Jürgen Schwab / Heute noch
Heute noch Spielzeit: 56:00
Medium: CD
Label: Jazz'N'More Records (Bellaphon), 2010
Stil: Chanson, Singer/Songwriter

Review vom 16.01.2011


Norbert Neugebauer
Deutschsprachige (Chan-)Son(g)s sind ja nicht grad in Mode, auch wenn es dafür noch immer ein gutes Publikum gibt. Allerdings beschränken sich sowohl die Live-Präsentationen, wie etwa bei den hausbackenen Songs an einem Sommerabend auf Kloster Banz, oder die Tonträgerproduktionen auf ein überschaubares Maß. Nun hat sich Einer aufgemacht, dem Genre neues Leben einzuhauchen, der hörbar in der Tradition eines Reinhard Mey (hier als bekanntester Vertreter der Zunft genannt) steht.
Selbstgeschriebene Songs aus dem Alltagsleben, mit leichter Hand und geschmeidiger Zunge vorgetragen, jenseits von Kiez-Lyrik, Weltuntergangs-Romantik oder Betroffenheits-Geheule, aber mit Hirn und Charme gemacht - das kann durchaus auch in gemäßigten Rock-Kreisen mit Familienanschluss angetestet werden.
Das kommt nicht von ungefähr. Dr. Jürgen Schwab (nicht zu verwechseln mit dem rechtsextremen Publizisten) kann auf eine bewegte berufliche Laufbahn zurückblicken, die über ein naturwissenschaftliches Studium zur Musikpädagogik mit Promotion führte. Parallel dazu arbeitete er als freischaffender Musiker, Journalist und Musikkritiker. Als Autor der Bücher "Die Gitarre im Jazz" und "Der Frankfurt Sound - eine Stadt und ihre Jazzgeschichte(n)", dem 'Hessenbuch' des Jahres 2004, sowie als Musikwissenschaftler mit verschiedenen Lehraufträgen an deutschen Unis erlangte er in entsprechenden Kreisen Bekanntheit. Seit 2005 ist er auch musikalischer Begleiter auf der Gitarre von Fritz Rau bei dessen Vorträgen.
Was die musikalische Qualität betrifft, schwinden schon beim ersten englisch gesungenen Titel "Autumn Colored Day" (ein schönes Duett mit Nathalie Putsche) jegliche Zweifel. Herr Schwab ist ein guter Chansonier und ein mindestens ordentlicher Gitarrist. Seine Stücke passen, das ist eingängige, aber ansprechende Tondichtkunst. Bei den folgenden kommt der Sprachfaktor dazu, der sich bekanntlich im eigenen Idiom weniger leicht ausblenden lässt. Die 'leichte Muse' hat den in Hanau Lebenden herzhaft geküsst, der seine Zuhörer nicht ernsthaft mit irgendwelchen Befindlichkeiten belasten will. Lieder, die durch den Raum schweben wie Kaffeeduft mit Zigarettenrauch und auch bei weniger erfreulichen Themen keinen allergischen Schock verursachen. Es geht (natürlich) um Gefühle in den diversen Lebenslagen, als Partner, als Vater, als Macher, aber auch um hintersinnige Beobachtung von alltäglichen Situationen. Die gekonnt gedrechselten Texte haben Witz und Feinsinn, die Arrangements Charme und Wärme. Ja, da stimme ich gern zu - das hat Niveau! Und Springsteens Cover "Streets Of Philadelphia" kommt auf meinen persönlichen Winter-Sampler, zumal mir hier auch der leicht rauchige Gesang zur Picker-Gitarre sehr gut gefällt.
Die Arrangements sind abwechslungsreich, ebenso die Stile, mit denen er seine Geschichten erzählt. Meist ist eine ordentliche Portion Swing dabei und die Begleittruppe groovt professionell locker. Es gibt Poetisches und Elegisches mit leiser Begleitung oder melodramatischer Aufbereitung, Poppiges, luftiger Lounge-, Bar- und Bigband-Jazz und auch das Gediegene vom Liedermacher. Manche Melodie kennt man schon, auch nicht jede Story ist brandneu, aber daran wird sich sicher niemand ernsthaft stören.
Ich war nie Fan von dem netten, immer augenzwinkernden Mey, dem ewigen großen Jungen mit der Nickelbrille, der, trotz spätpubertärer Lederjacke, niemand mit seinen Träller-Songs weh getan hat. Der dem deutschen Lied aber ein paar Strophen zufügte, die zum Volksgut wurden und ihm sicher einen ruhigen Lebensabend bescheren. Ob das Jürgen Schwab auch schafft, weiß ich nicht. Nein, er ist nicht sein Co-Pilot über den Wolken. Aber einer, der jetzt die gleiche Route fliegt, mit einem wesentlich moderneren und komfortableren Airliner. Die Zielgruppe ist damit klar, aber der 'gemeine Rockfan' gehört nicht dazu. Vielleicht macht er ja mal eine rein englischsprachige Scheibe, dann wär ich vielleicht öfters mit an Bord. "Heute noch" ist ein gut gemachtes, modernes deutsches Chanson-Album, bei dem natürlich auch ein grafisch schön gestaltetes Booklet mit den Texten nicht fehlen darf. Unseren ROCKTIMES-Lesern empfehlen wir erstmal eine Neigungs-Hörprobe vor dem Kauf! Meine Anspielempfehlungen sind "Heute noch" und die liebevoll-augenzwinkernde Hommage "Der alte Fritz" an die Veranstalter-Legende.
Line-up:
Jürgen Schwab (Gesang, Gitarren)
Ulf Kleiner (E-Piano, Piano)
Hanns Höhn (Kontrabass)
Andreas Neubauer (Drums, Percussion)
Mark Schwarzmayr (Hammond Orgel)
Martin Wagner (Akkordeon)
Natalie Putsche, Elke Diepenbeck, Johanna Schwab (Gesang)
Manfred Honetschläger, Marin Auer und Rainer Heute (Gebläse)
Axel Gutzler (E-Gitarre, Co-Produktion, Mix, Mastering)
Tracklist
01:Autumn Colored Day
02:Fang einfach an
03:Heute noch
04:Keine Zeit
05:Quarante ans
06:Lass sie gehen
07:Der alte Fritz
08:Zipperlein
09:Total verpeilt
10:Frauenschwarm
11:Schnee
12:Mich selbst verlorn
13:Streets Of Philadelphia
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