Rough Silk / A New Beginning
A New Beginning Spielzeit: 61:35
Medium: CD
Label: Dockyard 1, 2009
Stil: Heavy Metal

Review vom 19.03.2009


Boris Theobald
"A New Beginning" - bezeichnender hätte Ferdy Doernberg seine neue Rough Silk gar nicht nennen können! Nicht nur, dass seine Band jahrelang völlig auf Eis lag seit dem 2003er-Album "End Of Infinity" - rückblickend natürlich auch ein viel sagender Titel! Zur Wiederbelebung der eigenen Kapelle hat Doernberg, der u.a. auch dauerhaft bei Axel Rudi Pell spielt und als Session-Musiker immer gut gebucht ist (Uli Jon Roth, Gamma Ray, Destruction u.v.a.), aber kreativ offenbar nicht mehr voll ausgelastet war, auch eine komplett neue Band angeheuert. Die Herren Hort, Mandel und Well hat sich Doernberg aus seiner Hannoveraner Heimatgegend zusammengetrommelt; und sie sind allesamt eine musikalische Generation jünger als er selbst: Jahrgänge 77, 78, 79 im Vergleich zum Chef, Baujahr 67. Von den Gründungsmitgliedern ist zum 20. Geburtstag der Band sonst keiner mehr dabei.
Der absolute Neuanfang tut Rough Silk gut! Denn der letzte Output "End Of Infinity" war meiner subjektiven Meinung nach ein eher zweifelhafter Versuch von Metal-Musical-Mischmasch. Und nun bekommen wir eine Art Rough Silk 2.0 zu hören - zumindest ein ungleich frischeres, ambitionierteres Werk von Musikern, denen man durchweg die unbändige Lust auf neue Mucke anhört. Und die geht klarer als je zuvor in eine ganz bestimmte Richtung: Heavy Metal mit roher Power! Die Zeiten der Epic-/Melodic-Metaller Rough Silk - in Höchstform zum Beispiel auf "Mephisto" im Jahr 1997 - sind wohl endgültig vorbei. Schade um die alten Rough Silk - und ein Wände-wackelndes Willkommen an Ferdys neue Headbanger-Truppe!
Gefangene werden auf "A New Beginning" keine gemacht. Brachiale Angstmacher-Riffs erinnern an Metal der klassischen Schule im Stile von Accept. Im Chorus wird man ganz gern bombastisch, Double Bass-lastig und vielstimmig, meistens auch sehr hymnisch und eingängig. Zu Doernbergs ganz eigenen Markenzeichen zählen nicht nur die Vorliebe für Slide-Gitarre, sondern auch seine virtuosen Orgelsoli. Und getreu dem Bandnamen Rough Silk - rau wie Rohstahl, zart wie Seide - werden hier und da auch lyrische Klavierbreaks eingestreut. Das krasse Gegenteil von lyrischen Piano-Passagen sind die Stücke mit deutlichem Thrash-Charakter: "Reborn To Wait" (mega-coole Hookline!) und "Warpaint" zeigen, wo der Frosch die Locken hat. Mit dem unfreundlichen Gesang inklusive düsterer Shouts kann man kleinen Kindern nachhaltig Angst machen.
Auch der Titeltrack "A New Beginning" startet wutschnaubend-missmutig wie eine Metallica-Nummer mit der Schwerkraft eines Bulldozers und schaltet mittendrin um auf langsames Schauder-Riffing à la Tony Iommi. Annähernd episch geht es bei "The Roll Of The Dice" zu. Zornige Dampfwalzen-Riffs, eine Klavier- und Marschtrommel-Kulisse für den Gesangseinstieg, dann wieder plättende Gitarrenwände, und dann wird's melodiös-episch: Dunkle Chöre und dazu ein dämonisches Gekreische erinnern kurz an alte Savatage und Jon Oliva in Hochform. Dann wird Uptempo-mäßig gepoltert im Stile von Rage bei "Black In Mind". Und nun ein totales Break mit majestätischen Gitarren; da hört man ein paar Takte lang sogar eine Vorliebe für Queen raus! Und so weiter und so fort… schon krass, was in dem Stück alles drinsteckt.
