Spielzeit: 79:57 Medium: CD Label: Capitol Records/EMI, 2011 (1981) Stil: Rock Review vom 27.11.2011 Steve Braun

Zeitgleich mit der legendären ersten Live-Scheibe Bob Segers, Live Bullet, wurde Ende Oktober auch dessen zweiter Live-Klassiker, "Nine Tonight" von 1981, neu und mit einem Bonustrack aufgewertet wiederveröffentlicht. Auch wenn beiden Alben die selbe Relevanz zugesprochen werden kann und muss, gibt es zwei signifikante Unterschiede: Das Songmaterial auf "Nine Tonight" ist 'besser', weil mit Hits 'geschwängert' - drei millionenfach verkaufte Alben lagen mit "Night Moves" (1976), "Stranger In Town" (1978) und Against The Wind (1980) dazwischen. Dagegen fallen die Aufnahmen gegenüber "Live Bullet" deutlich ab! Sie sind merkwürdig teigig' - der Bass hat weniger Druck, das Schlagzeug wabert schwammig daher. Das ist merkwürdig, weil zwischen den Veröffentlichungen fünf Jahre lagen, in denen die Technik gewiss nicht 'geschlafen' hatte. Zudem stammen die Aufnahmen diesmal von zwei verschiedenen Spielorten: der Cobo Hall in Detroit (Juni 1980) und dem Bosten Garden (Oktober 1980). Dies alles tat dem Erfolg von "Nine Tonight" (vor allem in den US) nicht den geringsten Abbruch. Es konnte sich weltweit hoch in den Charts platzieren - in Deutschland bspw. auf einem absolut bemerkenswerten 34. Platz.

Für dieses Re-Issue hat man den Datenträger erneut fast platzen lassen: knapp achtzig Minuten - mehr geht nicht. Dafür musste man sogar leider den traditionellen Seger-Rausschmeißer "Let It Rock" für diese CD kürzen. Als Entschädigung hierfür hat man allerdings erneut einen Bonustrack, "Brave Strangers" von der "Stranger In Town"-Scheibe, dazugepackt.

"Nine Tonight" ist ein wahres Feuerwerk von Hits und einer besser und erfolgreicher als der andere - es geht Schlag auf Schlag. "Against The Wind" (Billboard-Platz #5), "Youl'll Accom'ny Me" (#14) und "Fire Lake" (#6) waren gerade bedingt durch das Erfolgsalbum "Against The Wind" brandaktuell und wurden von den Fans begeistert aufgenommen. "Old Time Rock'n'Roll" (interessanterweise in den Muscle Shoals Sound Studios aufgenommen) und die traumhafte Ballade "We've Got Tonight" waren ebenfalls 'Charts proof' - "Fire Down Below" und "Night Moves" bereits Gassenhauer.
Was gegenüber "Live Bullet" positiv in den Arrangements auffällt, ist der Background-Chor mit sage und schreibe fünf erstklassigen Chanteusen. Eine davon ist eine gewisse Shaun Murphy, die wenige Jahre später bei Little Feat für Furore und bei den Fans für lebhafte Kontroversen sorgen sollte. Diese Verstärkung wird bei den Songs präzise wie Bläsersätze eingesetzt und rundet sie gekonnt ab.
Meine beiden Lieblinge sind der Uptempo-Rocker "Hollywood Nights", der vor allem durch unwiderstehliche Bassfiguren glänzt und der glühende Kraftbolzen "The Strut", eines der Glanzstücke des damals aktuellen "Against The Wind"-Albums.

"Nine Tonight" wurde stets gegenüber der "Live Bullets" etwas stiefmütterlich behandelt - zu Unrecht. Die starke Songauswahl übertüncht fraglos das soundtechnisch bessere "Live Bullets". Die Aufnahmen zeigen Bob Seger, obwohl fast alle Folgealben mit Platin (aber eben nur noch einfach!) dekoriert wurden, im Zenit seines Schaffens. Die Klasse der Endsiebziger erreichten seine späteren Songs nie wieder.
Offen bleibt dagegen die Frage, warum nach "Nine Tonight" nie wieder ein Live-Album Segers erscheinen sollte. Vielleicht keine schlechte Strategie - so schafft man Kultscheiben! An die Energie seiner frühen Jahre kam er später ohnehin nicht mehr ganz heran.
Ich wünsche diesen beiden Scheiben vor allem jüngere Käuferschichten, an denen Bob Seger bis dato vorbeigezogen ist. Wer auf gute amerikanische Rockmusik steht, kommt an dem Mann sowieso nicht vorbei. Und in diesem Fall sollte man sich zuerst die "Nine Tonight" zulegen - dann stimmt die Dramaturgie wieder...

Line-up:
Bob Seger (lead vocals, guitars, piano)
Drew Abbott (lead guitars, background vocals)
Alto Reed (tenor, alto & baritone saxophones, flute, organ, percussions, background vocals)
Craig Frost (organ, piano, clavinet)
Chris Campbell (bass, background vocals)
David Teegarden (drums, background vocals)
Shaun Murphy, Katy Lamb, Colleen Beaton, June Tilton, Pam Moore (background vocals, percussions)