Die Skeptiker / Fressen und Moral
Fressen und Moral Spielzeit: 37:06
Medium: CD
Label: Rozbomb Records, 2009
Stil: Punk


Review vom 03.10.2009


Moritz Alves
Mit den Skeptikern meldet sich nach Jahren der Stille ein Urgestein des deutschsprachigen Punk Rocks zurück, das über die Zeit seine kritische Denkweise und hinterfragende Weltsicht keineswegs verlernt hat. "Fressen und Moral" nennt sich, in Anlehnung an Bertold Brecht, der neuste Streich der Ostberliner, und auch am Schluss der Scheibe findet sich mit Friedrich Nietzsche ein namhafter deutscher Lyriker wieder. Im Hidden Track wird nämlich sein Gedicht "Nach neuen Meeren" zitiert, während der Albumtitel selbst übrigens im Song "Gerechtigkeitsproblem" auftaucht.
Doch die Gruppe um Punk-Poet Eugen Balanskat muss sich beileibe nicht hinter großen Namen verstecken, denn die Texte auf "Fressen und Moral" sind allesamt bissig, treffen den Nerv der Zeit und stehen problemlos für sich. Dass die Zeit reif ist für frische Skeptiker-Kost, beweist nicht nur der flotte, treffend betitelte Opener "Die Zeit ist reif". Denn wer ein wacher Beobachter des derzeitigen politischen Geschehens in Deutschland und der Welt ist, dem wird auf "Fressen und Moral" das ein oder andere Aha-Erlebnis widerfahren.
Texter Balanskat nämlich ist ein wacher Beobachter und Analyst und liefert uns hier 37 Minuten lang seine ungeschönte Sicht der Dinge - und seine Meinung ist nicht unbedingt das, was man massentauglich nennen kann. Unbequeme Ansichten und deutliche Meinungsäußerungen gehören aber seit jeher zu den Skeptikern im Speziellen und deutschem Punk im Allgemeinen dazu. Chefdenker Balanskat beweist also auch aktuell wieder sein Gespür für gute, subtile Texte und hält der (deutschen) Gesellschaft den Spiegel vor. Nach stumpfen, hohlen Phrasen, wie sie im deutschen Straßenpunk leider nur allzu häufig vorkommen, kann man bei den Skeptikern glücklicherweise lange suchen. Hier regiert der Kopf, nicht die Faust.
Wie sehr die kritisch-unbequeme Denkweise der Ostberliner in der Vergangenheit doch gefehlt hat, wird einem beim Hören dieser Scheibe immer wieder bewusst. Auf solch intellektuelles, linkspolitisches Gedankengut wird der ein oder andere Hörer lange gewartet haben. Man kauft Eugen Balanskat seine schlüssigen Texte nur zu gern ab und geht problemlos konform mit ihm, wenn er sich bei "Gerechtigkeitsproblem" bissig über die aktuelle Finanzkrise sowie die Ungleichbehandlung von Arm und Reich mokiert (»Es gibt ein Gerechtigkeitsproblem/ Die Kleinen hängen, die Großen können gehen«). "Wochenendgewalt" hingegen befasst sich mit dem omnipräsenten Problem rechter Gewalt und der damit einher gehenden Politikerignoranz, während die beiden Endzeitvisionen "Lügenwelt" und "Alien Nation" den Raubbau des Menschen an Mutter Erde thematisieren (»Inseln, sie werden versinken / Doch nicht nur im Abendrot / Sag gute Nacht der Erde / Sie war ein tolles Angebot« bzw. »Verklärt unser Bild der gottgleichen Wesen / Niemals waren wir edel, hilfreich, gut«).
"Finstere Zeiten" beleuchtet die zunehmende Beschneidung von Bürgerrechten und Privatsphäre unter dem Deckmantel internationaler Terrorgefahr, während bei den Titeln "Amok", "Keine Zeit für Traurigkeit" und "Aufruhr" Solidarität mit den von der Gesellschaft Vernachlässigten gezeigt wird. Dem gegenüber stehen persönlichere Themen ("Ego", "Tag und Nacht") sowie die sich in diesem Jahr zum zweitausendsten Mal jährende Varusschlacht ("Arminius").
Doch auch musikalisch hat "Fressen und Moral" einiges auf der Pfanne. Die herrlich raubeinige Produktion passt wie angegossen zum widerspenstigen Inhalt. Hier hat man es definitiv nicht mit simplem Hau-Ruck-Punk zu tun, sondern mit Songmaterial, das durch intelligente Arrangements, auflockernde Breaks und Rhythmusvariationen sowie Spannungsbögen punktet. Hinzu kommen knackig-bissige, prägnante Gitarrensoli, sowie zwei prominente Gastmusiker: Keine geringeren als Gunnar Schröder (Dritte Wahl) und Georgi 'Joro' Gogow (City) steuerten zu "Fressen und Moral" Background-Gesang bzw. Violine bei. Darüber hinaus zeigt Skeptiker-Kopf Balanskat einmal mehr, dass er mit Recht auch als 'deutscher Jello Biafra' bezeichnet wird: Seine sich stellenweise fast überschlagende Stimme sowie die Modulation im Allgemeinen sind nah am ehemaligen Dead Kennedys-Frontmann.
Fazit: Die Skeptiker melden sich mit einem echten Paukenschlag zurück! "Fressen und Moral" besticht von der ersten bis zur letzten Sekunde mit geradezu unglaublichem Songmaterial, das durch ausgefeilte Songstrukturen sowie exzellente Textarbeit glänzt. Das coole Schlachthaus-Cover rundet eine durch und durch exzellente Scheibe schließlich perfekt ab, so dass jeder Freund gut gemachter Punk-Musik unbedingt zugreifen muss!
Eugen Balanskat und seine Mannen haben hier vermutlich DAS Punk-Album des Jahres 2009 abgeliefert. Daumen hoch!
Line-up:
Mathias Kahle (Bass)
Lars Rudel (Gitarre)
Eugen Balanskat (Gesang)
Tom Schwoll (Gitarre)
Andy Laaf (Batterie)

Gunnar Schröder (Backing Vocals)
Georgi 'Joro' Gogow (Violine)
Tracklist
01:Die Zeit ist reif (2:23)
02:Ego (3:19)
03:Wochenendgewalt (2:42)
04:Gerechtigkeitsproblem (2:38)
05:Lügenwelt (4:28)
06:Amoklauf (2:32)
07:Keine Zeit für Traurigkeit (2:18)
08:Finstere Zeiten (1:58)
09:Aufruhr (2:40)
10:Tag und Nacht (2:40)
11:Arminius (2:43)
12:Alien Nation (6:45)
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