Secret Oyster / Sea Son
Sea Son
Mitunter sind zeitliche Rückschritte reizvoll. Man lernt Vorheriges kennen und kann die Entwicklung im Nachhinein einschätzen. Auch bei Bands und ihrer Musik. Aus meinen Lautsprechern tönt die zweite Veröffentlichung der dänischen Band Secret Oyster, deren Nachfolgewerk Vidunderlige Kælling mir vor einem halben Jahr zur Review vorgelegen und außerordentlich gut gefallen hatte. Es stammte (ursprünglich) aus dem Jahr 1975, die nun zu besprechende, "Sea Son" (der Titel - ein Wortspiel?) von 1974. Kein großer Zeitsprung also.
Das Drittwerk, eingespielt in der gleichen Besetzung, war eine Auftragsarbeit für ein Ballet, trotzdem ein kompaktes Album, das auf hohem Niveau zwischen Prog Rock und Fusion pendelte. Der Vorgänger enthält bereits viele der Zutaten dieses gelungenen Kunst-Stücks. Und auch der Sound der von Bob Katz erstmals für eine CD remasterten und ursprünglich bei 'CBS' erschienenen Scheibe ist makellos und ausgesprochen druckvoll. Ein neuerlicher Qualitätsbeweis des auf die Wiederveröffentlichungen progressiver und psychedelischer Schätze spezialisierte 'The Laser's Edge'-U.S.-Labels.
Mit "Sea Son" begründete die damalige dänische 'Supergroup' ihren Ruf als außergewöhnliche und kreative Band, die den Vergleich mit den ähnlich gelagerten Mahavishnu Orchestra, Return To Forever und Soft Machine nicht zu scheuen brauchte. Ausgedehnte Tourneen durch halb Europa waren der Lohn und haben sicher den Nerv der damaligen Zeit getroffen. Secret Oyster hatten mit ihrem Deal bei 'CBS' das beste Studio in Dänemark und eine Reihe von klasse Sidemen zur Verfügung. Also beste Voraussetzungen.
Der Auftakt ist knapp und markant, Bass, Drums, Wah Wah-Gitarre, Moog-Synthie und E-Violine erzeugen einen Spannungsbogen, der den für diese Art von Musik zu begeisternden Zuhörer ersteinmal packt. "Mind Movie" zeigt die dramaturgischen Stärken der Band, die wohl die Reverenz für das darauffolgende Auftragswerk waren. Neun Minuten spannendes und abwechslungsreiches 'Kopf-Kino' mit einer Lead Guitar von Claus Bøhling, die Clem Clempson alle Ehre machen würde.
Ganz klar Richtung Mahavishnu Orchestra geht "Pajamamafia" wozu es auch eine Randbemerkung im Booklet gibt. Da scheint es eine klare Weisung des damaligen Medienriesen 'CBS' gegeben zu haben, worauf auch das '…mafia' hinweist. "Black Mist" bringt dagegen Return To Forever in Hörweite. Mit "Painforest" scheinen sich die Dänen dann wieder im vertrauten Geläuf zu bewegen, neo-klassische Streicher- und Flügelklänge, die gekonnt in pre-ambientmäßige Strukturen übergehen - die 'Chill Out'-Phase … "Paella" bruzzelt dann, wobei nun der äußerst umtriebige und mittlerweile zur dänischen Keyboard-Institution gewordene Kenneth Knudson den Herbie Hancock gibt (oder geben muss?) und mir mit zunehmender Länge auf den Sack geht.
Die Lektion "Return To Forever" wird im Titel-Track fortgesetzt, das "perlt aber auch" ordentlich. Typische Fusion-Conclusion mit den letzten beiden Nummern.
Der Weg ist "Sea Son", das Ziel aber "Vidunderlige Kælling". Allemal den Schritt zurück wert, der gar kein großer ist. Noch gekonntes Handwerk, aber keine Kunst.


Spielzeit: 49:25, Medium: CD, The Laser's Edge, 2006 (1974)
1:Oysterjungle (3:01) 2:Mind Movie (9:16) 3:Pajamamafia (6:12) 4:Black Mist (3:41) 5:Painforest (5:32) 6:Paella (8:27)
Bonus Tracks: 7:Sea Son (5:25) 8:Alfresco Part I (5:39) 9:Alfresco Part II (2:07) 10:Sleep Music 11:Circus Sax 12:Intro to Act II
Norbert Neugebauer, 04.06.2006