Soon / Dead-End Street
Dead-End Street Spielzeit: 43:50
Medium: CD
Label: Oscillation Music, 2013
Stil: Prog Metal

Review vom 04.01.2014


Boris Theobald
Zuerst trifft es in die Magengrube, und dann ins Gefühlszentrum. So startet "Dead-End Street", das vierte Album der Hamburger Prog-Metaller Soon. Und diese ersten Takte des ersten Tracks "In My Memory" stehen tatsächlich schon exemplarisch für das Wesen der Band, die Ende 2013 ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert hat. »I have lost you ...«: Die ersten Worte aus dem Mund von Sänger Eric kommen düster daher, mit viel Hall und etwas Distanz abgemischt - beinahe, als hätte man die Vocals in den kühlen Katakomben eines alten Klosters aufgenommen. Auch der Klang der Gitarren vermittelt Düsternis. Es beginnt mit heavy tönenden Achteln - abgehackte Staccatos, und doch spürt man gleich, wie breit verzerrt man hier zu Werke geht. Gedanken an Type O Negative kommen auf ... ja wenn da nicht der klare und weiche Gesang wäre - in keiner Weise denaturiert, sondern schlicht und ehrlich, emotional und intensiv.
In den Strophen agiert Frontmann Eric zurückhaltend, begleitet von klingenscharfen, rhythmisch raffiniert angeproggten Riffs - so starten die Nummern von Soon stets geheimnisvoll und vielversprechend. In den Refrains lösen sie ihre Versprechen mit atmosphärischer Bannkraft ein. Die Rhythmik wird geradlinig, aber nicht ohne dass Rhythmusgitarre, Bass und Schlagzeug hin und wieder ein paar angenehm 'unrunde' Einsprengsel hinterlassen würden. Das Keyboard füllt unaufdringlich die Klangräume - nicht nur mit Atmo, sondern auch mit melodischer Umgarnung der Vocal Lines. Im Chorus holt Eric zu großen melodischen Bögen aus. Gerade im düsteren akustischen Umfeld sorgen die gewissen Spitzen, die hohen Töne, für eine Fesselwirkung. Melancholie schwingt immer mit - Soon machen Musik, die bei geschlossenen Augen wirkt.
"Dead-End Street" ist nicht 'spektakulär', falls man bei dem Etikett 'Prog Metal' nun eine große instrumentale Ekstase erwartet. Allzu großer Glattheit entgeht die Band trotzdem allemal durch ihre markanten, rhythmusbetonten Strophen-Riffs, besonders proggig ausgefallen bei "Pressure". Also keine Sorge: Bevor die atmosphärische Schwermut ausgepackt wird, darf sophistiziert geheadbangt werden. Aber es ist eben nicht nur Prog Metal, was Soon da treiben. Melodic Dark Rock, so könnte man das zuweilen nennen; und es spielt ganz sicherlich auch eine große Portion Gothic Metal mit hinein. Doch wiederum entzieht man sich einer absoluten Schubladisierung: Der Titeltrack "Dead-End Street" fühlt sich 'eigentlich' ganz besonders Goth-like an - doch ausgerechnet dieser ist auch der mit dem meisten Tempo des ganzen Albums und damit ungothig. Mal wieder fein raus ...
... und erneut sammeln Soon Pluspunkte: Auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten können sie es also. Damit machen sie auch wieder wett, dass sich hier und da die Tendenz abzeichnet, sich atmosphärisch zu wiederholen. Wir drücken das mal bewusst zurückhaltend aus, denn unterm Strich bietet jede der neun Nummern ihre eigenen Reize, und sei es im Detail. Hier sind es böse Double Bass-Salven ("Means To An End") und dort schwergewichtig-mystisches Kirchenorgeltum ("A Different Way"), hier besonders eingängige ("Stand Out From The Crowd") oder da besonders komplexe Arrangements ("Pressure"). Coole Effekte wie das Flüsterecho am Ende von "In My Memories" sind das Tüpfelchen auf dem 'i'. Und ohnehin lässt sich die Band mit ihren B-Parts vorm finalen Refrain immer noch einen Hinhörer einfallen.
Der herausragende Song auf "Dead-End Street", und damit der Hinhörer neben dem richtungsweisenden Opener "In My Memories", ist "Still Searching". Ausgerechnet ein richtig langsames Stück! Slow und bedrückt bahnt sich da etwas an - düstere Toms, Bass-Gegrummel und im Hintergrund, weit entfernt, die Effekte der Lead-Gitarre. Dann der hochmelodische, expressive Refrain, der langsam, aber gewaltig ins Gehör kriecht, während sich der Hall der Gitarrenriffs zäh wie heiße Lava verteilt. Der spannende B-Part bringt dann eine zurückhaltende Portion nervöser Unruhe mit sich - nicht zu viel. Und doch überträgt sich sich die Aufgewühltheit in den Chorus, der sich danach, zum Ende des Songs, mit mehr Dynamik weiterentwickelt. Es wird einem ziemlich heiß und kalt - klasse Song!
Zudem ist "Still Searching" auch ein gutes Beispiel für die teils sehr konkreten, diesseitsbezogenen Gedanken, die Soon in ihren Texten äußern - auch hier unterscheiden sie sich von vielen anderen Bands im Prog-Bereich. Es sind Themen um Selbstsuche und -findung, aber eben nicht bis ins Unkenntliche verschlüsselt.
»Other people get children, and start their families, while I am on the run, while I am still searching
Am I lost in my isolation? Will my whole life end as shattered dream ..«
heißt es da beispielsweise. Ganz anders als im Text zu "Still Searching" zeigen Soon allerdings keinerlei Anzeichen von (künstlerischer) Midlife-Crisis - mit "Dead-End Street" markieren Soon auf der Prog(&more)-Landkarte Deutschland einen fetten Punkt in Hamburg.
Line-up:
Eric (vocals, keyboards)
Lenny (guitars)
Michi (guitars)
Nico (drums)
Tracklist
01:In My Memory (5:03)
02:Dead-End Street (4:37)
03:Stand Out From The Crowd (4:45)
04:Pressure (4:48)
05:Still Searching (5:36)
06:Means To An End (4:53)
07:Everything Has Changed (4:49)
08:A Different Way (3:27)
09:Bitter Cold (5:50)
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