Seasons Of Times polarisieren mit ihrer neuen Platte:
Ingolfs Eindruck:
Na endlich! In Zeiten immer schneller drehender Hamsterräder und medialer Ersatzbefriedigungen erwachsen in uns scheinbare Sehnsüchte nach verstärktem Innehalten, und sei es nur mit musikalischen Schäferstündchen. Eine gegenwärtige Erscheinung, der sich fortschrittlich produktive Rocker und gleichwohl nach lukrativen Geschäftsmodellen hechelnde Musikindustrien derzeit gerne widmen. Dementsprechend finden auch hierzulande immer mehr konzeptionelle sowie sorgfältig arrangierte Studiogeburten mit deutschem Gütesiegel den Weg in die Tonträgerabteilungen. Einst mit "St. Pepper" und Co. kultivierte Gesamtkunstwerke mit ihrem stilistisch narrativen und zumeist musikalisch-orchestralen Größenwahn fanden in krautigen Gefilden demnach reichlich Nährboden und Nachahmer.
Heutzutage nehmen sich einheimische Bands die Freiheit, die mit kreativem Überschwang sowie rockhistorischer Patina gesegneten Abfälle vor den eigenen Studiotüren zusammenzukehren, um diese mit lyrischem und handwerklichem Eigenblut wieder aufzubereiten. So auch im hohen Norden, wo der Rauwind über die Wesermündung streift und sich 1993 fünf Bremerhavener Jungs aufmachten, den komplexen Song-Boliden britischer Rock-Alchemisten und deren wetteifernden Adepten musikalisch zu huldigen. Kompositorisch mochten sich die norddeutschen Landeier dabei mitnichten im nostalgischen Wiederkäuen, sondern im eigenbedürftigen Wiederbeleben von Künstlichkeiten der Siebziger und ihrem Talent für spinnerte Konzepte erschöpfen. Vor sage und schreibe 17 Jahren schien die Musikwelt gerade nicht bereit, britisch verbrämten Kunst-Pomp und lyrischen Irrwitz deutscher Prägung angesichts geldspuckender Pop-Überflutungen zu fördern. Ein fataler Umstand, der Seasons Of Time mit einer gehörigen Portion Füllsel-versetztem Mystik-Prog samt Text-applizierter Psychostudien der Geschlechter wieder in der Versenkung verschwinden ließ. Dass Totgeglaubte dennoch länger leben, bewiesen jüngst erst andere Hüter klanglichen Überflusses, nämlich Bornemanns rocksymphonische Majestät Eloy, zufälligerweise ebenfalls gelehrige Meisterschüler Floydscher Musikrätsel.
Nun, frisch beflügelt dem inspirativen Fahrwasser jener musikalischen Vorlagen folgend, wagen sich unsere Studiohelden mit unerhört vertrauten Tönen aufs konkurrierende und vergleichsweise niveauvolle Geschäftsparkett einer 'Neuen Deutschen Progwelle'. Auffälligerweise nimmt Dirk Bergers Ideenschmiede auch diesmal den textstudierenden Hörer recht unsanft an die Hand und geleitet diesen durch die tiefsten menschlichen Ohnmächte im Raubtierkäfig dieser Gesellschaft. Zelebrierte freudianische Psychogramme über das ellenbogengebräuchliche Streben nach 'mehr' plattieren ganzheitlich millionenfach bewährte Kunstrock-Muster und handwerklich tadellose Glaubensbekenntnisse an einstige Klang-Dinosaurier. Atmosphärisch geschwollene Tasteneinwürfe und gelegentlich von den Zügeln gelassene Gitarren-Elegien auf einer agilen, jedoch überraschend mumpfigen Rhythmus-Grundierung, samt den amateurhaften Sangespredigten, inszenieren sich nur allzu gern als Soundtrack für ein monumentales Kopfkino. Formal gäbe es an "Closed Doors To Open Plains" architektonisch stabiler Konstruktion wenig auszusetzen, würden nicht Malte Twarlohs amateurdialektische sowie neben der Spur intonierte Stimmbandeinlagen den dramaturgischen Gesamteindruck so unglücklich schmälern. Glücklicherweise vermögen es die reichlichen Segnungen instrumentaler Brücken-Arrangements hingegen, die verschroben-krautigen Klageliedchen im wilden Gewüchs pathosbeleckter Rock-Gesten streckenweise zu mildern und deren Drang nach 'Retro' halbwegs zu kultivieren.
