Endlich - nach dem grandiosen CD/DVD-Album 10 Days Out - Blues From The Backroads aus dem Jahr 2007 - hat Kenny Wayne Shepherd bzw. - wie ihn Norbert Neugebauer in seiner Besprechung des genannten Albums platzsparend schlicht nennt - KWS etwas Neues auf den Markt gebracht. Etwas Neues? Nun ja, der CD ist lediglich zu entnehmen, dass es sich um die Wiedergabe eines Livekonzerts im The House Of Blues in Chicago handelt, das im Rahmen einer Tour zur Promotion der vorgenannten CD stattfand; genauere Angaben finden sich weder im vorliegenden Booklet noch auf der Homepage von KWS. Irgendwo im WWW entdeckte ich allerdings den Hinweis, dass KWS am 22. August 2008 im House Of Blues gespielt hat; das Konzert hat also schon vor zwei Jahren stattgefunden. Aber auch "10 Days Out" gab eine Tour wieder, die KWS bereits im Jahr 2004 durch den Süden der USA absolviert hatte, um 'einmal im Leben' mit zahlreichen Blueslegenden zusammen zu spielen, von denen einige schon vor der Veröffentlichung verstorben waren.
In beiden Fällen also ist zwischen Aufnahme und Veröffentlichung eine gewisse Zeit verstrichen, was eher für eine sorgfältige Produktion des jeweiligen Albums spricht, als dass dieser Umstand zu kritisieren wäre (wie anders hingegen Elton John, der bei zwei Konzerten im New Yorker Madison Square Garden im November 2000 das Publikum aufforderte, sich deutlich bemerkbar zu machen, da hiervon ein Album produziert werden sollte, das innerhalb von drei Wochen [und damit noch rechtzeitig vor Weihnachten!] in den Geschäften stehen sollte). Da ist mir die Vorgehensweise von KWS lieber, lässt sie doch ein tolles Album erwarten. Und diese Erwartung wird vorliegend auch nicht enttäuscht.
KWS ist auch so ein Frickler, der einem die Soli um die Ohren spielen kann, dass es einem schwindelig wird, und der - ähnlich wie Joe Bonamassa - bereits in sehr jungen Jahren von wahren Blues-Größen entdeckt und gefördert wurde. Doch mir scheint, dass dieser Umstand jedenfalls den Erstgenannten nicht hat abheben lassen, sondern vielmehr ein ehrwürdiges Verhältnis zu den Altvorderen des Blues bzw. Blues Rock hat entwickeln lassen. Ihm gebührt der Verdienst, generationenübergreifend mit den Großen des Blues zusammen zu spielen und sie auf diese Weise möglicherweise auch einem jüngeren Publikum in Erinnerung zu rufen.
Hatte KWS in den Credits zu "10 Days Out" noch ausdrücklich Bryan Lee (seinen musikalischen Großvater), Buddy Flett (der ihm seine Band für die erste Show in seiner Heimatstadt ausgeliehen hatte) sowie Hubert Sumlin (als eines seiner ersten und stärksten Vorbilder) erwähnt, (obwohl lediglich Hubert Sumlin bei drei Songs mitgewirkt hat), hat er sich diese Musikerlegenden sowie Willie 'Big Eyes' Smith (auch er allerdings bereits auf "10 Days Out" vertreten) vorliegend als musikalische Mitstreiter ausgesucht - und bekommen!
Ergänzt wurde das 'Ensemble' durch Tommy Shannon und Chris Layton, beide ehemals Mitglieder der Band Double Trouble des ebenfalls legendären, weil viel zu früh verstorbenen Stevie Ray Vaughan. Layton wird zudem vorliegend als Mitglied der Kenny Wayne Shepherd Band aufgeführt, zu der der Bassist Scott Nelson sowie Riley Osbourn an den Keyboards gehören. Und schließlich noch Noah Hunt, der für die Lead-Vocals sorgt. Das Ganze bildet eine explosive Mischung zwischen Alt und Jung.
