Die Stimme Detroits: Noch immer gewaltig und urwüchsig
Mitch Ryder verwandelte auf seiner You Deserve My Art-Tour die Halle in Reichenbach in eine Detroiter Club-Party. Die unverwechselbare Stimme mit dem Reibeisen-Touch und einer elektrisierenden Begleitband riss das Publikum zu Beifallsstürmen hin.
Eigentlich mehr ein Musikmärchen. Die Hauptfigur, Mitch Ryder, der bereits im zarten Alter von 17 in Detroit seine erste Single aufnahm und dann mit einer Melange aus purem Soul und peitschendem Rock'n'Roll erste Erfolge mit seiner Band Mitch Ryder & The Detroit Wheels hatte. Nach Soloausflügen und einer mehrjährigen Auszeit wurde der zwar hoch gelobte, aber nicht gerade pflegeleichte Sangesstar in der legendären Rockpalast-Nacht von 1979, dank eines phänomenalen Live-Gigs und einer Serie von Ausrastern, so etwas wie eine Kultfigur aus Motorcity, der allerdings nur in Europa Erfolg hatte.
Mitch Ryder lebte das Leben eines unangepassten Rock'n'Roll-Stars mit all seinen Klischees und Schattenseiten. Eigentlich so etwas wie das lebendige Vermächtnis der einst pulsierenden Weltmetropole des Automobilbaus, die nun nach vielen Rückschlägen am Boden liegt und nach der letzten Krise, am Dollartropf des amerikanischen Steuerzahlers hängt.
Mitch Ryder verkörpert all das und liefert bei seinen Konzerten kompromisslose und ehrliche Musik, die er mit viel Vocal-Power und einer erstklassigen Begleitband im Rücken an das Publikum weitergibt. Ein Konzertereignis zwischen Soul, Funk und bluesigen Rockharmonien und das alles verarbeitet zu einer elektrisierenden Live-Übertragung.
In der gut gefüllten Reichenbacher Halle pegelte sich die Erwartungshaltung hoch auf dem Stimmungsbarometer ein, als der Michigan-Rock'n'Roller mit langsamen Schritten auf das Mikro zukam und sofort die Stimme rotieren lies. Mit seiner 5-köpfigen Band ( Engerling) klatschten Guitar- und Basspower, starke Backgroundstimmen und mächtige Drums, veredelt von einem Keyboarder mit internationaler Klasse, in das Auditorium. Passend dazu röhrte ein mittlerweile in die Jahre gekommener Ausnahmeshouter ein mehrdimensionales "Long Hard Road" mit traditioneller Rockrhythmik, dazu noch "It Ain't Easy" aus den Anfangstagen, mit ekstatischer Power aus den Boxentürmen.
Mitch Ryder kann's noch - und wie. "21st Century", "The Promise", "Try And Must" und " Ain't Nobody White" setzten Akzente von einem mit sparsamsten Gesten agierenden Rocker der ersten Stunde. Die Töne wurden in beinahe sinfonischer Dramatik in das Mikro gezwungen. Man merkt, der Mann lebt das, was er singt. Dazu kommen die Duelle der beiden Gitarristen, die einen Soundteppich aus Vergangenheit und Gegenwart packend miteinander verweben. Dazu Texte mit Witz und Sarkasmus, an der Realität orientiert, etwas Lyrik, emotional und mit viel Tiefgang, die aber nie in den Verdacht kommen, abgegriffen oder leer zu wirken.
Mitch Ryder, ein Meister der großen Worte und sparsamen Bewegungen, der wie ein Fels inmitten der sich ständig ändernden Bewegungsszenerie seiner Mitstreiter agiert und doch niemals die Coolness des über den Dingen stehenden Virtuosen verliert.
Selbst ruhige und melodische Töne hat der Altmeister bei dem softeren "All The Fools It Sees" im Griff. Eine Gänsehautballade, entstanden aus Blues & Roots, wird in typischer Ryder-Manier beinahe hineingehaucht, bis das ekstatische, ungebändigte Organ wieder die Oberhand gewinnt.
Begleitet von tosendem Applaus werden noch typische Songs wie "Hermans Garden" und "War" mit glasklarem Gitarrensound und der Lust am puren Rock in die Menge geblasen. Genug Zeit sogar für Soloeskapaden der Mitmusiker, die den Abgang ihres Tonleiterführers in die Katakomben des Backstage-Bereichs dazu nutzten, in einem Instrumentalduell zwischen Keyboarder und Leadgitarrist zu zeigen, dass sie ihre Werkzeuge bis zum letzten Anschlag virtuos beherrschten.
Rock-, Blues-, Slideeinlagen... so packend wie diese Show, in der neben den Songs der früheren Zeiten und bekanntem Material wie "Red Scar Eyes" und "Thank You Mama" auch die Coverversionen in neuem Glanz erstrahlten: "Take Me To The River" und "Gimme Shelter", ein Al Green und ein Rolling Stones-Song, passt das zusammen? Natürlich, wenn der Meister selbst Hand und Stimme anlegt und daraus ein Format-Monster zimmert, dass die Ur-Interpretation in der Erinnerung verblassen lässt.
Volle Kanne, gib dem Volk die Ramme, so könnte das Credo dieses Dauerfeuers an Vokalakrobatik in der Rückschau benannt werden. Bonmot am Rande, die Entschuldigung Ryders, dass er infolge eines ausgedehnten Partybesuchs vom Vortag nicht voll bei Stimme sei. Wer allerdings im Zugabenteil den Klassiker "Heart Of Stone" in einer derart lebendigen und kompakt arrangierten Version bietet, der darf viele Nächte Party machen.
Mitch Ryder hat mit Routine und Herz, letzteres ist wirklich nicht aus Stein, in bester Entertainer-Qualität ein perfektes akustisches Erlebnis zelebriert und leidenschaftlich gezeigt, wie man richtig rockt.
Setlist:
01:Long Hard Road
02:It Ain't Easy
03:21st Centuray
04:The Promise
05:Try And Must
06:Ain't Nobody White
07:All The Fools It Sees
08:Herman's Garden
09:War
10:Red Scar Eyes
11:Thank You Mama
12:Tough Kid
13:Take Me To The River
14:One Hair From Disaster
15:Shelter
Encore 1:
16:Argyle
17:Heart Of Stone
18:Betty's To Tight
Encore 2:
19:Soul Kitchen
Line-up:
Mitch Ryder (vocals, tambourine)
Boddi Bodag (organ)
Heiner Witte (guitar, slide guitar)
Gisbert Piatkowski (guitar)
Manne Pokrandt (bass)
Hannes Schulze (drums)
Externe Links:
|