Nina Simone / Live At Montreux 1976
Live At Montreux 1976 Spielzeit: 60:33
Medium: CD
Label: Eagle Rock, 2011
Stil: Soul, Blues


Review vom 19.09.2011


Wolfgang Giese
Schon lange, bevor Nina Simone der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, hatte ich die Künstlerin in mein musikalisches Herz geschlossen, denn Titel wie "Little Girl Blue", "Love Me Or Leave Me", "Work Song", "The Other Woman", "Mr. Backlash" oder das kämpferische "Mississippi Goddam" waren schon ihrer Entdeckung meine Favoriten. Hier war es, wie so oft, die Werbung (wobei die Musik oft wertvoller ist als das beworbene Produkt) für das an sich sicher schon 'wertvolle' Parfüm 'Chanel No.5'. Ein Werbespot von 1987 katapultierte den Song "My Baby Just Cares For Me" in die Charts, nach oben, wohin Nina eigentlich schon lange gehörte.
Vom Kollegen Norbert wurde die DVD zu "Live At Montreux 1976" bereits vorgestellt. Nach dem intensiven Hören der CD bin ich nicht so ganz seiner Meinung. Die sanftmütige, kämpferische Künstlerin: Das zeichnete viele Titel, auch die Interpretation vieler Fremdtitel, in den Siebzigern sogar aus dem Popbereich, aus - Titel, die sie mit ihrer eigenwilligen Interpretation fast zu den Eigenen machte, diese Dame fehlt mir hier. Persönliche Krisen in den Siebzigern inklusive Scheidung und die Unentschlossenheit, wo sie sich niederlassen wollte, prägten mit Sicherheit seinerzeit auch ihre Musik.
Manchmal gelangweilte Stimmung, einen Hauch Überheblichkeit scheine ich zu spüren - die Stücke werden ohne klare Struktur in die Länge gezogen, nicht packend, nicht mitreißend, Nina Simones Botschaft kommt für mich nicht wie gewohnt rüber, wird nicht vermittelt. Manchmal wirkt die Sängerin wenig inspiriert, die Musiker wissen auch nicht so recht, wohin es gehen soll - fragendes und suchendes Beiwerk.
"Little Girl Blue", ein Song aus ihren frühen Tagen, wird sehr zurückhaltend vorgetragen und von einem kaum vernehmbaren Schlagzeug begleitet, lediglich ein Becken ertönt ab und zu. Im Verlauf des Stückes verliert sich der Titel etwas und der Vortrag wirkt etwas ausgedehnt, schon fast wie eine sehr zurückgezoge Unterhaltung, die Nina mit sich selbst führt. Etwas mehr Straffung und Konzentration auf den ansonst bluesigen Charakter hätte dem Lied gut getan. Nun, das Publikum ist begeistert, man hört es am Beifall. Ninas Stimme ist brüchig, möglicherweise Ausdruck der damals für sie schweren Zeit ihres Lebens. "Backlash Blues", eigentlich eines meiner Lieblingsstücke der Künstlerin, kann mich ebenfalls nicht unbedingt überzeugen. Es scheint, als würde der Drummer gelegentlich hinterher hinken, er wirkt auf mich sehr amateurhaft und er stört mich eher, als dass er dem Stück nötigen Druck verleiht. Und dabei wird ihm auf Aufforderung noch Beifall gezollt - ich hätte nicht geklatscht. Simone sang auch schon bluesiger und mit viel mehr Ausdruck. Erst im Verlauf des Stückes steigert sie sich langsam in das Thema hinein und ihr Temperament kommt doch noch in Wallung. Bei "Be My Husband" mit seinem gospelartigen Charakter zeigt die Sängerin dann mit ganz leiser, zurückhaltender Stimme sehr viel Feeling, das vom Drummer leider etwas zerhackt wird. Er hätte die 'Besen' für etwas mehr Sensibilität nutzen sollen. Mitten im Stück erzählt Nina etwas über Janis Joplin, aber letztlich vermisse ich auch hier etwas mehr Struktur. Und dieser Drummer... oh je, wer mag er sein?