Leider enthält das Booklet keine weiterführenden Informationen, wer von den Gästen wann in die Saiten gegriffen hat, oder ob durchgehend in großer Besetzung gespielt wurde, bzw. ob Willie 'Big Eyes' Smith vorliegend hier allein seine Harmonica gespielt oder - als langjähriger Schlagzeuger in der Band von Muddy Waters durchaus naheliegend - auch die Felle gestreichelt hat. Schade einmal mehr, dass die durchaus berechtigte Neugier des Hörers nicht gestillt wird. Ansonsten fehlt hier einfach eine DVD, die das Konzert auch optisch dokumentiert und die drängendsten Fragen beantwortet hätte. Doch der geübte Blueser kann durchaus heraushören, wer hier jeweils den Ton angibt.
Wenn die seinerzeitige Tour tatsächlich der Promotion des damals aktuellen CD/DVD-Albums hatte dienen sollen, dann überrascht es doch schon, dass von den damals eingespielten Titeln kein einziger Song bei dem vorliegend dokumentierten Konzert gespielt worden sein soll (oder aber keinen Platz auf der mit einer Gesamtlaufzeit von über 75 Minuten gut bepackten CD gefunden hat). Den Sammler von KWS-CDs mag es hingegen freuen, vorliegend keine 'Neueinspielung' von "10 Days Out" zu bekommen.
Los geht es mit drei Stücken von KWS, die sein kompositorisches Talent zeigen. "Somehow, Somewhere, Someway", "King's Highway" und "True Lies", alle von der KWS-Scheibe "Trouble Is…" aus dem Jahr 2002 stammend. Klassischer Blues Rock, rhythmusgetrieben und praktisch ineinander übergehend, um das Publikum schnell 'auf Touren' zu bringen, was unüberhörbar gelingt. "King's Highway" gibt zudem dem Keyboarder und KWS himself die Gelegenheit, ihr Können erstmals solistisch zu präsentieren.
Ein Stilwechsel erfolgt mit dem folgenden "Deja Voodoo". Anfänglich glaubt man sich in eine Lounge versetzt, in der seichte Barmusik im Hintergrund dahinplätschert. Doch mit zunehmender Dauer, in der die Solo-Gitarre à la Carlos Santana aufheult, gewinnt der Song an Härte. Dazu passt die raue Stimme von Noah Hunt. Da der Titel ebenfalls aus der Feder von KWS stammt und erstmalig auf seinem Debüt "Ledbetter Heights" aus dem Jahre 1995 (als er gerade 18 Jahre alt war!) eingespielt wurde, ist klar, dass KWS auch hier die Gitarren-solistische Federführung innehat.
Unüberhörbar kommen anschließend die Blues-Klassiker zu Wort bzw. zu Gehör. "Sell My Monkey" aus der Feder von Riley B.B. King kommt als klassischer Boogie daher. Und spätestens mit dem nachfolgenden Slow-Blues "Dance For Me Girl" ist klar, dass beide Nummern mit Buddy Flett an der Spitze dargeboten werden, schließlich ist letztgenannter Titel doch von ihm selbst komponiert. Eine regelmäßige Bass-Linie im Hintergrund bildet das Rückgrat für allerlei inspirierte Soloeinlagen diverser Gitarristen.
Die Jimmy Reed-Komposition "Baby, Don't Say That No More" gibt Willie 'Big Eyes' Smith die Gelegenheit für vielfältigen und virtuosen Harp-Einsatz, doch die Kollegen können sich ebenfalls solistisch präsentieren. Konsequenterweise gilt dies auch für den folgenden Slow-Blues "Eye To Eye", den sich Willie 'Big Eyes' Smith quasi 'auf die Lippen geschrieben' zu haben scheint. Klasse, wie sich hier die Harp und die Solo-Gitarre von KWS duettieren bzw. duellieren. Gänsehaut-Feeling pur!
Mit den nächsten zwei Songs "How Many More Years" und "Sick And Tired" geht der Vorhang unüberhörbar auf für Bryan Lee. Sein Gesangsstil ist außerordentlich. Wohlwollend gibt er jedoch jeweils auch KWS Gelegenheit zur Gitarrenarbeit, aber auch Riley Osbourn darf vordergründig auf die - diesmal - Pianotasten hämmern, dass das Zuhören eine wahre Freude ist. Flott der erste Titel, leicht shuffelig hingegen Nummer zwei. Das Zusammenspiel zwischen Alt und Jung klappt auch hier einwandfrei.
