Tim Skold wird sowohl Sleazern als auch Industrial- und Shock-Rockern ein Begriff sein, gab der (als Thim Sköld geborene) Schwede doch einst mit den großartigen Shotgun Messiah seine Visitenkarte im Rock-Business ab, präsentierte mit dieser Combo anfangs eine einzigartige Interpretation des Sleaze Rock, bevor 1993 mit "Violent New Breed" eine Industrial-Sternstunde nachgelegt wurde. Später dann wechselte Skold zu KMFDM und frönte vollends dem Industrial, bevor er mit 'Comicfigur' Marylin Manson ab 2002 weltweit große Erfolge einfahren sollte.
Zwischendurch war Herr Skold auch solo aktiv, was er dieses Jahr erneut tut. Denn nach seinem Ausstieg bei Manson vor drei Jahren scheint er endlich wieder genügend Zeit zu haben, um sich selbst verwirklichen zu können. Ergebnis dieses Prozesses ist sein zweites vollwertiges Solo-Gewächs "Anomie", auf dem er - ganze 15 Lenze nach seinem Erstlingswerk - zu den Elektro- und Industrial Rock-Wurzeln zurückkehrt und somit einen Timewarp in die Neunziger vollzieht.
"Anomie" zeichnet sich durch einen extrem robotischen, kalten, dann und wann quasi 'seelenlosen' Klangkosmos aus. Immer präsent ist der charakteristische, düster-bedrohlich flüsternde Gesang. Wer Skolds Arbeit mit KMFDM liebt und auch das erwähnte "Violent New Breed" schätzt, wird sich hier also sicherlich zu Hause fühlen. Allen anderen empfehle ich, die Scheibe unbedingt erst anzutesten, denn die stellenweise krassen Klänge sind sicherlich nicht jedermanns Sache und haben mit der wesentlich kommerzielleren Handschrift bei Marylin Manson nicht immer viel zu tun.
Doch Solo-Alben geben einem Künstler bekanntlich genau die Freiheiten, die dieser in anderen Konstellationen nicht unbedingt ausleben kann, weshalb "Anomie" wohl genau den kreativen Output des Tim Skold enthält, der 2011 relevant zu sein scheint. Dazu passt, dass der Musiker dieses Album ganz allein realisiert hat - es muss ihm eine echte Herzensangelegenheit gewesen sein.
Dass der Mann nach wie vor packende, geniale Riffs schreiben kann, zeigt er gleich im heavy Opener "(This Is My) Elephant", aber auch beim brachialen "Angel Of Noise" (inklusive fiesen Ministry-'Nähmaschinen-Drums') begeistern die Gitarren. Und trotzdem nervt mich manches Mal diese Elektro-Dominanz: Songs wie "Suck", "Satellite" oder "Tonight" sind mir durch ihre verqueren bzw. mechanischen Arrangements einfach zu unzugänglich. "Becoming" ist eine unglaublich düstere Gothic-Elektro-Nummer geworden, bei der die künstlichen Sounds sehr gut ins Bild passen und entscheidend zur Eingängigkeit beitragen. Überhaupt driftet Skold gerne mal in gothisch-poppige, sphärische Ebenen ab (z.B. "Miserably Never Ever", "What You See Is What You Get"). Der beste Song der Scheibe ist aber die melancholisch (Halb-) Akustik-Ballade "The Hunger" - ein wahres Meisterwerk in Sachen Melodie-Arrangement, das man immer wieder hören kann!
Dadurch kommt "Anomie" andererseits aber unglaublich abwechslungs- und facettenreich daher, so dass Fans im Speziellen und Industrial-Rocker im Allgemeinen hier ein durchaus breites Soundspektrum vorfinden. Wer sich in den gesteckten Genregrenzen zu Hause fühlt, der wird mit Skolds neuestem Streich also ganz sicher glücklich werden. Somit schafft es der Gitarrist also einerseits, seine künstlerische Freiheit vollends auszuleben, andererseits aber auch seinen Fans genügend Anreize zu geben, seinen kreativen Output lieben zu lernen. Ein Spagat, wie er bei (selbstverliebten) Solo-Streichen längst nicht immer möglich ist.
Dass diese Songsammlung zudem kein dümmliches Gitarren-Geschredder und somit kein typisches Gitarristen-Album geworden ist, sondern durchweg schlüssige Songstrukturen zu erkennen sind, muss abschließend positiv erwähnt werden. Generell sollte man aber schon ein Anhänger von Skold und dessen musikalischem Schaffen sein, um "Anomie" uneingeschränkt zu mögen.
Tracklist |
01:(This Is My) Elephant (5:01)
02:Suck (3:35)
03:Black Out (4:02)
04:Angel Of Noise (4:00)
05:Satellite (4:11)
06:Becoming (4:04)
07:The Hunger (3:40)
08:Here Comes The Thunder (4:44)
09:And Then We Die (5:01)
10:Miserably Never Ever (4:47)
11:Tonight (3:45)
12:What You See Is What You Get (4:58)
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