Seit langem mache ich mir gerne einen Sport daraus, die Instrumentalstücke eines Albums an ihrem Namen zu erkennen. Geht nicht? Oh doch, das geht... ich nenne nur mal die "Ballad Of The Sacred Cows" von Tiles, "YYZ" von Rush oder Totos "Party In Simon's Pants" als Beispiele... und da bedarf es keines zweiten Blickes auf die Tracklist von Relocator, um bei Titeln wie "Proxima" und "Urban Blue" goldrichtig zu liegen mit der Ahnung: Jawoll, Instrumentalalbum! Das Problemchen ist, ich hab's eigentlich nicht so mit Instrumentalwerken der reinen Sorte... oder sollte ich sagen, 'hatte'? Relocator hat sich ganz fix zu einem 'Blow-In-Your-Face-Album' für mich Vokalmusik liebenden Progressive-Fanatiker entwickelt. Aber der Reihe nach...
Bei Relocator haben wir es mit einem internationalen Grüppchen zu tun. Geografischer Mittelpunkt des Projektes ist die Gegend um Nürnberg/ Erlangen, wo Gitarrist Stefan Artwin und Basser Michael Pruchnicki - der Kern des Projekts - und auch der erst 2002 aus Polen zugezogene E-Geiger Bartek Strycharski wohnen. Hinzu kommen der niederländische Drummer Frank Tinge (spielt in seiner Heimat auch bei Superbug) und natürlich, wohnhaft in the US of A, Super Duper Special Guest Musician Derek Sherinian. Zusammen ist das eine Wahnsinnsmischung: vier vor Ideen strotzende, begnadet gute Hobbymusiker und ein echter Superstar der Stilrichtung, in der sie ihre musikalischen Ideen nun endlich auch, für jedermann erhältlich auf CD gebannt, ausleben.
Es ist nicht weit entfernt von Sherinians Solo-Platten oder auch Planet X, seinem Projekt mit Super-Drummer Virgil Donati, was Relocator hier abliefern: anspruchsvoller Progressive Metal mit Fusion-Schlagseite. Doch sie haben mit ihrem E-Geiger Bartek Strycharski noch einen ganz besonderen Trumpf im Ärmel, mit dem andere nicht aufwarten können. Der Klang der fidelen Solo-Fiddeleien erinnert unweigerlich an Kansas, wobei... weniger an Robby Steinhardt, denn vielmehr an den aktuellen Ober-E-Geiger des Symphonic Rock, David Ragsdale. Doch nicht nur das macht das Relocator-Debüt zu einer saustarken Veranstaltung - es ist auch das 'Song'-Writing, das mich süchtig nach dieser Musik macht.
Im Vergleich zu Planet X & Co. erscheinen mir Relocator 'griffiger'. Den Stücken zu folgen ist trotz Längen bis zu elfeinhalb Minuten einfach easy-peasy. Trotz allerhand Spielereien mit verzwirbelten Zählzeiten hebt man nicht ab, bleibt auf dem (fliegenden) Teppich. Relocator sind trotz gelegentlicher Zappa'esker Spielereien nicht hochtrabend avantgardistisch, sondern produzieren stringente Kost, die den Hörer ganz intuitiv mitnimmt. Dafür sorgen markante Hooklines, die sich wie ein roter Faden durch die Tracks ziehen, trotz der kunstvoll-spritzigen Ausschöpfung zigfacher Variationsmöglichkeiten. Treibende, kräftig groovende Heavy-Riffings von überraschend intensiver metallischer Schwerkraft sind es, die unentwegt nach vorn pushen. Und natürlich die rhythmisch akzentuierten Synthesizer-Hooks im 80er-Jahre-Flair, die mit entsprechend klingenden Gitarreneffekten und hervorstechenden Brummelbässen immer wieder Noten von Funk einfließen lassen.
Der musikalische Ansatz hat oft etwas Jazziges. Themen wandern unentwegt durch die Instrumente; in "Red Vibes" sind es gar zwei Hooklines auf einen Streich, die da ganz raffiniert auf dem Experimentiertisch der Prog-Kunst miteinander verbunden werden. Und egal, welche Melodie gerade den Ton angibt, wenn Geige und Gitarre einander den Staffelstab hin- und herschieben, oder ob Mr. Sherinian gerade auf den Tasten tobt - er spielt a-l-l-e Keyboardsoli! - der 'Rest' verfällt niemals in eine Statistenrolle. Da kann es schon mal passieren, dass eifrig soliert wird und die Rhythmussektion parallel dazu dennoch quer durch den Garten exerziert. Meine Herren... wenn James Last hier der Band-Leader wäre, dann müsste er zweihändig im Dreieck schnipsen, um im Takt zu bleiben! Die Kunst bei alledem ist, dass es nie überladen wirkt. Double-Bass-Turbo-Passagen oder wilde Parallelläufe machen Platz für relaxte Vibes mit Basslines auf Wanderschaft.
Ganz wunderbar: Die Jungs zeigen nicht nur, was sie rein fingertechnisch können, sondern sie entwickeln auch fesselnde Spannungen! So ergeben sich unweigerlich diese Lieblingsstellen, zum Beispiel wenn die Mid Tempo-Synthesizer in "The Alchemist" in surreal-hypnotischer Atmosphäre unbeirrt ihre Kreise ziehen, während plötzlich diese monströsen Riffs über sie hineinbrechen. Oder natürlich die orientalischen Gefilde des überragenden Tracks "Aavishkar". Der beginnt mit einer Gitarre, die annähernd nach einer Sitar klingt, fast wie zu Beginn des Dream Theater-Tracks "Home". Das Ganze schraubt sich dann recht dramatisch hoch mit bis zum Bersten gespannten Atmosphären, die von der Geige mit einem hektisch zitternden Flageolett unterstrichen werden. Eine gute Stunde pendelt diese 1-A-Veranstaltung zwischen Mörder-Mid-Tempo-Grooves und polternden Double-Bass-Passagen, zwischen spacigem Keyboard-Funk und furztrockenem Heavy Metal. Und keine Sekunde davon wird vergeudet, so genial sind die Spannungsbögen ineinander verwoben.
Mich begeistert Relocator, weil ich auf Instrumentales von Rush, Toto, Dream Theater (nicht nur zu Sherinian-, sondern auch zu Rudess-Zeiten!), auf Magellan (gewisser Bombast-Faktor), Spock's Beard (die altmodischen, knarzigen Orgel-Sounds im Titeltrack!) und Joe Satriani ("Flying In A Blue Dream"!) stehe. Relocator verinnerlichen all das, was starken Prog ausmacht: rhythmische Diversität, technische Exzellenz und stilistische Vielfalt - garniert mit einer fetten Portion Coolness. Bislang mochte ich Instrumental-Alben vor allem dann, wenn sie so aufgebaut waren, dass jederzeit auch Gesang hätte hinzukommen können. Relocator ist das erste seiner Art, auf dem ich von vorn bis hinten keinen Menschen hören möchte, der den Mund aufmacht. Klasse!
Line-up:
Stefan Artwin (guitar, programming)
Michael Pruchnicki (bass, fretless bass)
Frank Tinge (drums, percussion)
Bartek Strycharski (electric violin)
Guest Musician:
Derek Sherinian (keyboard)
Tracklist |
01:Red Vibes (6:15)
02:Biosphere (8:02)
03:Relocator (5:26)
04:Proxima (1:27)
05:Aavishkar (10:33)
06:13 Reasons (6:33)
07:Urban Blue (6:35)
08:The Alchemist (11:33)
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