Roswell Six / Terra Incognita: Beyond The Horizon
Terra Incognita: Beyond The Horizon Spielzeit: 72:41
Medium: CD
Label: Progrock Records/SPV, 2009
Stil: Prog Rock

Review vom 30.06.2009


Boris Theobald
Große Namen machen noch lange keine gute Musik. Roswell Six ist leider ein Beweis dafür.
So viele Stars aus dem Prog-Genre machen hier mit, unter anderem die Sänger James LaBrie (Dream Theater), Michael Sadler (Saga), John Payne (Asia), Lana Lane (Ayreon) und Instrumentalisten wie Gary Wehrkamp (Shadow Gallery), Chris Quirarte (Prymary, Redemption), Martin Orford (IQ), David Ragsdale (Kansas) oder Kurt Barabas (Amaran's Plight, Under The Sun). Und trotzdem kommt so ein Murks dabei heraus - Mensch, ist das schade!
Dabei liest sich das Ganze doch so gut... "Terra Incognita: Beyond The Horizon" ist ein interessantes Crossover-Projekt aus Literatur und Musik. Der Fantasy- und Science Fiction-Autor Kevin J. Anderson liefert die literarische Vorlage zum Album mit seinem neuen Werk. Anderson ist international eine echte Hausnummer. Von ihm stammt beispielsweise die "Saga der Sieben Sonnen" - außerdem hat er viele Bücher zu "Dune - Der Wüstenplanet", "Star Wars" etc. verfasst.
Das neue, fast parallel zum Album erscheinende Buch "Terra Incognita - Book 1: The Edge Of The World" handelt von zwei fiktiven Kontinenten - Tierra und Uraba - deren Bewohner einander feindselig gesonnen sind. Schuld sind die unterschiedlichen Religionen. Eine Stadt, die beiden als heilig gilt, verbindet Tierra und Uraba geografisch und entzweit sie symbolisch: Ishalem. Ausgerechnet, als dort endlich ein Friedensabkommen unterzeichnet werden soll, geht die Stadt in Flammen auf. Man beschuldigt einander gegenseitig und das Gemetzel beginnt. Im Zentrum der Story steht natürlich ein Liebespärchen, das durch den Krieg auseinandergerissen wird - man kämpft gegen mystische Seeungeheuer, die räuberischen Schwadronen des Feindes und natürlich gegen die Sehnsucht.
Kevin J. Anderson, selbst bekennender Freund des klassischen Symphonic Rocks und auch neueren Prog Metals, wurde vom Label Prog Rock Records angesprochen. Dank zahlreicher Anknüpfungspunkte zwischen progressiver Rockmusik und Fantasy war seine Begeisterung für das Projekt schnell entfacht. So hat er aus dem Buch mit Hilfe seiner Frau Rebecca Moesta eine Storyline und die passenden Lyrics für dieses Prog Rock-Album entwickelt. Zum Komponieren der Songs hat man bei der Plattenfirma Songschreiber Erik Norlander (Rocket Scientists) engagiert - und zum Interpretieren selbiger dank guter Szene-Kontakte besagte Musiker.
Doch fragt man sich, was Alleinkomponist Norlander hier geritten hat. In Ansätzen erkennt man einen konsequent überraschungslosen Stil-Mix aus Rockopern wie Arjen Lucassens "Ayreon"-Reihe, Daniele Livaranis "Genius"-Trilogie und Trent Gardners Bombast-Soundtrack "Leonardo - The Absolute Man". Qualitativ kommt Roswell Six aber nicht im entferntesten an all diese Werke ran - diese viel zu langen 72:41 Minuten wirken im direkten Vergleich wie die Premierenaufführung der Musical AG in der Schulaula...