Ein Großteil ihres kompositorischen Flickenteppichs wirkt folglich wie aus einem Manufactum gewichtiger Prog-Musikalien, als Waters- reaktionäre sowie Floydmania-erweckende 'Mond'-Versuchsanordnungen und visionäre Genesis-Adepten den zuckerzerlassenen Bombast für die Charts rehabilitierten. Seasons Of Times sinnüberfrachtete Auferstehung lässt letztendlich ihr melodramatisches Album-Oeuvre recht selbstbewusst und frei jeden Augenzwinkerns ins scheinbar mitgealterte Taufbecken von frühkindlicher Experimentierfreude gezeichneter Teutonen-Rocker gleiten. Im Abgang dürften sich die Genre-zugeneigten Konsumenten-Geister an jenem Verbal-Brocken eines Sir Charles Chaplins »Neid hat die Seele der Menschen vergiftet und die Welt mit Hass verbarrikadiert« reibendem Tiefgang scheiden.
Wiederum ist es eben nicht nur positiv-handwerkliches Vermögen und meisterliches Zusammenklauben altbekannter Quellen mit denen die Weser-Progger ihren etwas dickflüssigen und konzeptionell verstopften Aufguss servieren, sondern auch der unausgereifte Sangesgrusel sowie ein dünnbrettiger Sound, der dieses scheinbar aus der Zeit gefallene Werk allenfalls als Ehrerbietung an krautige Rockhistorien zum Liebhaberstück verdammen wird.
Steve sieht das so:
Ein klein wenig zerrissen präsentiert sich "Closed Door To Open Plains", nach dem 1997er Debüt "Behind The Mirror" das zweite Album der Bremerhavener Progger Seasons Of Time. Nach der Auflösung drei Jahre später, bedingt durch den Ausstieg von Keyboarder Andreas Meyer und Drummer Erik Pilger, existierte die Band als reines Studioprojekt von Mastermind Dirk Berger weiter. Von der Urbesetzung ist 2014 nur noch Sänger Malte Twarloh an Bord, der diesmal noch einige Gitarren- und Keyboardpassagen übernahm.
Wie beim Debüt hat sich Seasons Of Time ein konzeptionelles Korsett verpasst. "Closed Door To Open Plains" setzt sich mit unserer Ellbogengesellschaft, dem gierigen Streben nach immer mehr Besitz auseinander; mit unser Bewusstseinstrübung für die manchmal winzigen und versteckten Schönheiten dieser Welt und dem Zauber zwischenmenschlicher Beziehungen. Vor diesem Hintergrund kann man die Umsetzung dieses Themas in das Cover-Artwork als schlichtweg genial bezeichnen, auch wenn die Grundidee dafür nicht ganz neu ist...
Doch zurück zum Eingangs konstatierten 'zerrissen' Gesamteindruck. Auf die Habenseite gehört der sehr gefällige Neoprog der Marken IQ oder Arena , bei dem die Instrumentierungen und Arrangements recht schlüssig erscheinen. Dass hier vieles nach Marillion oder Pink Floyd klingt, kann man durchaus kritisieren, sollte dann aber möglichst ganz darauf verzichten, Progressive Rock zu hören. Ähnlich wie beim Blues brät dieses Genre schon (viel zu) lange im eigenen Saft. Innovationen sind bei beiden (leider) eher Mangelware. Nein, Seasons Of Time haben ihre stärksten Momente, wenn sie diesen Neoprog mal elegant, mal pompös auf ihre Weise interpretieren. "Bite The Bullet" mit seinen cremigen Moogläufen ist hier ebenso als Paradebeispiel zu nennen, wie das ziemlich Floyd-lastige "Closing Doors" und (vor allem) die beiden Parts von "Burning Bridges". Richtig cool wird es sogar, wenn in "Fuzz & Buzz" - auch durch die unterlegten Vocoder-Stimmen - ziemlich eindeutiges E.L.O.-Feeling aufkeimt. Hier liegen die unbestreitbaren Stärken von "Closed Door To Open Plains".
Als weniger gelungen muss man die Versuche betrachten, härteren Rock - teilweise mit Alternative-Elementen versetzt - ins Spiel zu bringen. Statt einen gut integrierten Kontrast zu schaffen, besitzen diese Songs ein abgekapselt wirkendes Eigenleben. Malte Twarlohs gelegentlich nicht ganz sicher wirkende Stimme, die sich den einschmeichelnden progressiven Passagen durchaus gut anpasst, scheint hier manchmal überfordert - kann dann in ihrer weichen Geschmeidigkeit der Härte wenig Paroli bieten.
Die Widersprüchlichkeit kristallisiert sich geradezu in dem Block zwischen den Tracks acht bis zwölf. "A Step Behind" bricht mit seinem treibenden Alternative Rock in die bis dahin geschaffene Szenerie geradezu wie ein Elefant in den Porzellanladen ein, während "A Station At The Border Of Mind" wunderschön weiche Klanglandschaften mit breit gewebten Keyboardteppichen und zart getupften Gitarren ausbreitet, die wiederum durch ziemlich eintöniges Elektro-Geblubber ("Expectations II") abgelöst werden. Nur um dann mit "You're Not Needed Anymore" eine kleine, wenig adäquate U2-Reminiszenz nachzulegen, bevor Gastmusiker Pete Harrison (ist es ein Flugelhorn??) in "There Are Times" eine märchenhafte, traumartige Stimmung aufkommen lässt.
Wenn man sich diesen Block als Soundtrack zu einem parallel laufenden Film vorstellt, könnte es 'passen' - ohne diese visuellen Bilder will dieser Block keine rechte Atmosphäre aufkommen lassen, wirkt unstet, gelegentlich gar etwas spröde.
So hinterlässt "Closed Door To Open Plains" bei mir viel Licht, aber leider auch ein wenig Schatten. Lösungsansätze? Vielleicht sollte sich die Band entscheiden, wohin sie sich stilistisch orientieren will: Rock oder Neoprog? Meiner Meinung nach wäre sie bei der letztgenannten Stilrichtung besser aufgehoben. Möglicherweise käme Malte Twarloh in einer Rolle als Nebenmann eines etwas stimmgewaltigeren Frontmannes besser zur Geltung, aber die sind bekanntlich nicht einfach zu finden... Ein größeres Augenmerk auf instrumentale Stücke wäre ebenfalls eine Option.
Wir werden interessiert beobachten, wohin die Reise von Seasons Of Time gehen wird. Potenzial für mehr ist eindeutig vorhanden...
Line-up:
Dirk Berger (bass, keyboards, vocals, engineering)
Malte Twarloh (vocals, guitar, keyboards)
Florian Wenzel (guitar)
Marco Grühn (drums)
Tracklist |
01:An Overture In My Head
02:Expectations I
03:Someone
04:Bite The Bullet
05:Closing Doors
06:Burning Bridges I
07:Fuzz & Buzz
08:A Step Ahead Behind
09:The Station At The Border Of The Mind
10:Expectations II
11:You're Not Needed Anymore
12:There Are Times
13:Ignorance
14:Expectations III
15:Burning Bridges II
16:Wide Open Plains
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