Der Gegenentwurf zum durchgeknallten Titeltrack ist der gradlinig stampfende Hardrocker "Deadline", der wie eine Hommage an Judas Priest ("Breaking The Law", "Living After Midnight") klingt. Zwischenzeitlich zeigt die Band noch, dass sie den Ernst nicht mit Löffeln gefressen hat: "Sierra Madre" ist eine unterhaltsame Mixtur aus knüppelhartem Speed-Metal und einer Wildwest-Cowboy-Persiflage. "When The Circus Is Coming To Town" ist ein Party-Metal-Song rund um ein Metal-Groupie namens Cassandra. Und "We've Got A File On You"… was zum Geier ist das denn? Eine musikalische Satire über Datenspionage im Computerzeitalter. Die Botschaft: Ob du ein Terrorist bist oder brav deine Steuern zahlst, sie haben dich ganz genau im Auge! Und deine Frau und deine Katze gleich mit. Das Ganze klingt im Speed-Metal mit Call-And-Response-Chor wie eine Art Monty Python im Stahlwerk - der "Lumberjack Song" und "Every Sperm Is Sacred" mit E-Gitarre und Double Bass könnten so ähnlich klingen. Ganz schön ulkig!
Am Ende lassen Rough Silk das Album melodisch ausklingen - zunächst mit der Savatage-beeinflussten, getragenen Powerballade "We All Need Something To Hold On In This Life", und schließlich mit einer reinen Klaviernummer. Mit dem "Song For Hilmer" nimmt Ferdy Doernberg Abschied von Rough Silk-Gründungsmitglied Hilmer Staacke, der 2006 gestorben ist. Sehr persönlich singt er über den Tag, an dem er die Nachricht vom Tod seines Freundes erhielt. Musikalisch erinnert dieser wehmütige Schlusspunkt des Albums angenehm an einen Jon Oliva am Klavier.
In der Endabrechnung hat Ferdy Doernberg mit seiner 'neuen' alten Band ein kurzweiliges Metalalbum hingelegt. Das Zeug zum Klassiker hat es nicht - Rough Silk werden mit Studioalbum Nummer acht nicht aus dem Untergrund auftauchen, in dem sie all die Jahre (oft zu Unrecht) stecken blieben. Spaß macht "A New Beginning" aber alle Male.
Lange habe ich schließlich mit mir selbst gerungen, ob oder wie sehr mich die Gesangsleistung Ferdy Doernbergs anspricht. Erstmals übernimmt er die kompletten Vocals. Beim letzten Album teilte er sich den Job mit den Kollegen, nachdem er die Stelle des Lead-Sängers nach dem Ausstieg des zweiten seiner Zunft, Thomas Ludolphy, im Jahr 2002 nicht mehr neu besetzte. Nun… der kahle Rough Silk-Charakterkopf ist nicht der Sänger vor dem Herrn. Da wird viel gekrächzt, manchmal mehr in einer Art Sprechgesang denn professionell anmutend.
Aber so klingt er nun mal, und es sind seine Songs. Und es gibt noch viele andere Beispiele für suboptimale Gesangstalente mit Kultcharakter, zum Beispiel Peavy Wagner von Rage. Aber was nützt es, der großartigen Stimme von Jan Barnett, dem Rough Silk-Sänger der ersten Stunde und der ersten vier Alben, hinterherzutrauern? Naja, zum heutigen, harten und rohen Sound der Band hätte er vielleicht gar nicht mehr gepasst. Dennoch: Wenn Ferdy Doernberg beim nächsten Mal wieder einen hauptamtlichen Sänger an Bord holt, kann es noch weiter nach oben gehen.
Line-up:
Ferdy Doernberg (vocals, guitar, keyboard)
André Hort (bass, background vocals)
Mike Mandel (guitar, background vocals)
Alex Wenn (drums, background vocals)
Tracklist
01:Temple Of Evil
02:Home Is Where The Pain Is
03:Reborn To Wait
04:The Roll Of The Dice
05:When The Circus Is Coming To Town
06:Sierra Madre
07:A New Beginning
08:Warpaint
09:Black Leather
10:We've Got A File On You
11:Deadline
12:We All Need Something To Hold On In This Life
13:A Song For Hilmer
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