Uninspirierte Kinderlied-Melodien, eines anspruchsvollen ('Prog'!) Albums kaum würdig, mal triefend vor Pathos in völlig emotionsfreien Chor-Arrangements, mal einfach nur kitschig, werden in mindestens einer Hand voll Stücken von den Keyboards mit peinlichen Plastik-Fanfaren bestraft - leider vor den Ohren des erwartungsvollen Hörers. Dazu zum Teil Rhythmus-Gitarren, gegen die "Paranoid" von Black Sabbath richtig fortschrittlich war ("The Call Of The Sea").
Aus den hervorragenden Musikern wird erschreckend wenig rausgeholt. Es liegt der Verdacht nahe, dass sie sich gar nicht einbringen durften und genau vom Blatt spielen mussten. Chris Quirarte: an den Drums von Prymary und Redemption ein umherwirbelnder tasmanischer Teufel - hier ungefähr so energisch wie eine afrikanische Sumpfklettermaus. Und die wird auch noch zur Rennmaus, wenn das Schlagzeug minutenlang sinn- und planlos durchpoltern muss, siehe "I Am The Point", bei dem mittendrin auch noch irgendwelche deplatzierten Urwaldinstrumente auftauchen.
Ein spannungsgeladener 'Höhepunkt' wird bei "Beyond The Horizon" erreicht: Querflöte, Akustikgitarre und amateurhafte Klimpler-Klavier-Akkorde verströmen in etwa die Anmut eines Kindergottesdienstes. Nichts gegen Kindergottesdienste. Aber ein Kindesgottesdienst ist kein Progressive Rock!
Und dann noch die häufig zu Tage tretende musikalische Nähe zu den Vorbildern. All zu arg wird es bei "Here Be Monsters", das stark an Ayreons "Universal Migrator", speziell "Dawn Of A Millions Souls" erinnert. Und das ist noch gar nichts im Vergleich zu "Winds Of War", das den New Wave-beeinflussten Drive von Rushs "Red Sector A" ganz billig abkupfert. Das ist schlichtweg Ideenklau!
Etwas versöhnt wird man durch ein paar wenige Songs, die endlich mal Dramatik aufkommen lassen, wie die Classic Rock-geprägten "Anchored" oder "Swept Away" mit sehr dynamischem Riffing. Außerdem machen David Ragsdales (wenige) Geigen-Einsätze ganz im Stile alter Kansas wirklich Spaß. Und natürlich klingt manche Gesangspassage richtig gut, obwohl die eigens engagierten charismatischen Stimmen nun wirklich nicht ihre Stärken ausspielen dürfen. Dennoch haben Michael Sadler ("Letters In A Bottle"), John Payne ("Here He Monsters") und vor allem Lana Lane ("Winds Of War") starke Momente - trotz der zum Teil peinlich einfältigen instrumentalen Begleitung.
Am meisten Spaß macht aber das Instrumentalstück "The Sinking Of the Luminara" (toll, wenn man so viele Star-Sänger an Bord hat...), weil es als einziger Track progressive Kost mit Anspruch und Abwechslung bietet. So schafft es "Terra Incognita: Beyond The Horizon" doch noch mit Ach und Krach auf 4 von 10 RockTimes-Uhren, bleibt aber inmitten der etablierten Konkurrenz der Rock Opern biedere Konfektionsware - trotz der großen Namen.
Line-up:
James LaBrie (vocals)
Lana Lane (vocals)
Michael Sadler (vocals)
John Payne (vocals)
Erik Norlander (keyboard)
Gary Wehrkamp (guitar)
Chris Brown (guitar)
Kurt Barabas (bass)
Chris Quirarte (drums)
David Ragsdale (violin)
Mike Alvarez (cello)
Martin Orford (flute)
Tracklist
01:Ishalem (11:02)
02:The Call Of The Sea (6:27)
03:I Am The Point (5:44)
04:Letters In A Bottle (5:04)
05:Halfway (4:08)
06:Anchored (4:42)
07:Here Be Monsters (5:31)
08:The Sinking Of The Luminara (5:43)
09:The Winds Of War (4:51)
10:Swept Away (4:20)
11:Beyond The Horizon (5:11)
12:Merciful/Letters Reprise (5:07)
13:The Edge Of The World (4:42)
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