Sacrum - zuweilen auch Sacrvm geschrieben - ist eine Prog Metal-Band aus Argentinien. Und dass deren Debütalbum "Cognition" jetzt in meinem CD-Spieler zirkulieren kann, zählt für mich als Musikliebhaber zu den positivsten Auswirkungen der Globalisierung! 2003 wurde die Band von Sänger Estanislao Silveyra und Gitarrist Martin Guerrero gegründet. 2006 stand dann das definitive Line-up. Und 2008 haben sie schon erreicht, wovon viele Prog-Bands eine Karriere lang träumen: Sie sind als Opener für Dream Theater aufgetreten, und zwar am 3. März bei einem der beiden Gigs der New Yorker in Buenos Aires.
Dabei hatte dieser Deal überhaupt nichts mit Promotion, Marketing und Label-Zugehörigkeit zu tun. Dream Theater hatten für die acht Shows in Südamerika einen Wettbewerb für potenzielle Show-Opener ausgeschrieben. Und da haben unter anderem auch Sacrum gewonnen. Die Kriterien waren unter anderem Liveerfahrung, professionelle Arbeitsweise und natürlich der Musikstil, der Fans von Dream Theater ansprechen musste. Und dabei von der berühmtesten Prog Metal-Band der Welt auserwählt zu werden, ist schon eine besondere Auszeichnung.
"Cognition" flattert also mit allerhand Vorschusslorbeeren ins Haus. Derer aber wird das Album locker gerecht. Mit dem vierminütigen Opener "Translation" geht die Band gleich sehr kompakt zur Sache. Schnörkellose, staubtrockene und tieftönige Metal-Riffs peitschen die Musik in mittlerem bis hohem Tempo düster und gewaltig nach vorne. Es geht mit der Dampfwalze zu. Und doch haben diese äußerst schwergewichtigen Drives etwas Filigranes, denn alle paar Takte ändern sich irgendwelche Details im rhythmischen Unterbau - Verzögerungen, Akzentuierungen, Breaks und präzise eingestreute Double-Bass-Salven. Das detail- und ideenreiche Zusammenspiel von Schlagzeug, Bass und Gitarren ist gute Prog-Schule.
Der Sound der Band ist düster und heavy - der Stil straight, aber äußerst fesselnd und voller schmackhafter Details. Klang und Songwriting erinnern mich an die wunderbaren Redemption, und das in fast jedem Song an irgendeiner Stelle. Besonders markant über der dunklen Gesamtatmosphäre wirkt der expressive, emotionale Gesang mit weit ausholenden, ja fast sinnlichen Melodien. Neben besagten Redemption kommen mir hier Circus Maximus in den Sinn. Sänger Estanislao Silveyra zeigt zwar im direkten Vergleich nicht ganz so viele Facetten wie ein Ray Alder oder Michael Eriksen, rangiert aber auch weit über Durchschnitt und verleiht seinen Textzeilen einen starken Ausdruck.
Durchweg überzeugen können Sacrum mit ihrem Songwriting. Einerseits machen sie Musik, die direkt ins Ohr geht (und das wollen sie auch ganz explizit). Andererseits stecken die Stücke voller Überraschungen und folgen keinen 'normalen' Strickmustern. "Innerself" ist beispielsweise komplett 'durchkomponiert'. Da kommt keine Stelle zwei Mal vor. Man vermisst auch gar keinen Refrain, weil die Passagen des Stücks sich einwandfrei ineinanderfügen.
Selbst wenn ein Song Refrainstruktur besitzt, kommt der Chorus meist gerade zwei Mal vor, wie bei "Made As One", wo er bis zum Schluss aufgehoben wird und nach einem Instrumentalteil nur ein Mal wiederholt wird. Oder bei "Dream Prisoner", wo der Chorus ein Mal in balladenhaft-melancholischer, beinahe intimer Atmosphäre zu hören ist und später dann mit voller Power. Überhaupt beherrschen Sacrum die Kunst, keine zwei Strophen, Bridges oder Refrains jemals völlig gleich klingen zu lassen.
Dazwischen tummeln sich dann, obwohl die Songs niemals wirklich vertrackt sind, einige jeweils sehr songdienliche Instrumentalstellen. Mit rasanten, melodischen Soli, präzisen Keyboard-Gitarren-Doppelläufen und gekonnten Rhythmuswechseln beweisen Sacrum ein technisches Können mit weitem Spektrum auf einem Niveau, mit dem man locker in der Bundesliga Fußball spielen kann. Klar, dass man dabei hier und da nach Dream Theater klingt.
Ziemlich aus dem Rahmen fällt auf "Cognition" das Stück, das genau so heißt wie die Band. "Sacrvm" ist recht experimentell gehalten. Eine sakral anmutende Melodie zieht sich wie ein roter Faden durch Keyboards, Gitarre und Gesang. Dieser ist bei jenen Passagen in Latein verfasst. Darüber hinaus wird englisch und spanisch gesungen bzw. einige Takte lang von einem Gast-Grunzer 'gegrowlt'. Das ist durchaus Geschmackssache, passt aber irgendwie zu den Lyrics, in denen die Band die blutigen Anfänge der Kolonialisierung in ihrer Heimat thematisiert.
Der allerletzte Song, "No Turning Back" ist eine wunderschöne Ballade in einer bedrückenden Atmosphäre aus Akustikgitarre und Klavier. Dieser melancholische Schluss erinnert mich etwas an Evergreys "Words Mean Nothing". "No Turning Back" ist kein Song, sondern viel mehr ein Abschied. Das Stück rezitiert verschiedene Textzeilen der anderen Nummern, die sich meist um beklemmende Emotionen, seelische Wunden und innere Zerrissenheit drehen. Ein toller Ausklang für ein mehr als hörenswertes Stück Prog Metal!
Fans von Redemption, Dream Theater, Circus Maximus oder Symphony X können hier keinen Fehler machen! Sacrum haben ein starkes Debüt hingelegt und schaffen es mit "Cognition" aus dem Stand auf feine 8 von 10 RockTimes-Uhren.
Was mir noch hin und wieder fehlt, ist das Alleinstellungsmerkmal, das mir sagt: »Hey, du hörst gerade Sacrum, und nix anderes!«. Wenn das beim zweiten Album nicht kommt, besteht die Gefahr, in einer Flut von Neuveröffentlichungen unterzugehen. Trotzdem: Sie sind keiner dieser Dream Theater-Klone. Und das ist schon bei Album Nummer eins lobenswert.
Line-up:
Martín Guerrero (guitar, backing vocals)
Estanislao Silveyra (lead & backing vocals)
Agustín Sedano Acosta (drums)
Mariano Herraiz (keyboard)
Diego Cipolla (bass)
Josefina Silveyra (vocals - #2, 6)
Nicolás Perez (vocals - #6)
Tracklist |
01:Translation
02:The Dream Prisoner
03:Stay
04:In Memory
05:Made As One
06:Sacrvm
07:Innerself
08:Cognition
09:No Turning Back
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