Womit wahrscheinlich die Wenigsten noch gerechnet hätten, ist nun doch eingetroffen. Rose Tattoo veröffentlichen ihr neues und insgesamt sechstes Studioalbum. Warum man damit nicht mehr unbedingt planen konnte? Weil das
Jahr 2006 ein sehr, sehr trauriges in der Bandgeschichte war. Zum einen verstarb der Original-Bassist Ian Rilen († 23.10.2006, der vor den Aufnahmen des Debüt-Albums im Jahr 1978 allerdings schon wieder ausgestiegen war), zum anderen kam ihm aber Bandgründer Peter Wells († 27.03.2006), dessen eigentliches 'Baby' Rose Tattoo waren, sogar noch einige Monate zuvor.
Rose Tattoo ohne Pete Wells, ist das überhaupt möglich? Nun ja, gegeben hatte es das ja schon mal, und zwar in Form des für die Australier unsäglichen Albums "Southern Stars", das in keinster Weise gegen alle
anderen Werke der Band anstinken kann. Von daher war ich also erst einmal etwas skeptisch.
Dass die Band zusammen mit Wells gestorben wäre, haben bereits sowohl der
Vokalist Angry Anderson, als auch weitere Stimmen aus dem näheren
Band-Umfeld bestätigt. Wenn, ja wenn der gute Pete seinem 'Blutsbruder'
Angry nicht ca. zwei Wochen vor seinem Tod deutlich gemacht hätte, dass er
darauf besteht, dass die Tatts auch ohne ihn weitermachen. Heute ja nicht
mehr unbedingt üblich, waren die Bandmitglieder (und vor allem Wells und
Anderson) dicke Freunde, weshalb sicher auch der Albumtitel gewählt wurde.
Es wurde also zur Pflichtaufgabe gemacht, ein Album ganz im Sinne von und zum Gedenken an Wells zu produzieren. Was auch vortrefflich gelungen ist. Die oftmals auf die bösen, dunklen Brüder von AC/DC reduzierten
Protagonisten rocken mit "Black Eyed Bruiser", mit dem Steve Wright (Ex-The Easybeats) im Jahr 1974 schon mal einen großen Hit hatte, gleich höllisch kräftig los. Und sie beweisen erneut, dass sie immer noch über diese groß- und einzigartige Mischung aus erdigem, kraftvollen, frischen und melodischen Hardrock verfügen, der die Band schon seit jeher auszeichnet.
Und dreckig klingen sie, so als hätten sie seit mindestens drei Monaten keine Dusche mehr gesehen.
Dazu ein nicht zu überhörender Echtheitsfaktor, was die Credibility
angeht. "Slipping Away" haut in genau dieselbe Kerbe. Krachende
Gitarrenriffs, eine Rhythmusabteilung, der man lieber nicht nachts im Dunkeln
begegnen möchte und dazu Angry Andersons charismatischer, sowie rauer und
gleichfalls gefühlvoller Gesang verzieren den nächsten 100 %er.
Leute, das knallt und geht trotzdem wunderbar melodisch ins Ohr.
Eigentlich könnte ich jetzt aufhören zu schreiben, denn bereits nach dem zweiten Song ist klar, dass bei "Blood Brothers" nichts mehr schiefgehen kann. Seinen ersten großen Auftritt hat Neuzugang Dai Pritchard (an der
Slide-Gitarre) dann bei "Once In A Lifetime". Definitiv einer der stärksten Songs des Albums, selbst wenn die Slide-Guitar am Anfang (vielleicht ja aber auch bewusst als Hommage an den verstorbenen Kollegen) etwas an den Bandklassiker "Rock'n'Roll Outlaw" erinnert.
Der "City Blues" entführt uns direkt in eine der australischen Metropolen zur heißesten Zeit des Jahres. Langsam und zäh quälen sich die Gitarrenakkorde auf der Suche nach etwas Abkühlung durch die Boxen, Angrys
Stimme berstend vor Ausdrucksstärke und vor allem Feeling, bis man fast die Schweißtropfen sehen und riechen kann, die sich auf seiner Stirn und unter seinen Achseln gebildet haben. Bezüglich eines gemäßigten Tempos steht dieser Song übrigens alleine da.