In Anlehnung an den alten Ragtime-Stil federt es dann weiter mit "I Wish I Knew", einem Song von Carole King, und die von mir gerade noch sehnlich erwünschten Schlagzeugbesen kommen nun zum Einsatz und das passt so besser. So gewinnt der Titel an Swing und Ausdruck - bisher der beste Vortrag des Duos, weil die Sängerin stimmlich auch langsam sicherer und energischer wird. Dabei gibt es Struktur und Improvisation gleichermaßen, ein cooler, zum Fingerschnippen animierender Song! Der Doppeltitel "Stars/Feelings" zeigt die Künstlerin als sehr introvertierte Sängerin, die, endlich mit Dramatik im Ausdruck, eine prickelnde Atmosphäre schafft, wie sie für sie typisch ist und die sie zu Beginn des Konzertes vermissen ließ. Schön, dass sich "Live At Montreux 1976" noch so entwickelt. Zum Ende des langen Vortrags von gut siebzehn Minuten lässt die Sängerin der klassisch, wohl an Bach geschulten Pianistin den Vorrang, bevor sie mit energischen Worten zum Ende kommt. Der afrikanische Postbote beschert uns den letzten Song von 1976, hier wird unter Zuhilfenahme eines Perkussionisten viel improvisiert. Mit viel Druck und schwirrendem Pianoeinsatz prescht er vorwärts, die beiden Schlagwerker übernehmen schnell das Geschehen, bleiben aber irgendwie auf Dauer langweilend und etwas farblos. Erst als der Drummer dann allein loslegt, weiß er kurz mit dynamischem Spiel zu trumpfen, bis der Perkussionist mit seiner Kuhglocke alles wieder in Grund und Boden klopft. Wieder sehr nervig und wenig zuträglich ist das...
Nun denn, werden die beiden Titel aus 1987 einen Ausgleich schaffen können? Wild auf dem Piano quirlend ist die erste Nummer im Einstiegsbereich, viel Expressionismus, Dramatik und Leidenschaft, man glaubt, Wut, Trauer und Verzweiflung zu hören, alles scheint im Spiel zu sein, bis dann Nina den Klassiker der Gershwin-Brüder zu erkennen gibt. Aber auch hier, viel Zurückhaltung ist für mich spürbar, nicht die Nähe, wie ich sie von früheren Vorträgen gewohnt bin, eine sehr introvertierte Stimmung bestimmt die Atmosphäre, gleichwohl bleibt es unterhaltend. Es folgt ihr Hit "My Baby Just Cares For Me", der anders als er bekannt wurde wirkt. Es swingt weniger, das Thema wird mehr ausgeschmückt, mit an klassische Motive angrenzenden Elementen gespickt und der Gesang ist etwas ungelenk.
Alles in allem mag die Unterhaltung durch die DVD anders wirken, als reines Tondokument sehe ich Schwächen und Stärken. Ich betrachte insofern die starken Momente als wertvolle Bereicherung der Diskografie der 'High Priestess Of Soul'.
Line-up:
Nina Simone (piano, vocals)
Other Musicians unknown
Tracklist
01:Little Girl Blue [Hart/Rogers] (7:05)
02:Backlash Blues [Langston/Hughes/Simone] (6:27)
03:Be My Husband [Stroud] (4:04)
04:I Wish I Knew (How It Would Feel To Be Free) [Carole King] (6:07)
05:Stars / Feelings [Janis Ian/Morris/Gaste] (17:08)
06:African Mailman [Simone] (6:56)

Bonus Tracks 1987:
07:Someone To Catch Over Me[Gershwin/Gershwin] (6:18)
08:My Baby Just Cares For Me [Donaldson/Kahn] (6:24)
Externe Links: