Mitch Ryder
Got Change For A Million? / Live Talkies (plus One Extra Live Concert)
Got Change For A Million? / Live Talkies (plus One Extra Live Concert) Spielzeit: 35:46 (CD 1), 70:21 (CD 2), 51:20 (CD 3)
Medium: CD
Label: Repertoire Records, 2011 (1981)
Stil: Rhythm & Blues, Rock


Review vom 08.04.2011


Ingolf Schmock
In den Zeiten, als uns öffentlich-rechtliche Fernsehstationen mit einem euphorisierenden »Ladies And Gentlemen, German Television proudly presents« so manche Rock'n'Roll-Schlacht verkündeten und die durchwachten Nächte quasi eine Generation musikalisch sozialisierten, avancierte ein bis dato in Vergessenheit geratener sturztrunkener Blues-Rüpel in einer einzigen Vollmond-Nacht im Oktober 1979 zum verklärten Anti-Helden.
Für den ehemaligen Detroiter Autoschrauber William Sherille Levise jr., alias Mitch Ryder war selbiges Ereignis der Beginn einer europäischen Liebe und seiner künstlerischen Freiheit, nachdem der schicksalsgebeutelte Vollblutmusiker mittlerweile in seiner Heimat nur noch als singende Sixties-Jukebox abgewetzter Fünfziger Petticoat-Feger und körperbetonter Motown-Kamellen Akzeptanz sowie aufkommendes Desinteresse erfahren musste. Einerseits mit der widerborstigen Stimmgewalt höllischer Posaunen, andererseits mit einer nahezu gutturalen Sensibilität ausgestattet, scheute sich später ein dem feuchtfröhlichen Lebensstil durchaus zugetaner Ryder jedenfalls nicht, politischen Unzulänglichkeiten seines längst nicht mehr so gemütlichen Heimatlandes den Mittelfinger entgegenzustrecken.
Somit war es auch nicht verwunderlich, dass dieser 1981 ein erbitterndes »Du bist nicht mein Präsident - Ich bin aus Amerika« als anklagende Abrechnung mit der damaligen Reagan-Regierung vom pechschwarzen Vinyl wuchtete und seine straßentaugliche Obsession zur lyrischen Provokation zelebrierte.
Beflügelt vom neuen Kampfgeist eines einst desillusionierten musikalischen Helden, treibt der weiße Blues-Wolf seine kräftig schiebende und unberechenbar lässig agierende Rhythmusgruppe, nebst den schmutzigen Dauerwettbewerben zweier Saiten-Duellisten, durch die vom seligen Schweiß schwarzer Ghettos aufgeputschten Rhythm & Blues-Brocken, welche wie betoniertes Mauerwerk die überschüssige Energie zu kanalisieren vermögen.
Liebäugeln die Protagonisten anfänglich mit dem manierierten "My Heart Belongs To Me" zu aufgeschwemmt ergrauter Folklore, entschließen sich diese nebst ihrem knöchern wirkenden Reibeisen-Choleriker spätestens mit "Back At Work" zu mehr Mackerattitüde und peitschender Garagensession. Auch inmitten aller testosterontrunkener Ausgelassenheit, betreibt das tremolierende Raubein mit aufgekrempelten Hemdsärmeln seine unsentimentale Nachlasspflege und kondoliert mit "Bang Bang" als mahnendes Traktat dem tragischen Schicksal eines weltmissionierenden Pop-Agitatoren namens John Lennon.
"Got Change For A Million?" ist eine dieser beherzten und zum Heulen gestrigen Liebeserklärungen an ein unverkrampftes musikalisches Gefühl zwischen Harmoniebedürfnis und aufkochender Wut.
Um den unter Hochdruck feuernden Kessel des mittlerweile rasenden Band-Zuges nicht gefährlich abzukühlen und dem Jack Daniels-durchbluteten Energielauf eines überkompensierten Frontmannes genügend Fluss zu spenden, nutzten Brötchengeber Uwe Tessnow und sein lauschiges Hamburger Line-Label diesen Umstand, um mit einer mitreißenden Live-Produktion seinen knurrigen Schützling endgültig in Granit zu schlagen.
So quartierte sich eine nach bluesgeerdetem Humus lechzende Musiker-Horde samt ihrem Spiritus Rector drei Tage im altgedienten hanseatischen Teldec-Studio ein, um sich völlig ohne Netz und doppelten Boden mit Meister Levises fusseligem Gemisch aus bastardisiertem Soul'n'Funk und altväterlichem Blues die harte Kante zu geben.
Unter dem Druck dieser hanfvernebelten Big Brother-Extreme evozierten die Protagonisten ungebremst hausgemachten Adepten-Geist aus afroamerikanischen Ghettos und Detroits verdreckten Straßenschluchten, um angesichts musikalisch roher Vorlagen dennoch detailversessen und mit Jam-Charakter zu jubilieren.
Die insgesamt vierzehn Songs winden sich wie im schäumenden Strudel aus aggressiven Saitenausflüchten und unbändig rumpelnder Rhythmussektion, drohen unzählige Male sich scheinbar darin zu verlieren, um mit Ryders gurgelnder Gesangs-Dramatik eines von Entsagungsqualen gepeinigten Gospelpriesters letztendlich doch wieder die Studiobretter zu verspüren.
Selbiger schlachtet neben Eigenem zu guter Letzt unverhohlen das Goldene KalbDylan'scher und Al Green'scher Arrangement-Seancen und muss mit Stippvisiten zu jugendlichen Las Vegas-Extravaganzien den alten Affen seiner eigenen Eitelkeiten genügend Zucker anbieten.
"Live Talkies" rangiert heute zweifelsohne in den Top 20 der konservierten Livedokumente, vermochte aber zur Erstveröffentlichung schon mit immensem tontechnischem Know-how aufzutrumpfen. Das ursprünglich als Doppel-Vinyl plus Maxi vermarktete Format wurde als eines der ersten im dynamischeren Direct Mastering-Verfahren direkt vom Schneidestichel in die kupferne Pressvorlage produziert, wodurch der organische und ohne jeglichen technischen Firlefanz behaftete Livesound schon allerhöchste Hörgewohnheiten vorwegnahm.
Das rührige Repertoire Label hat bei beiden Wiederveröffentlichungen gewohnheitsgemäß eine hervorragende digitale Restauration abgeliefert, deren hörbares Erlebnis dadurch merklich dazuzugewinnen vermag. Ebenso wurde an ausführlichem Informationsschatz in den Begleit-Booklets nicht gegeizt und jeweils ein aktuelles bzw. exklusives Gespräch mit dem Altmeister abgedruckt.
Bei "Live Talkies" hat man erfreulicherweise doch gleich ein bisher nicht auf Silberling gebanntes Konzert-Osterei aus der Rundfunk-Asservatenkammer von 1980 dazugepackt, welches wiederholt beweist, dass musikalische Zwangsehen zwischen einem schroffen R&B-Barsänger und einer Horde schwer zu bändigender Hard Rock-Söldner durchaus kongenial tönende Rotzbengel zu zeugen vermochten.
Line-up:
Mitch Ryder (vocals, tambourine)
Mark Gougeon (bass guitar, vocals)
Richard Schein (guitar)
Joe Gutc (guitar)
Billy Cernits (keyboards, vocals)
Wilson Owens (drums, vocals)
Tracklist
Got Change For A Million?:
01:My Heart Belongs To Me
02:Back A Work
03:That's Charm
04:Red Scar Eyes
05:Bang Bang
06:Betty's Too Tight
07:Ich bin aus Amerika
08:Bare Your Soul
09:We're Gonna Win
Live Talkies (Live at Teldec Studios Hamburg, 1981):
01:It's All Over Now
02:Corporate Song (It's Not For Me)
03:Bang Bang
04:Subterranean Homesick Blues
05:Wicked Messenger
06:Er ist nicht mein Präsident
07:Take Me To The River
08:Tough Kid
09:Red Scar Eyes
10:Long Tall Sally/I'm Gonna Be/A Wheel Someday
11:Liberty
12:Ain't Nobody White
13:True Love
Easter In Berlin 1980 (Easter Concert 6.April 1980, Deutschlandhalle West Berlin):
01:Long Hard Road
02:Ain't Nobody White (Can Sing The Blues)
03:War
04:Corporate Song
05:Liberty
06:Nice & Easy
07:True Love
08:Tough Kid
Externe Links: