Rien / There Can't Be Any Prediction Without Future
There Can't Be Any Prediction Without Future Spielzeit: 54:33
Medium: CD
Label: L'Amicale Underground, 2007
Stil: Underground

Review vom 16.05.2008


Ulli Heiser
"There Can't Be Any Prediction Without Future" - prägnant und wahr. Ganz anders dagegen das Einlesen, mit wem man es bei Rien zu tun hat. Das Line-up mag da erster Hinweis sein - einfach Realname und Instrument angeben, ist nicht. Was davon zu halten ist, dass die Bandgründung 1999 in Grenobel (das kaufe ich jetzt mal ab) erfolgte, um durch das Spielen einer 20-minütigen 'Schamanenshow' den angekündigten Y2K-Bug zu verhindern, mag jeder für sich entscheiden. Das gilt auch für die Ankündigung, dass die Franzosen ihre Bandauflösung im Jahr 2014 während des japanischen Sommerschlussverkaufs geplant haben.
Im Jahr 2003 erschien das erste Album "Requiem Pour Des Baroquex", welches (wie das vorliegende Werk auch) auf der Labelseite kostenlos herunter geladen werden kann. Diese Praxis begegnete mir jetzt in sehr kurzer Zeit bereits drei Mal und in meiner Review zu Captain Obvious ist meine positive Meinung darüber zu lesen, so dass ich hier nur empfehlen kann, das Angebot anzunehmen. Die Musik von Rien lohnt das allemal, will ich bereits jetzt konstatieren.
Seit "There Can't Be Any Prediction Without Future" ist der »permanent guest« Francis Fruit festes Mitglied. Das scheint auch zu stimmen, wobei der Zusatz, dass ihn das vor dem Eintritt bei den Scientologen bewahrte, wieder meine rechtes Auge zucken lässt. Ebenso, dass 'er' schwanger werden würde, sollte er Rien nicht beitreten.
Und weiter mit den Merkwürdigkeiten: Als Stil kann man auf der Bandseite »melodramatischer Pop-Song und japanische klassische Musik« lesen. Nun ja, ich nenn das absoluten Underground. Selbst das oft bemühte 'progressiv' bei schwer einzuordnenden und unpopulären Outputs greift hier kaum. Der Augenzwinkereffekt stellt sich auch bei der Stelle ein, wo die 'MySpace-Bands' angeben können, was der Hörer als Entscheidungshilfe zu Rate ziehen kann: Klingt wie »it sounds«. So ist es.
Der Promoter, der mir das Album der Franzosen vermittelte, weiß ob des Teils meines Musikgeschmacks, der wohl die komplette RockTimes-Redaktion in den kollektiven Suizid treiben würde. Oder noch schlimmer, sie als bekennende Mitglieder in das Deutsche Grüne Kreuz eintreten ließen.
Also auf, zur Musik. Ich empfehle ja weiter oben den freien Download der Scheibe, setze aber ein dickes ABER dahinter, denn dann fehlt das Booklet, welches (wen wunderts?) auch keines der normalen Sorte ist. Man kann die Pappe auseinanderfalten und sich eine Pyramide basteln. Das werde ich tunlichst vermeiden, denn dazu wären dann ein paar Ecken zu knicken und in vorgestanzte Öffnungen zu schieben. Das Booklet könnte leiden und außerdem den Zugang zu den Songinfos verschließen. Diese Infos haben es nämlich in sich. Es handelt sich nicht um abgedruckte Lyrics, sondern um Erklärungen, um was es in den Tracks geht.
In "Jesusfuckingchristallighty" zum Beispiel um das Böse in der Welt, mächtige Männer, Satan und Anschläge. Bei "This Is Our Grunge" um den Tod von Curt Cobain und die damit verbundenen Ungereimtheiten. Weitere Nummern behandelt Verschwörungen, Geheimdienste, Scientologie, die Roswell-Theorie, Albert Hofmann 'sein' L.S.D. und den CIA, der 'seltsame' Tod von Jean-Edern Hallier und die noch seltsameren 'Nichtuntersuchungen' der Todesursache. Und so weiter. Thematisch bewegen sich Rien also durchaus so, dass man wirklich schlecht ein Line-up schreiben kann, in dem steht: Gitarre, Bass, Vocals, Drums & Percussion.
Die stilistische Bandbreite ist schon gigantisch, obwohl alles aber auch unter ein Dach passt. Schrägen, verzerrten Stimmen und Textfragmenten steht cleaner, weiblicher Sprachgesang ("Humpty Dumpty Was Pushed") gegenüber. Dazu engelhafte backings und Klänge, wie sie wohl im Zenit einer musikalischen Wolke aus Tönen von Künstlern wie Pink Floyd, Stockhausen und Brainticket zu vernehmen wären. Als Odysseus an der Insel der Sirenen vorbeisegelte, muss es vom Gestade her wohl so geklungen haben wie in "Hunting Party In Desuville": Unverschämt klasse und süchtig nach mehr machend. "Se Repulen" kann ich textlich nicht folgen, da dieses Sück in französisch gesungen/gesprochen ist und meine Kenntnisse der Sprache eher auf unterstem Touristenlevel liegen. Aber die Erklärung im Booklet sowie die Stimmung der Musik sprechen für sich. Und sicher werde ich der Empfehlung nachkommen und das folgende 'Experiment', welches Rien "Se Repulen" mit auf den Weg gibt, mal angehen:
»Print out a copy of the painting Se Repulen
Blacken the eyes of all the demons.
Fold three times lengthwise and then draw four verticals parallel lines.
You are not dreaming: Francisco Goya had forseen the crash of the Twin Towers, more than 200 years before their time.«
Elektronische Elemente wechseln sich ab mit akustischen und elektrischen Gitarrenausbrüchen. Voice-Samples treffen auf glasklare Stimmen - so der Gesamteindruck des Albums; ungewöhnliche Choreografien zu manchmal minimalistischem Rhythmus. Fast als Ohrwurm und zu großem Teil beinahe radiotauglich präsentiert sich "B.A.S.I.C."
Abgespact dagegen "Cortez": Verzerrte Riffs konkurrieren mit schwiegermutterkompaiblen Melodien. Und einen astreinen Country Jam gibt es auch noch: "Cowboys Don't Cry", heißt die schräge Nummer.
Eine abgefahrene Platte also. Sie sind eine Post Rock-Band, sagen Rien. Das trifft schon irgendwie zu und wenn Rockmusik eine DNA hätte, wäre diese in Riens Musik nur als sehr entfernte Verwandtschaft auszumachen.
Line-up:
dos.3 (autistic multitasking faciliter)
DJ Goulag (northern error conveying a peculiar human hope in his excesses)
{aka} (first hour disciple)
yugo (solo coordinator with slavonic methods)
francis fruit (permanent guest)

Orchestrators in the dark:
Brain aka Cowboy (keyboard sounds)
Jull (texts voice)
Arash (concert flute)
Herr Braun (dark voice)
Rachel (cool voice)
Apolline (voice)
Tracklist
01:Jesusfuckingchristallighty (feat. Dave Brown)
02:This Is Our Grunge
03:There Can't Be Any Prediction Without Future
04:B.A.S.I.C. (feat. Damon Locks & Ralph Darden)
05:Cortez
06:Cowboys Don't Cry
07:L.S.D. - Leisure Activities, Sport And Dekolleté
08:Humpty Dumpty Was Pushed (feat. Apolline)
09:Hunting Party In Desuville
10:Se Repulen (feat. Jull)
Externe Links: