Und wieder neues Futter von Paul Roland. Nachdem Sireena im letzten Jahr zweit alte Werke des Briten ins neue Gewand gesteckt hat ( den Londoner Werwolf und Bates Motel) suchen uns jetzt "Hexen" heim. Und nein – hier habe ich den Albumtitel nicht eigenmächtig übersetzt, auf der CD steht tatsächlich das deutsche Wort – hier könnte unter anderen Umständen aber auch das Wort 'Häxan' oder 'Heksen' stehen. Oder hätte können, wenn nicht...
Die Ursprünge von "Hexen" gehen nämlich ins Jahr 2006 zurück, als Paul noch in Deutschland lebte und gemeinsam mit befreundeten Musikern eine Neubearbeitung, mit komplett neuem Soundtrack, des dänischen Stummfilms "Häxan" von 1922 erstellen wollte. Ein Film, der zwischen Dokumentar- und Spielfilm wechselt und in sieben Abschnitten von Mystizismus, Hexen, Hexenverfolgung erzählt. Dieser war in unterschiedlichen DVD-Versionen unterwegs, mit Jazz-Jam, Orchester, Industrial-Rock oder Dulcimer-Untermalung und stand – so Rolands Annahme – unter Public Domain-Rechten. Er begann mit den umfangreichen Arbeiten, die neben der Musik auch eine weitgehende Überarbeitung der Zwischentitel beinhaltete.
Unterstützung fand er bei musikalischen Freunden wie Ralf Jesek (u. a. In My Rosary,
Derriere Le Miroir), dessen Beteiligung so intensiv war (drei Songs stammen aus seiner Feder), dass er auch auf dem Titelbild aufgeführt wird, und Tobias Birkenbeil von Lakobeil. Später gesellten sich auch noch Nico Steckelberg und Joran von Elane dazu. Nach fast einem Jahr intensiver Arbeit, der Film war fertig, das Release (vermeintlich) in trockenen Tüchern, kam die Benachrichtigung, dass das schwedische Filminstitut die Rechte am Film besitzt und die Veröffentlichung der Paul Roland-Version untersagte.
Damit nicht die ganze Arbeit vergebens war, hat Paul, auf der Suche nach Songmaterial für das italienische Label Palace of Worms, einen Teil der Songs, die er für seinen "Häxan"-Film geschrieben und aufgenommen hatte, sowie einige weitere thematisch passende Lieder neu dazugenommen und so einen eigenständigen Soundtrack fürs Kopfkino produziert. Dazu gibt er den Hörern mit auf den Weg »So find yourself a quiet cloister or nook in the woods and see if these tracks conjure up the movie that sinister forces forbade you to see! «.
Mein allererster (zugegebenermaßen sehr oberflächlicher – da beim Kochen nebenherlaufen lassen) Höreindruck war – typische Paul Roland-Scheibe. Seine Stimme, seine ganz markanten Themen, Stimmungen und Harmonien prägen das Album so, dass es ihm ziemlich klar zuzuordnen ist.
Beim intensiveren Zuhören gibt es dann ganz viele Finessen zu entdecken, die "Hexen" dann doch stark von den beiden bei Sireena rausgekommenen Scheiben unterscheiden.
Stark und sehr gut ins Gesamtbildbild passend finde ich hier die lateinischen Choräle und Kirchenorgel, beispielsweise beim ruhigen und sehr stimmungserzeugenden Opener "Sanctus" bevor es dann in der "Night Of The Witch" rockiger und 'typischer' wird. Diese ganz eigene Paul Roland-Handschrift mit ihrem Stilmix, der nicht in gängige Schubladen passen will. Hier ist Rock dabei, es klingt ein wenig psychedelisch und stellenweise glitzert es ein bisschen glamourös. Mal soliert eine verzerrte E-Gitarre, dann wieder begleiten Flöten eine zart gezupfte Akustikklampfe. Der Gesang kommt mir variantenreicher vor, die Frauenstimmen im Hintergrund bereichern den Sound - nicht nur im "Devil's Wood". "Beltane" klingt alt, so 'traditional' wie dieser heidnische Feiertag in seinen Ursprüngen. Aber eigentlich will ich hier gar keine Einzeltitel sezieren, denn dazu ist "Hexen" viel zu sehr als Gesamtwerk angelegt.
Und als solches überzeugt es mich durch Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit. Es ist experimentell, stellenweise gar jammig, spielt dabei mit unglaublich vielen Einflüssen wie traditionell folkigen bis hin zu mittelalterlichen Elementen, immer wieder Zitaten aus der Kirchenmusik und Satiren auf selbige. Nur um dann im nächsten Song auf düsteren und düstersten Rock umzuschwenken. Der Anfang von "Agnus Dei" könnte vielleicht sogar als (sehr moderater) Black Metal durchgehen, rockt im weiteren Verlauf rund bis sanft vor sich hin, wird von Sphärenklängen getragen, um dann mit Kirchenglocke und zufallendem Portal abrupt zu enden. Und dabei bleibt die Nummer in sich vollkommen stimmig!
Doch zurück zum Gesamtbild – wir haben hier ein Album, das nach einer guten Anlage - gerne mit Plattenspieler, denn es wird auch limitierte Vinyl-Versionen geben – mit einem guten Kopfhörer, Zeit, etwas Fantasie und der unabdingbaren Bereitschaft, sich ganz intensiv darauf einzulassen, schreit. Dabei ist es nicht unabdingbare Voraussetzung, schadet aber auch keinesfalls, sich wenigstens ein wenig für die Themen Pagan, Hexen, Hexenverfolgung und Naturmystik zu interessieren.
"Hexen" lädt nicht nur dazu ein, sich den ganz eigenen Film zum Soundtrack auf die innere Leinwand zu projizieren, sondern auch dazu, ganz genau hinzuhören. Besonders auf das, was da rein musikalisch passiert.
Ausgesprochen faszinierend. Spannend. Überraschend. Geiles Teil. Kaufen!
PS: Britischer Humor oder unfreiwillige Komik? Auf der Suche nach dem Veröffentlichungstermin wurde ich zuerst beim gut katholischen Buchversender Weltbild fündig. Freuen wir uns über die späte Wiedergutmachung oder werten es als Anzeichen, dass angesichts des Insolvenzverfahrens alte Werte nicht mehr zählen?
Line-up:
Paul Roland (vocals, acoustic and electric guitars, acoustic bass, keyboards, percussion)
Mick Crossley (lead guitar)
Ioran (backing vocals, flute)
Joshua Roland (bass)
Veronique Rocka (violin, church organ, bass)
Violet The Cannibal (drums)
additional musicians:
Tobias Birkenbeil
Nico Steckelberg
Patrycja Studzinska
the monks and nuns of St. Girtons
Tracklist |
01:Sanctus
02:Night Of The Witch
03:Devil's Wood
04:Beltane
05:Wicker Man
06:As I Walked Out One Morning
07:Witch's Hovel
08:Scourge of the Lord (Jesek)
09:Benedictus
10:Monastery
11:Agnus Dei
12:Inquisitor (Jesek)
13:Nuns Possessed (Jesek)
14:Sanctus Miserere
15:Orgy In The Woods
16:Kissing The Devil's Arse
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