Nina Simone / Live At Montreux 1976
Live At Montreux Spielzeit: 111 Minuten
Medium: DVD
Bildformat: 4:3
Sound-Formate: DTS, Dolby 5.1, PCM Stereo
Label: Eagle Vision, 2006
Stil: Jazz, Blues

Review vom 10.11.2006


Norbert Neugebauer
»Nina Simone ist eine der großartigsten Sängerinnen des 20. Jahrhunderts und trat zwischen 1968 und 1990 insgesamt vier Mal beim Montreux Festival auf. Im Mittelpunkt dieser DVD steht das gesamte Konzert des Jahres 1976, ergänzt um zwei Songs ihrer Show von 1987 und vier Songs ihres letzten Auftritts im Jahr 1990. Dieses ist die ultimative Nina Simone Live-DVD. Bei ihren drei Shows spielte Nina Simone viele ihrer besten Stücke.«
Ich zitiere ausnahmsweise den PR-Text des für seine Montreux-Mitschnitte bekannten Eagle Visions-Labels. Und teile die Meinung, dass die 2003 verstorbene Nina Simone eine der großartigsten Jazz-, Soul- und Bluessängerinnen war, deren Blues-Interpretationen zu den emotionalsten gehören, die sich in meiner Sammlung befinden. Eine andere Art von Blues freilich, wie er von Janis Joplin (die sie übrigens erwähnt) oder heutigen Künstlern gesungen wird. Eine aus der Garde der vergangenen Größen, die die Stile verschmolzen, wie Bessie Smith oder Billie Holiday. Die den Blues nicht herausschrieen, sondern die die Leidenschaft, die Verzweiflung und die Depression mit verhaltener, aber umso deutlich spürbarer Glut in ihren Songs ausdrückten. Wenn man die Versionen von "Little Girl Blue" von Joplin und Simone vergleicht, wird dieser Unterschied deutlich. In ihren eigenen Songs drückt sie jedoch auch die Wut über Ausnutzung ("Backlash Blues") oder den Rassismus im amerikanischen Süden, aus dem sie stammt, unverblümt aus (z.B. in "Mississippi Goddam!"). Sie war immer politisch, unbequem und genoss schon früh als schwarze Künstlerin weltweite Anerkennung.
Aber was wird da von Nina Simone aus Montreux dokumentiert? Ich war sehr irritiert, als ich mir die Aufnahmen zum ersten Mal anschaute! Eine exaltierte Diva auf der Bühne, die bei ihrem ersten Auftritt 1976 mit begeistertem Applaus empfangen wird. Nach einer tiefen Verbeugung stellt sie sich mit einer versteinerten Mine, als würde sie gnadenlos ausgepfiffen, an den Flügel und mustert provozierend das Publikum. Zunächst erklärt sie, dass sie eigentlich nie mehr auf einem Jazz-Festival singen wollte, aber das habe sich (nach einem längeren Aufenthalt in Afrika, wie sie später, erzählt) geändert. Sie kündigt an, mit dem Publikum eine Zeitreise zu unternehmen und beginnt mit eben diesem "Little Girl Blue". Seltsam, wie sie das live singt, irgendwie infantil, aber das ganz bewusst, wenn auch nicht sehr stimmsicher. Und dann dieser Kontrast mit ihrem offenbar an Bach geschulten, klassischen Klavierstil, begleitet von einem dezenten Schlagzeug. Sie ist sehr nervös, hantiert ständig am Mikrophon herum, dessen Ständer dann irgendwann, grade, als sie dem Publikum etwas erzählen will, seine Standfestigkeit aufgibt. Doch genau da löst sich diese Angespanntheit, sie wird locker, scherzt und liefert, nur mit der sehr dezenten, aber punktgenauen Schlagzeugbegleitung, eine mitreißende Version von "Be My Husband" ab. Auch das nächste Stück "I Wish I Knew …" ist klasse. Damit sind wir schon bei den Zugaben des ersten Konzerts und Mrs. Simone gibt wieder die Diva. Sie unterbricht das Janis Ian-Cover "Stars", um einen Gast mehrfach energisch zum Hinsetzen aufzufordern und singt dann auch reichlich schräg. Das endlos lange Finale mit einem Monolog und improvisiertem afrikanischen Tanz (bei dem der Schlagzeuger und ein frisch engagierter, junger Congas-Spieler nur sehr uninspiriert rumklopfen) ist geschenkt.
Elf Jahre später ist aus der gertenschlanken Frau eine dicke Mami geworden, die zu schwarzem Rock so etwas wie einen Badeanzug der Tochter trägt. O.k., das Casino von Montreux ist nicht Paris oder Mailand, sondern eine Musikbühne. Und von dort bekommen wir die ersten beiden Bonus-Tracks, bei der wir eine ausdrucksstarke, wenn auch nicht fehlerfreie Pianistin sehen, die zwei ihrer bekanntesten Tracks auch stimmlich sehr ansprechend darbringt. Das lässt sich schon wesentlich schmerzfreier anhören, wobei das gewagte Outfit eher zum Schmunzeln anregt.
Der 1990er Auftritt ist, von der musikalischen Seite betrachtet, der rundeste. Nina Simone tritt mit Band auf, die ihr einen, aus heutiger Sicht etwas plüschigen Rahmen gibt. Nach dem Gershwin-Hit "I Loves You Porgy" folgt, völlig ungewohnt, der fröhliche "Liberian Calypso". Den beginnt sie dreimal (!), um das Publikum zum Mitsingen zu bewegen. Dann folgt der wohl stärkste, emotionalste Doppeltitel der Zusammenstellung: "Four Women/Mississippi Goddam!". Hut ab vor dieser Künstlerin, der ich die wiederholten Liebeserklärungen für das Montreux-Festival spätestens mit diesem Auftritt abnehme. Und so klingt auch das Brel-Chanson "Ne Me Quitte Pas" ("Verlass mich nicht") zwar mit amerikanischer Aussprache seltsam, aber durchaus ernst gemeint. Nina Simone war zweifelsohne ein Star, der sich dessen bewusst war. Mit einer Ausstrahlung, der das Publikum von Montreux immer wieder erlag. Egal, wie schräg sie intonierte, sich versang, ihre Begleiter durcheinander brachte oder divenhaft rumzippte.
Die Kameraaufnahmen sind eine Klasse für sich - so will ich das! Die Künstlerin bei allen drei Mitschnitten im Mittelpunkt, genau und mit langen Einstellungen beobachtet, ästhetisch und musikalisch relevant.
Nina Simone - "Live at Montreux" ist ein gutes Portrait einer großen Künstlerin, die auch Blues sang. Aber selbst Bluesfans unter den Rockmusik-Lesern rate ich eher zu ihren Studio-Aufnahmen als zu dieser DVD!
Tracklist
1976
01:Little Girl Blue
02:Backlash Blues
03:Be My Husband
04:I Wish I Knew
05:Stars / Feelings

Bonus
1987
01:Someone To Watch Over Me
02:My Baby Just Cares For Me

1990
01:I Loves You Porgy
02:Liberian Calypso
03:Four Women / Mississippi Goddam
04:Ne Me Quitte Pas (Don't Leave Me)
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