious Circle
11:A Sheltered Life
12:Temporary Thing
Street Hassle:
01:Gimmie Some Good Times
02:Dirt
03:Street Hassle/Waltzing Matilda/Street Hassle/Slipaway
04:I Wanna Be Black
05:Real Good Time Together
06:Shooting Star
07:Leave Me Alone
08:Wait
The Bells:
01:Stupid Man
02:Disco Mystic
03:I Want To Boogie With You
04:With You
05:Looking For Love
06:City Lights
07:All Through The Night
08:Families
09:The Bells
Growing Up In Public:
01:How Do You Speak To An Angel
02:My Old Man
03:Keep Away
04:Growing Up In Public
05:Standing On Ceremony
06:So Alone
07:Love Is Here To Stay
08:The Power Of Positive Drinking
09:Smiles
10:Think It Over
11:Teach The Gifted Children
Externe Links: