Rizzo / Public Animal
Public Animal Spielzeit: 50:30
Medium: CD
Label: Magic Minds Records, 2007 (1980)
Stil: Rock


Review vom 07.05.2007


Markus Kerren
So beachtlich der Erfolg der deutschen Krautrock-Legende Jane aus dem niedersächsischen Hannover in den siebziger Jahren war, so abenteuerlich war auch deren Personalpolitik. Ab Gründung der Band im Jahr 1970 waren bis ca. 1982/83 lediglich Klaus Hess (Gitarre, Gesang) und Peter Panka (Schlagzeug, Gesang) ständig in der Band. Trotz all dem Kommen und Gehen fast im Albumtakt gab es aber ab dem vierten Album "Lady" noch einen dritten Stabilitätsfaktor. Und der hieß Martin Hesse (Bass, Gesang), der immerhin bis zum zehnten, gleichnamigen Longplayer (auch 'Die Maske' genannt) an Bord blieb.
1980 war es aber nach sechs Jahren soweit, dass auch der gute Martin wegen kreativen und bandpolitischen Gründen freiwillig seinen Hut nahm. Zusammen mit Klaus Zaake und Mario Timme gründete er seine eigene Band Rizzo und begab sich auch umgehend ins 'Jane-Studio', um das Debüt-Album "Public Animal" einzuspielen.
Da sich die Verkaufszahlen der LP damals in Grenzen hielten und wir ja mittlerweile alle wissen, dass auch (oder gerade) im Musik-Business nur noch diese zählen, kam wohl niemand auf die Idee, das damals aufgrund der Punk- und New Wave-Hysterie mehr oder weniger untergegangene Album auf das CD-Format zu übernehmen.
Fast niemand! Wenn es da nicht noch unverwüstliche Idealisten wie Bernd Kunze (der übrigens auch der Leiter des weltweiten Jane-Fanclubs ist) gäbe, der diese Wiederveröffentlichung vorantrieb, bzw. in die Wege leitete.
"Public Animal" ist ein klassisches Rockalbum und trägt vom ersten bis zum letzten Ton Martin Hesses Handschrift. Wer Jane-Songs wie z.B. "Love Can't Wait" (von "Sign No.9") oder "Easy Going" (von "Jane") kennt und mag, der wird an diesem Werk seine wahre Freude haben. Das Debüt der Hannoveraner wird aber nicht nur Jane-Fans überzeugen, sondern auch alle, die einfach Spaß am Rock der Siebziger und kompakten, melodiösen Songs mit kraftvollem Gesang haben, der hier und da sparsam und songdienlich von Tasteninstrumenten unterstützt wird.
Rizzo rocken und es fällt sehr schwer, sich hier auf Anspieltipps festzulegen. Die Eröffnungsnummern "Pat Hands" und "I Don't Care" sind tighte Rocker, deren Licks und Leitmotive entweder von der Gitarre oder den Keyboards beigesteuert werden und die Sahnehäubchen der kräftigen Rhythmusabteilung und dem geil-dreckigen Gesang darstellen. "Little Girl" geht schon direkt beim ersten Hören ins Ohr und spätestens beim dritten Refrain ertappt man sich beim Mitsingen. Das Rock'n'Roll-ige "Rizzo" dürfte der optimale Eröffnungstrack für die Konzerte der Band gewesen sein, während "Love Me" den Spagat zwischen deftigem Rock und seditativem, wie auch forderndem Gesang meistert.
Das Yardbirds-Cover "For Your Love" lässt einem, als erste Reaktion, die Augenbrauen in die Höhe wandern. Eine Wah-Wah-Gitarre und Keyboards eröffnen eine eher relaxte Version dieses Klassikers. Aber sehr bald schon kommt man nicht drum herum, die unerzogenen Mundwinkel nach oben zu ziehen, denn Rizzos Version ist, sagen wir mal... lasziv, unanständig. Dieser Coversong wirkt wie der ungewaschene Sonderschüler Rizzo im Vergleich zum gekämmten und gestylten Gymnasiasten Yardbirds. Oder anders gesagt: Es hört sich an wie Keith Relf, der nach einer dreitägigen Sauftour im zweitbilligsten Puff der Stadt seine letzten 'charmanten' Angebote macht, bevor er teuflisch grinsend vom Barhocker fällt.
