Um es in Obama-Sprache auszudrücken: Soul Secret haben ganz viel 'Yes, we can!' Aber dafür wenig 'Change'.
Die Italiener haben gehörig was auf dem Kasten, liefern mit ihrem zweiten Studioalbum "Closer To Daylight" aber auch wenig wirklich Revolutionäres ab. Dafür ist das Stichwort 'Change' in Bezug auf die Band selbst ein wichtiges Thema. Denn bis zuletzt verlief ihr musikalisches Schaffen weit weniger konstant, als sich die Musiker das wohl erwünscht hätten. Schon beim Debütalbum "Flowing Portraits" musste, weil der etatmäßige Sänger ausgefallen war, Mark Basile von DGM einspringen - natürlich ein Könner, keine Frage. Vor den Aufnahmesessions zum Nachfolger stand man allerdings schon wieder längere Zeit ohne Sänger da und - ganz plötzlich - auch noch ohne Basser. Der schmiss von heute auf morgen hin.
Aber alles wurde gut - es kamen Bassist Claudio Casaburi für die tiefen Töne und Sänger Fabio Manda für die hohen. Und dabei haben Soul Secret nichts überstürzt, sondern sich Zeit gelassen und das fertige Material mit den beiden Neuen noch einmal überarbeitet, so dass jedes Bandmitglied seine kreative Ader ausleben konnte. Unter beinahe jedem Song steht jetzt »Music: Soul Secret«. Besondere Coups hat man noch mit der Verpflichtung zweier Gäste gelandet: Zauberfinger Marco Sfogli (u. a. bekannt aus James LaBries Soloband) als Gastgitarrist bei "If" und Arno Menses als Lead Sänger für "Aftermath". Zu dessen Band Subsignal hat man ohnehin gute Verbindungen inklusive des Support-Slots bei den 2012-er Deutschland-Dates.
Yes, they can!
Der Progressive Metal der Marke Soul Secret ist technisch brillant und das Songwriting teils spektakulär. Antonio Vittozzi an der Gitarre und Luca Di Gennaro am Keyboard bieten viel Show mit wenig Atempausen. Sie liefern sich Schwindel erregende Duelle mit präzisen Parallelbewegungen und astreinen Punktlandungen. Die teils minutenlangen Instrumentalpassagen verkommen aber nicht zum Selbstzweck, sondern folgen schön stringent einer Dramaturgie. Melodien breiten sich aus und drängen sich in den Vordergrund und entwickeln sich, während auch im Hintergrund dazu die Post abgeht und andere Teile der Band trick- und abwechslungsreiche Eskorten auffahren.
Das ist sehr kurzweilig - stilistische Scherze wie ein paar Takte Jazz und ein paar Takte Latin in "Pillars Of Sand" inklusive. Allerdings muss man sagen, dass die Nähe zu Genre-Koryphäen teils sehr ausgeprägt ist. So klingen die Keyboards oft arg nach Jordan Rudess; bei "The Shelter" beispielsweise retro-bombastisch im "Octavarium"-Style. Natürlich muss man anerkennend konstatieren: Die pure Assoziation - nicht bloß stilistisch, sondern auch technisch - ist eine Ehre. Etwas 'freischwimmen' täte aber gut. In Sachen Gesang hat die Band mit Fabio Monda einen Könner am Start, der jugendlich, wild und quirlig klingt. Erinnert etwas an frühe Angra. Der italienische Einschlag ist allerdings etwas zu deutlich hörbar. Die Melodien sind spritzig und kreativ 'im Kleinen'. Es fehlt - auch wenn man niemals wirklich enttäuscht wird - nur hier und da eine 'ganze Große'.
Ähnlich verhält es sich auch mit der Struktur der Songs. Auch wenn der Überflieger für die Ewigkeit ausbleibt (zumindest bis kurz vor Schluss), wird ein hoher Standard gefahren. Die Stücke sind komplex und anspruchsvoll. Bei "The Shelter", das sich nach lyrischem Klavierintro episch entfaltet, erklingt der Refrain zum ersten Mal nach sechseinhalb Minuten. Und beim tiefsinnig vertrackten "Pillars Of Sand" gibt es den Chorus insgesamt zwei Mal: nach zweieinhalb und nach acht Minuten. Menschen, deren musikalischer Horizont ungefähr so dehnbar ist wie die Spannungskurve von "Mr. Saxobeat" gehen an so etwas kaputt. Sie können der Fieberkurve eines solchen Stücks nie und nimmer folgen. Progressive-Liebhaber aber ergötzen sich daran, wie ergiebig der Longtrack bei jedem Mal wächst. Kompakt sein, das können sie aber auch: bei "If", dem theatralischen Gesangsduett mit Anna Assentato - recht hübsch.
Einen vorläufigen Höhepunkt erreicht "Closer To Daylight" mit dem Doppelpack "October 1917" und "Behind The Curtain". "October 1917" bildet mit nachdenklicher Akustikgitarre den Vorlauf für das, was sich im folgenden Track samt wiederkehrender Themen heavy ausbreitet, Stufe für Stufe. Erst die Akustische, dann ein lebhafter Drive mit Clean-Arpeggien, dann die zunehmende, detailreich ausgeklügelte Heaviness mit wohl portionierten Bombast- und Retro-Synthesizern. Das klingt, wie wenn Dream Theater ihre Rush-Einflüsse raushängen lassen. Und mit "Aftermath" krönen Soul Secret schließlich ihr Album. Das längste Stück ist stark mitgeprägt von Arno Menses' Gesang - wehmütig-fragil bis expressiv und hochdramatisch. Die Melodien sind sensationell, und der ganze Song ist ein progressives Prachtwerk mit nahezu allen vorstellbaren atmosphärischen Drehs und einigen Überraschungen - klasse!
Wenngleich Soul Secret auch über weite Strecken ihres Albums wenig 'Revolutionäres' im Angebot haben - thematisch stehen durchaus Umwälzungen auf dem Programm. Der Doppelpack aus "October 1917" und "Behind The Curtain" ist eine Vertonung von George Orwells Animal Farm. Und "Checkmate" und "Aftermath", die das Album als erster und letzter Track 'einrahmen', handeln vom Schicksal eines Mannes, der im geltenden Gesellschaftssystem keine Zukunft sieht und eine Revolution plant. Daher auch der wankende (Schach-)König auf dem Cover. Zumindest das Thema der Lyrics heißt also doch 'Change'. Und weil in Soul Secret so viel 'Yes, we can!' mit derart unverbrauchter, verspielter Frische drinsteckt, kann ich ihnen den musikalischen Mangel an 'Change' nicht verübeln. "Closer To Daylight" ist Unterhaltung auf hohem Niveau.
Line-up:
Fabio Manda (vocals)
Antonio Vittozzi (guitars)
Claudio Casaburi (bass)
Luca Di Gennaro (keyboards, programming)
Antonio Mocerino (drums, percussion)
Guest musisicans:
Arno Menses (lead vocals - #8)
Anna Assentato (vocals - 4)
Marco Sfogli (guitar solo - #2)
Tracklist |
01:Checkmate (5:51)
02:River's Edge (6:48)
03:If (3:48)
04:The Shelter (7:52)
05:Pillars Of Sand (9:09)
06:October 1917 (3:34)
07:Behind The Curtain (8:47)
08:Aftermath (16:43)
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