Sieges Even / Paramount
Paramount Spielzeit: 61:00
Medium: CD
Label: SPV/InsideOut, 2007
Stil: Prog Rock


Review vom 21.09.2007


Ingolf Schmock
Die Band, die ich hier bespreche, erweckt in mir persönlich einige interessante Erinnerungen. So trug es sich Mitte der achtziger Jahre in der damaligen DDR zu, dass ein Rockfan in einem geschmuggelten, namhaften Heavy Metal-Magazin eine Demo-Rezension von einer außergewöhnlichen Münchner Kapelle las, um daraufhin Briefkontakt mit der Band anzukurbeln.
Es dauerte gar nicht lang und ein Demo-Tape mit dem vielversprechenden Titel "Repression And Resistance" flatterte durch den Eisernen Vorhang in meinen Briefkasten. Das Teil beeindruckte mich zutiefst, solche komplexen Melodien, und vertrackte Rhythmuswechsel gepaart mit einem dissonanten Gesang hatte man bis dato noch nicht im deutschen Progmetalbereich vernommen.
Sieges Even, so der Name dieser Band, galten damals als süddeutsche Antwort auf die US-Progger Watchtower.
Ein Plattenvertrag und das Debütalbum "Life Cycle" (1988) ließen nicht lange auf sich warten und sorgten bei den Medien und Kritikern für kontroverse Meinungen. Damals war ich stolz darauf, dieser Band im Osten einen gewissen Status bzw. eine kleine Fangemeinde verschafft zu haben. Das Ganze ist lange her, der Briefkontakt zu Bassist Oliver Holzwarth hatte sich im Sand verlaufen, die Band verschwand nach einigen gereifteren Werken und Rückschlägen von der Bildfläche.
Mit einem etwas veränderten musikalischen Konzept und Line-up, wagte man 2005 mit dem Album The Art Of Navigating By The Stars auf dem renommierten Prog-Label InsideOut das Comeback.
Der Erfolg dieser Veröffentlichung beflügelte die Musiker natürlich und setzte neue, kreative Kräfte frei, welche jetzt mit Sicherheit auf dem neuen Output Früchte tragen sollten. Zwar gibt es auf "Paramount" keine exzentrischen Frickelorgien, progressiv und komplex sind die zehn Kompositionen allerdings auch weiterhin.
Es muss Gesangswunder Arno Menses, Bassist Oliver Holzwarth, Gitarrist Markus Steffen und Schlagzeuger Alex Holzwarth schon bewusst gewesen sein, dass ihr emotionales Reunionalbum vor zwei Jahren die musikalische Messlatte ziemlich hoch ansetzte, vor dem selbst die Band genug Respekt zollte.
Genau deshalb ist der aktuelle Nachfolger "Paramount" kein Versuch, den so gut funktionierenden Vorgänger zu imitieren, sondern eine Brücke zum Ziel. Damit erreichen die ehemaligen Meister der Disharmonien allerdings eine Melodiösität und Zugänglichkeit, dass sogar mancher AOR-Liebhaber ins Schwärmen geraten wird.
Die Gesangsarrangements des Niederländers Arno Menses zeugen von unumstrittener Qualität und Format, da gibt es keine abgegriffenen Harmonien und Tonverläufe, keine abgedroschenen Phrasen.
Das Album spannt einen atmosphärischen Bogen bis zu den Anfängen der Band in den späten Achtzigern und dokumentiert gleichzeitig die einnehmende Prägnanz ihrer progressiven Ausrichtung.
»Im Vergleich zu unseren alten CDs legen wir den Fokus heutzutage auf den Song an sich«, beschreibt Gitarrist Markus Steffen die Gegenwart und fügt hinzu: »Wir machen uns weniger Gedanken darüber, wie viele Noten wir in ein Stück packen können. Die neuen Songs sind in sich kompakter, hier und da sicherlich härter als zuvor, aber immer mit tragender Melodie versehen.Obwohl wir "Navigating" lieben, wollten wir auf "Paramount" einen anderen Weg gehen, ohne unsere Wurzeln zu verraten. Ich denke, wir sind offener für andere stilistische Einflüsse geworden, seit Arno in der Band ist.«
Die neuen Kompositionen nehmen jedenfalls den Zuhörer auf eine abenteuerliche Reise mit und vermögen das Kopfkino in Rotation zu versetzten. Die Münchner arbeiten hierbei erstmalig verstärkt auf breiter Front mit Sequenzersounds und verschiedenen Keyboards, die bereits den Opener "When Alpha And Omega Collide" zu einem Sinnesfest gestalten.
Die instrumentalen Essenzen wirken geradezu hypnotisch, dazu die sanften Intonationen von Markus' Gitarre, zum Refrain hin immer durch Powerchords aufgebrochen, geleitet mit melodisch-lässig aufgespielter Bridge und einem abrupten Bruch in den wirsch beginnenden zweiten Titel "Tidal" über, der anfangs mit verzerrtem Gesang aufwartet.
Härte, Melodie, progressive Teile, Melancholie, schroffe E-Gitarren, Akustikgitarren und geschmackvolle Tasten-Arpeggios bilden dabei ein klangvolles Potpourri. Das folgende "Eyes Wide Open" verbreitet als süßliche Akustikballade nebst wunderbarer Slidegitarre quasi Lagerfeueratmosphäre, die stark vom Leadgesang getragen wird und die vermutlich kaum jemand von dieser Band erwartet hätte.
Die Gefahr des Überhörens besteht auch bei "Iconic", die als waschechte Singer-Songwriter-Nummer mit leicht kitschigen Keyboardspielereien ihre Erfüllung findet.
"Where Our Shadows Sleep" wiederum stammt noch aus der Phase, als Arno Menses zur Band stieß und sie noch unter dem Namen Val Paraiso musizierten. Die zweite Hälfte der Platte kommt dann etwas düsterer bzw. knackiger, und nicht ganz so luftig rüber.
"Duende" bildet ein Konglomerat aus progmetallischen Riffs, die von engelsgleichem Gesang hintertrieben werden, um wenig später völlig konform zu laufen.
Das Intro von "Bridge To The Divine" wirkt mit seinem Schlagzeugsequenzer und 'rosaroten' Gitarrenfiguren beinahe wie ein beschwingter Indiepop-Hit, dessen Stärke wohl hauptsächlich im melodischen Mitsingrefrain liegt.
Die letzten beiden Tracks nach dem metallischen "Leftovers" dämpfen das bisherige positive Stimmungsbild etwas, sind deshalb aber nicht minder faszinierend. Bei "Mounting Castles In The Blood Red Sky", einem spacigen Instrumentalstück, handelt es sich um die Vertonung der geschichtsträchtigen 'I Have A Dream'-Rede von Martin Luther King Jr., die dieser anlässlich einer großen Protestkundgebung am 28.August 1963 in Washington hielt.
Das Titelstück, und damit schon der Abschluss der siebten Studioproduktion von Sieges Even, bedient sich dann ebenfalls noch einmal der Sprachsamples, welche die erste Mondlandung thematisch beleuchten.
Auch hier wird mit einfachen Mitteln, Zerrissenheit und Furore an Dramatik heraufbeschworen, und die Nummer weiß dessen innere Dringlichkeit mit Eleganz zu vereinen. Ein perfekt in Szene gesetztes Saxofon-Solo verziert schließlich voller Hingabe die letzten zwei Minuten des Albums.
"Paramount" ist definitiv kein Album für die Frickelfraktion unter den Proggies, sondern ein makellos arrangiertes und ungemein eindringliches Studiowerk, welches zum tieferen Verweilen einlädt, um all seine Feinheiten begreifen zu können.
Sieges Even liefern damit die konsequente Fortsetzung des seit 2005 beschrittenen Neubeginns, haben mit Raffinesse zwischen Radiotauglichkeit und technischem Know-how, spielerische Klasse bzw. Songdienlichkeit zu ihren Gunsten verarbeitet, und somit ein atmosphärisches Meisterwerk erschaffen.
Entstanden ist "Paramount" in Zusammenarbeit mit Toningenieur Kristian Kohlmannslehner in dessen Studio in Seeheim/Jugendheim.
Tracklist
01:When Alpha And Omega Collide
02:Tidal
03:Eyes Wide Open
04:Iconic
05:Where Our Shadows Sleep
06:Duende
07:Bridge To The Divine
08:Leftovers
09:Mounting Castles In The Blood Red Sky
10:Paramount
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