Aus Fehlern kann man bekanntlich lernen. Für eine längere Autofahrt hatte ich unter anderem Gil Scott-Herons neues Album "I'm New Here" im Gepäck und mir dieses Teil für die Rückfahrt aufgespart. Oh Mann, was soll das denn sein? Beim ersten Kontakt kam mir die Platte vor, wie ein vertontes Interview, in dem die Fragen fehlen. So hatte ich gleich zwei Schwierigkeiten zu bewältigen. Einerseits musste ich meinen Blick gegen den untergehenden Feuerball am Horizont richten und dann auch noch dem Silberling lauschen. Letzteres fiel mir deutlich schwerer. Aber ich habe die Scheibe nicht aus dem Player entfernt. Nach einem Durchgang waren da nur Fragezeichen.
Hätte ich das vorher gewusst .... denn mit der neuen CD liefert er auf der letzten Bookletseite gleich eine Bedienungsanleitung mit:
»Listen to it for the first time under optimum conditions.
Not in the car or a portable player through a headset.
Take it home.
Get rid of all distractions, (even her or him).
Turn off your cell phone.
Turn off everything that rings or beeps or rattles or whistles.
Make yourself comfortable.
Play your CD.
LISTEN all the way through.
Think about what you got.
Think about who would appreciate this investment.
Decide if there is somone to share this with.
Turn it again.
Enjoy yourself.«
Gleich im ersten Hinweis lag mein Fehler und nun habe ich brav die anderen Tipps befolgt und schreibe eine Rezension, damit Satz elf auch erfüllt wird.
Ganze sechzehn Jahre sind seit "Spirits", seiner letzten genialen Studioplatte vergangen.
Verfolgt man den musikalischen, über Stock und Stein führenden Weg eines Gil Scott-Heron seit 1971, ist er nach einer so langen Karriere immer noch für eine Überraschung gut. Selbst wenn sie, wie im Fall der vorliegenden Platte in einer mickrigen Spielzeit von noch nicht einmal neunundzwanzig Minuten liegt.
Nie und nimmer hätte ich Robert Johnsons "Me And The Devil" erkannt, stünde der Song nicht in der Tracklist. Scott-Heron macht aus der Vorlage seine ureigene Interpretation. Typisch, dieses Mittelding aus Gesang und gesprochenen Worten. Die relativ harten Beats und Keyboard-Overdubs wurden von Damon Albarn kreiert. In dieser ziemlich dramatisch düsteren Version fiepst sowie zirpt es auch ab und an. Der Protagonist macht aus dem Delta Blues eine Dark Jazz-Nummer. Allein auf weiter Flur steht am Ende ein einsamer Pianoton.
Kontrast: Pat Sullivan begleitet den Mann des prägnanten Wortes im Titelsong "I'm New Here" auf der akustischen Gitarre. Mehr Instrumente gibt es nicht. Nach Großstadthektik folgt die Intimität des Wohnzimmers. Das Stück hat eine schmeichelhafte Melodie. Die sonore Stimme des Sängers ist eines seiner Markenzeichen und kann dem Hörer schon den einen oder anderen Schauer über den Rücken jagen. Im von Bill Callahan (Smog) geschriebenen Song ist die Gitarrenbegleitung unglaublich simpel, aber ansprechend. Man legt kaum Wert auf Variation und Sullivan weicht für die Melodie und einem kurzen Solo, wenn man das überhaupt so nennen darf, von seinem Weg ab.
Oh Mann, Gil Scott-Heron fordert den Hörer. Jeder Track hat seine eigene Identität und alles geht so flott. Wir sind beim vierten Track: "Your Soul And Mine". Düstere Celloklänge paaren sich mit Loops, die nicht unbedingt freundlicher sind. In nur zwei Minuten schafft der Mann eine Dramaturgie, die seines Gleichen sucht. Scott-Heron spielt und singt in seiner eigenen Liga. XL Recordings-Labelchef Richard Russell hat produziert und die Musik sowie den Künstler bestens in Szene gesetzt. Der Poet macht selbst vor dem Thema Tod nicht halt und fasst es in lyrische Worte.
"I'll Take Care Of You" mag einer der wenigen Tracks auf "I'm New Here" sein, der annähernd an das angeknüpft, was man gemeinhin von ihm kennt. Zu den Streichern gesellt sich das Piano nun in zweifacher Art, denn neben Scott-Heron spielt auch noch Kim Jordan mit. Sie ist im Umfeld vom so genannten Wegbereiter des Rap oder Hip Hop keine Unbekannte und war, neben dem Mitwirken auf Platten des Meisters auch zwölf Jahre mit ihm auf Tour. Es geht einem ähnlich, wie bei dem Johnson-Song: Die von Brook Benton geschriebene und durch Bobby 'Blue' Bland bekannt geworden Nummer macht Gil nun zu seinem ganz persönlichen Song.
Nur mit butterweichen Tieftönen wird das Poem "Where Did The Night Go" begleitet. Hier jagt ein Highlight das nächste. "New York Is Killing Me" ist für mich das zentrale Stück des Albums. Was hier, mit sehr einfachen Mitteln an Atmosphäre rüberkommt, ist gigantisch. Handclaps im Flamenco-Stil treffen auf einfache Bassdrum, wenige weitere perkussive Elemente und etwas aus dem Synthesizer füllen den Stoff der auditiven Träume. Dazu noch einige Sängerinnen des Harlem Gospel Choir und fertig ist eines der intensivsten Stücke des Albums. Scott-Heron bringt mich um den Verstand.
"The Crutch" beinhaltet eine Teil Autobiografie ... das Leben eines Junkies. Zu den unheilvollen Drums gesellen sich die schon freundlicher wirkenden Streicher. Verdammt noch mal, es ist faszinierend, mit welch wenigen Mitteln hier ergreifende Lieder zusammengestellt werden. Zwischen den Songs gibt es immer wieder kurze Lebensweisheiten des Amerikaners, der damals den symbolischen schwarzen Protesthandschuh in seinem musikalischen Schaffen offenbarte.
Die Buchstützen der Platte bilden ein zweigeteilter Song. "On Coming From A Broken Home (Part 1)" und "... (Part 2)" haben mich getroffen, wie ein Blitz, so ungewöhnlich war die zweite, dritte und vierte Begegnung mit den beiden Nummern. Angereichert mit Samples von Kanye Wests "Flashing Lights" zeigt die gesprochene Hommage an seine Familie dennoch eine der musikalischen Richtungen des Silberlings an.
Gil Scott-Herons "I'm New Here" ist sonderbar und trotzdem ein Meisterwerk. Die Zusammenarbeit mit Richard Russell trägt exotische Früchte. Für die Fans des Künstlers ist das herausfordernde Album ein weiteres Muss und alle anderen Musikfans werden wohl eine gehörige Portion Aufgeschlossenheit haben müssen, um Gefallen zu finden.
Line-up:
Gil Scott-Heron (vocals, piano)
Pat Sullivan (guitar - #2)
Kim Jordan (additional piano - #6, additional vocals - #10)
Chris Cunningham (guitar, synth overdubs - #10)
Damon Albarn (keyboard overdubs - #2)
Mary Jo Stilp (strings - #4,6,13)
Una Tone (strings - #4,6,13)
Christiana Liberis (strings - #4,6,13)
Mike Block (strings - #4,6,13)
Tiona Hall (backing vocals - #10)
Tyria Stokes (backing vocals - #10)
Michelle Hutcherson (backing vocals - #10)
Tracklist |
01:On Coming From A Broken Home (Part 1) (2:21)
02:Me And The Devil (3:34)
03:I'm New Here (3:33)
04:Your Soul And Mine (2:02)
05:Parents (Interlude) (0:19)
06:I'll Take Care Of You (2:48)
07:Being Blessed (Interlude) (0:13)
08:Where Did The Night Go (1:14)
09:I Was Guided (Interlude) (0:14)
10:New York Is Killing Me (4:30)
11:Certain Things (Interlude) (0:08)
12:Running (2:01)
13:The Crutch (2:45)
14:I've Been Me (Interlude) (0:17)
15:On Coming From A Broken Home (Part 2) (2:15)
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Externe Links:
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