Nach der ersten Verwunderung richtig cool und ansteckend. Was diesen Song im Speziellen, aber auch das gesamte Album definiert, ist, dass er bzw. es mit jedem Mal Anhören besser wird und einem die Stücke einfach nicht mehr aus dem Ohr gehen.
Abgeschlossen wurde das Original-Album von "Rocker", dessen Anfangs-Riff sich gefährlich nahe an dem Klassiker "C'mon Everybody" befindet, sich dann aber in einen komplett eigenständigen und höllenstarken... ja, Rocker wandelt, und dem mit zwei Minuten relativ kurzen "Night-tramp", das jedes Rockerherz in Wallung setzt und für einen kernigen Abschluss sorgt.
Als Bonus für die CD-Veröffentlichung hat Martin Hesse (übrigens ganz alleine) im Jahr 2006 drei neue Songs eingespielt, die der Qualität des gerade besprochenen Albums kaum nachstehen. "I'm The Doc!" ist wieder eine Rock-Granate, während "Slip On My Slider" gekonnt als Funk-Rocker durch die Boxen strömt. Bei "The Outsider" geht es ruhiger, keinesfalls aber entspannter zu. Hier, wie auch in vielen anderen der Texte, wird deutlich, dass Hesse ein Individual-Anarchist zu sein scheint, was manchmal ein bisschen platt, größtenteils aber sehr sympathisch rüberkommt und wieder mal klarmacht, dass ein offenes Auge und Ohr für die eigene, individuelle Freiheit und die persönliche Unbeugsamkeit bezüglich sozialer Ungerechtigkeiten nicht mit dem Alter einschlafen müssen.
"Public Animal" wurde für die CD-Ausgabe noch einmal remixt und verfügt über einen klaren, treibenden und astreinen Sound. Leider blieb das Original-Line-up nicht sehr lange zusammen und es gab auch nur noch einen weiteren Tonträger von Rizzo, die 1988 erschienene Vier-Track-Single "Rock'n'Roll Barbarians", die jedoch mit vollkommen neuer Besetzung (nur Martin war noch dabei) eingespielt wurde. Hesse gründete danach Chain Gang und später (ca. 1996) The Chain, die bis heute existieren und Alben in Kleinstauflagen veröffentlichen.
Meine Frau und eine meiner Schwägerinnen sagen immer, dass sie meinen deutschen Akzent sehr sexy finden. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in dieser Hinsicht zustimmen kann, wenn es um meinen geliebten Rock'n'Roll geht. Und ich kann nur beten, dass meine Angetraute den Martin niemals trifft. Sonst is' die weg...
Aber das mit dem Englisch ist Auffassungssache und hat ansonsten überhaupt nichts mit der Güte dieses Rundlings zu tun. Nein, das hier ist ein sehr geiles Rockalbum und sehr schade, dass die Geschichte mit Rizzo mehr oder weniger im Sand verlief!
Freunde des guten Geschmacks: Hier sollte man zugreifen!!!
Erhältlich ist "Public Animal" über jks world oder hannoversong.
Unser Dank geht an Bernd Kunze, der uns mit Hintergrundinformationen bezüglich der Geschichte von Rizzo, bzw. Martin Hesse nach seinem Ausscheiden bei Jane versorgt hat!
Line-up #1-8:
Martin Hesse (guitars, bass, moog, vocals)
Klaus Zaake (drums)
Mario Timme (guitars)

Line-up #9-11:
Martin Hesse (all instruments and programming)
Tracklist
01:Pat Hands
02:I Don't Care
03:Little Girl
04:For Your Love
05:Rizzo
06:Love Me
07:Rocker
08:Night-tramp
09:I'm The Doc!
10:Slip On My Slider
11:The Outsider
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