»Nur ein Genie beherrscht das Chaos«
sagte einst Albert Einstein; und selbst viel gewohnte Prog Metal-Ohren werden manches, was die norwegischen Genies von Spiral Architect hier abliefern, als chaotisch empfinden.
Zunächst: Was ist eigentlich Progressive Metal? Dream Theater? Nicht nur. "A Sceptic's Universe" steht am völlig anderen Ende der Prog Metal-Skala. Wer mit Watchtower nichts anfangen kann, sollte am besten gleich die Finger von der Scheibe lassen. Wer Watchtower mag, wird Spiral Architect lieben.
Höllisch vertrackte Strukturen jenseits allem Massentauglichen kommen stilistisch deren Klassikern aus den 1980ern sehr nahe, wie auch den deutschen Sieges Even und deren 1988er-Debüt "Life Cycle". Sieges Evens 90er-Werke "Sophisticated" und "Uneven" sind dahingegen im Vergleich schon leichte Kost, eingängig. Als Jazz Metal bezeichnen manche Sieges Even. Wenn man das so stehen lässt, dann machen Spiral Architect ’Free Jazz Metal’.
Viel Genialität, wenig Regeln. Die stellt man selber auf. Technisch orientierte Speed Metal-Riffs jagen für einzelne Sekunden durch die Oktaven, seziert durch aberwitzig, im rhythmischen Gerüst ungekannter Zählzeiten, platzierte Breaks. Von Tempo- und Rhythmuswechseln kann man kaum mehr sprechen. Der Wechsel an sich ist Programm. Refrains im klassischen Sinne gibt es so gut wie nie. Sind auch nicht nötig. Denn Spiral Architect liefern keine schnelle Nummer. Endlos reihen sich Sequenzen aneinander, jede für sich genommen genial. Spätestens nach ein paar Hörgängen baut sich etwas Gigantisches im Stammhirn auf. Selten hat man einen derart eigendynamisch frickelnden Bass erlebt, der zuweilen alle paar Sekunden waghalsig zu neuen solistischen Schöpfungen ansetzt.
Sänger Øyvind Hægeland brilliert auf avantgardistischen Melodiepfaden, die zu keinem Zeitpunkt erahnen lassen, wann der Gipfel der Virtuosität erreicht sein mag. Es empfiehlt sich, die Texte rund um Sinnfragen und entrückte Geisteszustände beim Hören mitzulesen - sie vermitteln eine Ordnung, die einem die Musik erst nach mehren Durchgängen so richtig preisgeben will, die aber durchaus vorhanden ist. Denn die neun Tracks sind nicht unstrukturiert, verzichten nicht gänzlich auf wiederkehrende, wenn auch komplex verwobene und zuweilen irrwitzige Muster. Die Eingängigkeit, die sonst von Struktur und Refrains abhängt, wird hier schlicht durch die Songlänge bestimmt.
Der Opener "Spinning" stellt die Metalwelt nur 3:23 Minuten lang auf den Kopf. Stücke wie "Excessit" oder "Fountainhead" wirbeln mehr als sechs Minuten lang in mathematischer Präzision umher. Ein (natürlich) um zehn Jahre besserer Sound und die für Skeptiker unerwartete Abwechslung, heben "A Sceptic's Universe" zudem von den Referenzmusikern Watchtower ab. "Moving Spirit" lässt tatsächlich eine unheilschwangere, düstere Gitarren-Hookline erkennen. Das geniale "Insect" überrascht mit angedeuteten Klängen spanischer Gitarren, die sich einen rasanten Wettlauf mit übermenschlichen Basslines liefern. Und "Cloud Constructor" drosselt das Tempo merklich, verströmt mit monumentalen Gitarrenwänden eine endzeitliche Stimmung. Nevermore-Liebhaber kommen hier voll auf ihre Kosten. Wie auch über die gesamte dreiviertel Stunde Spielzeit abgedrehter, dynamisch druckvoll komplexer Schwermetallmusik. Denn Spiral Architect haben diesen völlig abgedrehten, sympathisch schizophrenen Touch der Warrel Dane-Bands Nevermore und Sanctuary, nur wesentlich mehr technisch orientiert und viel weniger eingängig.
Auch Liebhaber von Fates Warnings Album "No Exit", an das die wilden Gesangslinien zwischenzeitlich erinnern, kommen auf ihre Kosten. Letztlich bleibt das Gehörte aber so eigenständig und wenig vergleichbar wie kaum ein anderes Stück Prog Metal. Und Fates Warning, Psychotic Waltz und Nevermore wirken im Vergleich wie ganz leichte Kost. Chaotisch geht es dennoch nicht zu. Denn Chaos, das wusste auch Einstein, ist der Anfang aller Ordnung: »Nichts kann existieren ohne Ordnung - nichts kann entstehen ohne Chaos«.
Line-up:
Øyvind Hægeland (vocals)
Steinar Gundersen (lead guitar)
Andreas Jonsson (guitar)
Lars K. Norberg (bass)
Asgeir Mickelson (drums)
Tracklist |
01:Spinning
02:Excessit
03:Moving Spirit
04:Occam's Razor
05:Insect
06:Cloud Constructor
07:Conjuring Collapse
08:Adaptability
09:Fountainhead
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