Auf "Blood Brothers" wird ansonsten nach Herzenslust gerockt und gerollt. "Sweet Meat", "1854", "Man About Town" oder der keine Gefangenen machende Rausschmeißer "Lubricated" sind eine Wohltat auf die (dreckige) Rock'n'Roll
Seele. Hier ist eine Menge Herzblut mit eingeflossen und die schwer Tätowierten zeigen Bands jüngeren Alters eindrucksvoll, wo der Hammer hängt.
Und wer so geil verdorben wie Anderson am Anfang von "Nothing To Loose" lachen kann, der hat mit Sicherheit schon mehr, als nur die guten Seiten des Lebens gesehen. Dieser Lacher allein kommt exakt so rüber wie eine
Textzeile des Songs "Chinese Dunkirk" (von "Assault And Battery"), nämlich »Wenn der Teufel mich holen will, dann soll er kommen und es mal versuchen« (»If the devil wants me, he can come and try to get me«) .
Und der Nächste, der mir mit dem Spruch »Joh, Alter, Rose Tattoo kenn' ich,
is' doch diese AC/DC-Kopie« ankommt, wird von mir höchstpersönlich und unverzüglich zum 'zweiwöchentlich-rund-um-die-Uhr-Deutschland sucht den Superstar-anschauen' verurteilt.
"Blood Brothers" hört sich viel mehr nach den ersten beiden Alben
("Rock'n'Roll Outlaw" und "Assault And Battery") der Tatts an, als alles, was danach kam. Und der Hauptgrund dafür ist, dass überraschenderweise Mick Cocks an der Rhythmusgitarre wieder in der Band und mit seinen Riffs und Rhythmen alles wegstampft, was nicht schnell genug auf den Bäumen ist.
Definitiv prägt er den Gesamtsound ganz wesentlich mit. Bleibt die Frage,
wo sein Vorgänger 'Rockin' Rob Riley, ebenfalls ein Rocker vor dem Herrn,
geblieben ist?
Einen Pete Wells, speziell wenn es um die Band Rose Tattoo geht, kann man
selbstverständlich nicht ersetzen! Trotzdem ein dickes, fettes Kompliment an Dai Pritchard, der seine Sache wirklich hervorragend macht. Das haben Andere (verweise nochmal auf "Southern Stars") nicht auf die Reihe bekommen.
Respekt!
Ach ja, und noch was: Obwohl das 2002er Studio-Comeback "Pain" mich damals hoch erfreut hat und auch über mehr als eine Handvoll ganz starker Songs verfügt, ist "Blood Brothers" insgesamt stimmiger, mehr zusammen, besser
produziert, kurz und knackig, verfügt über die besseren Songs und klingt einfach wie aus einem Guss. Die Band hat sich auf elf Tracks konzentriert und diese so fokussiert eingespielt, als wollten sie's ihrem alten Kollegen als Abschiedsgeschenk überreichen.
Wenn eines nach dem Genuss dieser Scheibe klar wird, dann, dass solange es noch Bands wie Motörhead und Rose Tattoo gibt, es dem Freund des ungehobelten und dennoch qualitativ hervorragenden Rock um die Zukunft nicht
Bange zu sein braucht. Wer harten, dreckigen Rock liebt, der würde einen schweren Fehler machen, sollte er sich diese Scheibe nicht zulegen.
Und Pete Wells? Der wird sich da oben eines seiner geliebten Bierchen aufmachen und mit "Blood Brothers" garantiert seine helle Freude haben. Und mir geht es ganz genauso!!!
Line-up:
Angry Anderson (vocals)
Mick Cocks (guitars)
Dai Pritchard (slide guitars)
Steve King (bass)
Paul DeMarco (drums)
Tracklist |
01:Black Eyed Bruiser
02:Slipping Away
03:Once In A Lifetime
04:1854
05:City Blues
06:Sweet Meat
07:Man About Town
08:Creeper
09:Stand Over Man
10:Nothing To Loose
11:Lubricated
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