Michy Reincke / Palais Salam
Palais Salam Spielzeit: 53:32
Medium: CD
Label: Rintintin Musik, 2009
Stil: Singer/Songwriter

Review vom 04.11.2010


Wolfgang Giese
Der Musiker war richtig fleißig, hatte ich doch vor gar nicht so langer Zeit die Platte Jetzt ist schön vorgestellt.
Nun werden jedoch ganz andere Töne angeschlagen. Liest man die Trackliste, mag die/der Eine oder Andere vielleicht sogleich die Stirn runzeln, weil dort bekannte Titel auftauchen, die der Platte den oberflächlichen Anstrich einer 'Best Of' verpassen. Eine Aneinanderreihung alter Stücke ist es, richtig, aber sie sind in ein völlig anderes Gewand gekleidet. Nennen wir es 'Unplugged', Akustikversionen oder wie auch immer. Neue Arrangements überraschen den Hörer auf besonders positive Art und Weise.
Gleichzeitig bedient sich Reincke der Genres Jazz, Folk und Pop, um ein teilweise ganz anderes Gefühl zu verbreiten, oft aber auch, um der Aussage einiger Titel mehr Tiefe und Ausdruck zu verleihen. Unangestrengt und sehr locker klingt die Musik. Dadurch ist sie sehr nahbar und zugänglich und die Band scheint dann auch manchmal direkt neben einem, im Wohnzimmer zu sitzen. Dieses direkte 'Lauschgefühl' strahlt enorme Wärme und Behaglichkeit aus.
Mit einem von Prince geschriebenen Song, dem Reincke einen neuen Text verpasst hat, startet die Reise durch eine harmonische Welt. Wie hier sind es oft Trompete oder Flügelhorn, die der Musik eine ganz besondere Färbung verleihen. Dazu kommt eine bisweilen jazzig-laszive Stimmung, wie auf dem allseits bekannten "Taxi nach Paris", dem man dadurch nun neuen Charme abgewinnen kann; genau so interpretiert, darf der Song gern noch einmal gebracht werden. Dem sanft schunkelnden Rhythmus verleihen dahintropfende Vibraphonklänge darüber hinaus ein besonderes, offenes Feeling. Romantisch mit Flügelhorn und Piano kann uns der Track mit der simplen Bezeichnung "Lied" erfreuen, aber auch der Humor kommt bei dieser Platte nicht zu kurz, sei es bei "Hier kommt der Ärger" (».....hier kommst Du«) oder beim letzten Stück, "Mach dein Herz laut!", das im Tingeltangel-Stil mit klimperndem Piano, krächzender Trompete und verstimmten Banjoklängen ein Feeling erzeugt, das durchaus Assoziationen an die Musik von Mungo Jerry weckt.
Glanzpunkte sind auf jeden Fall fast immer die tiefgründigen Texte, die zum Nachlesen im Booklet noch einmal abgedruckt sind.
'Freiwillige Blödheit' von Männern wird z.B. beim kriminell gewordenen Protagonisten von "Sie war's wert" (war sie es wirklich?) auf die Schippe genommen. Bei der zweiten Komposition, die nicht von Reincke stammt, erzählt er uns Anna Depenbuschs Geschichte der "Heimat" über die geschundene deutsche Seele. Der Titel besitzt etwas von der mitunter wegfließenden Stimmung einer Komposition eines Nick Cave, so meine ich das zu empfinden.
Besonders gefallen mir die kurzen und knappen, sehr emotionalen Einwürfe des Gitarristen Heilbut, der die Stimmung damit mit leicht jazzig-bluesigem Ansatz auskleidet. Einige Songs klingen in diesem ruhigen, oft zurückgenommenen, entschleunigten und reduzierten Umfeld ganz anders; man ist geneigt, sich des Tempos und der Stimmung der Originaltitel anzunehmen, so bei "Valérie, Valérie" oder "Niemand kommt so selten vor". Letzteres in dieser Version sicher einer der Höhepunkte einer an solchen nicht armen Platte. Pure Romantik perlt aus den Boxen bei dem wunderschönen "Schade", das recht spartanisch arrangiert, eine großartige und warme Melancholie ausstrahlt. "Baby das war's" klingt ganz stark nach Bob Dylan. Das ist die Stimmung zu Zeiten von Subterranean Homesick Blues, ganz stark gemacht!
Also - wenn das man nicht eine der besten Platten des Künstlers ist!(?)
Jedenfalls gefällt mir diese besondere Atmosphäre mit der durch die Reduzierung geschaffenen Eindringlichkeit außerordentlich gut! Die Band spielt wie aus einem Guss, das ist Musik unter Freunden, wo sich jeder auf jeden verlassen kann. Dadurch wird eine durchgehende Einheitlichkeit geschaffen, die nur durch die Fremdkomposition "Heimat" leicht unterbrochen wird, weil sie eben nicht Reinckes Handschrift trägt.
Ein tolles Album ist das geworden. Bravo, Michy!
Line-up:
Michy Reincke (Gesang, Gitarre)
Jörn Heilbut (elektrische und akustische Gitarre, Mandoline, Banjo)
Stephan Gade (akustischer und elektrischer Bass)
Jens Carstens (Schlagzeug, Cajon, Percussion)
Martin Meyer (Piano, Melodica)
Peter Hinderthür (Vibraphon, Flügelhorn, Trompete)
Marc Schettler (Ton)
Tracklist
01:Ich bin nicht dein Mann (3:19)
02:Taxi nach Paris (2:52)
03:Lied (3:42)
04:Wär' nicht schlecht, wenn du da bleibst (4:05)
05:Sie war's wert (2:49)
06:Heimat (4:11)
07:Valerie, Valerie (3:41)
08:Hier kommt der Ärger (2:47)
09:Pop im Radio (3:28)
10:Niemand kommt so selten vor (3:28)
11:Schade (4:07)
12:Nächte über's Eis (3:37)
13:Es wär' so schön (3:43)
14:Baby das war's (4:00)
15:Mach dein Herz laut! (3:35)
(Alles von Michy Reincke, außer: #1, Text: Michy Reincke, Musik: Prince, #6, Text und Musik Anna Depenbusch)
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