Fehlt nur noch Hubert Sumlin, der - Gleichbehandlung muss sein - mit den nachfolgenden "Feed Me" sowie "Rocking Daddy" ebenfalls zwei Songs beisteuert. Zum Zeitpunkt des Konzert immerhin schon 77 Jahre alt, 'rockt' er zwei tolle Blues Rocks auf die Bühne, die keinerlei Alterserscheinungen vernehmen lassen.
Damit hat es sich offenbar mit den Auftritten der alten Herren; die KWS-Band übernimmt für die letzten beiden Aufnahmen das Kommando. Der Slow-Blues "Blue On Black" - wiederum bereits auf der CD "Trouble Is…" veröffentlicht - man kann das Ganze durchaus auch als Ballade bezeichnen. Stampfender Blues Rock hingegen zum Abschluss, der Klassiker "I'm A King Bee". Komponist ist James H. Moore, der diesen vor über 50 Jahren komponiert und unter seinem Künstlernamen Slim Harpo erstmalig auch aufgenommen hat. Seitdem hat es eine Vielzahl von Interpretationen gegeben (u.a. Rolling Stones, Doors, Pink Floyd (!) und natürlich Muddy Waters), doch die vorliegende Interpretation braucht sich hinter all den anderen nicht zu verstecken, so gut lassen es die Jungs zum Schluss hin noch einmal krachen!
Wie im Flug sind diese knapp 80 Minuten Blues Rock vergangen, und man hat durchaus Appetit auf mehr. Der kann auch befriedigt werden. Ich habe allerdings "Live! In Chicago" exakt am Erscheinungstag der CD im Plattenladen meines Vertrauens - Mr. Music in Bonn - entdeckt und spontan mitgenommen. So habe ich erst im Nachhinein erfahren, dass eine weitere Aufnahme aus diesem Konzert, eine über 10-minütige Interpretation des Jimi Hendrix-Klassikers "Voodoo Child" zwar keinen Platz auf der CD gefunden hat, aber im Rahmen des Downloads des Albums z.B. bei Amazon erhältlich ist - natürlich nur beim Kauf des gesamten Albums, honi soit qui mal y pense! Das ist natürlich äußerst ärgerlich, will man sich dieses Schmankerl nicht entgehen lassen. Aber zum Glück gibt es ja noch andere Wege!
Zu diesem Ärgernis passt auch noch eine weitere Merkwürdigkeit: Im Booklet der CD ist als weiterer Link genannt: »YouTube.com/KennyWayneShepherd«. Doch wenn man diesem folgt, erhält man die Meldung: »KennyWayneShepherd wurde geschlossen, weil wiederholt Beschwerden von Dritten wegen Urheberrechtsverletzungen im Hinblick auf das vom Nutzer gepostete Material eingegangen sind.«
Das ist schon merkwürdig, wenn man den Link quasi von offizieller Seite genannt bekommen hat.
Mein Resumee: Ein hervorragend produziertes Album, das (fast) keine Wünsche offen lässt. Sieht man über die angesprochenen Kritikpunkte hinweg, ist die Scheibe aus meiner Sicht für die Freunde des Blues Rock ein absoluter Tipp! Und vielleicht kommt ja doch noch eine DVD auf den Markt!
Line-up:
Kenny Wayne Shepherd (lead guitar, vocals)
Noah Hunt (lead vocals)
Chris 'Whipper' Layton (drums)
Scott Nelson (bass)
Riley Hosbourn (keyboards, B-3)
Guests:
Hubert Sumlin (guitar)
Bryan Lee (guitar)
Buddy Flett (guitar)
Willie 'Big Eyes' Smith (harmonica, drums (?))
Tracklist |
01:Somehow, Somewhere, Someway (4:38)
02:King's Highway (7:02)
03:True Lies (5:55)
04:Deja Voodoo (7:03)
05:Sell My Monkey (4:18)
06:Dance For Me Girl (5:09)
07:Baby, Don't Say That No More (6:00)
08:Eye To Eye (6:18)
09:How Many More Years (4:32)
10:Sick And Tired (5:16)
11:Feed Me (4:47)
12:Rocking Daddy (3:55)
13:Blue On Black (5:33)
14:I'm A King Bee (4:54)
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Externe Links:
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