Autor Martin Popoff gratuliert Rush mit diesem Buch zum 30-jährigen Bandjubiläum, durch dessen Gelegenheit Fans in den Genuss einer umfassenden Aufarbeitung der Geschichte und des Wesens der großen kanadischen Prog Rock-Band gelangen. Das Besondere ist, dass dies größtenteils durch die Band selbst geschieht. In "Contents Under Pressure" blicken Alex Lifeson, Geddy Lee und Neil Peart kurz vor ihrem Aufbruch zur Jubiläumstour 2004 in lockerer und ehrlicher Weise auf ihre unvergleichbare Karriere zurück, in der laut Neil Peart alles, was passieren kann passiert ist.
Der Inhalt ist ähnlich einem - zigfach übergroßen, versteht sich - Artikel in einem Fachmagazin gestaltet. Das chronologische Durcharbeiten der Bandgeschichte nach Alben geordnet macht das Lesen angenehm und wohl strukturiert. Indem auf übliche Erklärungen für 'Laien' verzichtet wird, richtet sich das Ganze klar an eingefleischte Fans. Dennoch gibt Popoff (Jahrgang 1963) zwischendurch, insbesondere einführend zu den jeweiligen Alben und Touren, interessante Informationen: Seien es signifikante Fakten oder seine Meinung aus der Perspektive eines Fans, aber auch neutralen Betrachters, der bodenständig und realistisch die einzelnen Werke nachvollziehbar in das Gesamtschaffen Rushs einzuordnen versteht.
Lifeson, Lee und Peart erzählen von Alben, die besonders viele Probleme bereiteten ("Hemispheres" als 'neverending album') und solchen, bei denen das Gefühl gleich gestimmt hat, von der Entwicklung ihrer Musik und ihren Einflüssen und der Antwort der Band auf die Erwartungshaltung anderer (Lifeson: »If that's what everybody wants, then that's what they're not going to get. If we go down, we're going down in flames«). Lifeson merkt hierzu treffend an, dass es von den Journalisten, die "Caress Of Steel" einst schlecht machten, 30 Jahre später keine Spur mehr gibt, während Rush immer noch da sind.
Zahlreichen wertvollen Bühnenerfahrungen vom Support für Bands wie Uriah Heep oder Aerosmith bis hin zum überwältigen Eindruck der Brasilien-Shows 2003 stellen Rush auch schwere Zeiten gegenüber wie die "Drive Till You Die"-Tour zu "Farewell Of Kings". Tourerfahrungen werden ausgeschmückt mit Backstage-Anekdoten von Thin Lizzy, KISS und vielen anderen Bands und Musikern, mit denen Rush auftraten, aber auch durch die Erwähnung von Tennis-, Volleyball-, Golf- und zahlreichen anderen sportlichen Obsessionen von Lee und Lifeson, während sich Peart lieber in Bücher vergrub oder sich mit dem Fahrrad auf den Weg zur nächsten Station der Tour machte.
Äußerst interessant sind immer wieder die Meinungen der Bandmitglieder zu ihren eigenen Alben und Songs, welche in dieser alles überblickenden Perspektive auch für Fans, die sich wirklich gut auskennen, sicherlich einige Überraschungen parat halten. Rush sprechen von Lerneffekten, von gelungenen sowie aus ihrer Sicht fehlgeschlagenen Experimenten, von der Tradition, dass ein Song pro Album stets als 'afterthought' innerhalb von Minuten noch im Studio geschrieben wurde - und auch da sind ein paar Überraschungen dabei - und nicht zuletzt von ihrem Perfektionismus, der die Band zum Beispiel auf der "Hold Your Fire"-Tour dazu brachte, trotz etlicher Sounds und Effekte auf den Click zu verzichten und stattdessen alle Samples manuell zu bedienen. An einer Stelle vergleicht Neil Peart das Schlagzeug spielen für Rush damit, einen Marathon zu laufen und gleichzeitig Gleichungen in Echtzeit und vorausblickend zu lösen und gibt zu verstehen, dass das nicht unbedingt Spaß machen muss.
Ebenso ernst, wie die drei Ausnahmemusiker auf zahlreiche Stationen ihrer Karriere zurückschauen, so sehr sind sie auch immer wieder zum Flachsen aufgelegt. Auf Veränderungen in Geddy Lees Vocals angesprochen entgegnet dieser:
»You know, as the music changed, the desire to shriek changed. I think I can still shriek if the music requires it. I have no conceptual adverse about it.«
Der Drang der Band nach stetiger Entwicklung und Veränderung wird oftmals überdeutlich; und Geddy Lee wendet einen Satz auf andere von ihm geachtete Künstler an, der so perfekt auf Rush selbst gemünzt zu sein scheint: »Some people were able to adapt to the modernness without losing anything of what they had.« Genau für diese Eigenschaft wird man auch als eingefleischter Fan durch die Lektüre aufs Neue derart sensibilisiert, dass es ganz neue Freude bereitet, sich wieder durch die komplette Diskografie zu hören.
Abgerundet wird "Contents Under Pressure" durch sage und schreibe 270 Fotos in Hochglanzqualität - von Neil Peart beim Bogenschießen über Schnappschüsse im Studio bis hin zu eingefangenen Bühnenatmosphären mit den übergroßen, aufblasbaren Hasen von der "Presto"-Tour.
Für Fans ist "Contents Under Pressure" ein optisch wie inhaltlich wunderbares Zeitdokument einer kompletten, musikalischen Ära voller kleiner Details, das sich sowohl ums 'Wesentliche' als auch um zahlreiche Nebensächlichkeiten dreht und die drei Prog Rock-Veteranen nahe, persönlich und offen zeigt.
...oder wie der Autor es ausdrückt:
»This is not the official biography ... nor is it an exhaustive history of, well, anything. What it is, however, is a pendulum-swinging firsthand account from the boys, a sort of oral history ... a celebration of the art, science and sheer luck of constructing records and playing live.«
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