RockTimes: Die Stern-Combo Meißen begeht ja in diesem Jahr ihr 45-jähriges Dienstjubiläum. Wie fühlt ihr euch als dienstälteste ostdeutsche Kapelle?
Martin Schreier: Ich denke nicht so sehr darüber nach. Wir versuchen einfach weiterhin unsere Traditionen zu pflegen bzw. den Zeitgeist zu treffen. Das ist das eigentliche Credo. SCM waren stilistisch sowie textlich immer relativ zeitlos.
Thomas Kurzhals: Ich bin ja erst 1973 dazugestoßen, und habe es für mich gar nicht registriert, wie schnell die Zeit vorübergezogen ist. Wir haben während dieser Schaffensphase einige Höhen und Tiefen überwunden, und haben gegenwärtig wieder eine sehr gute Band- Konstellation aufgestellt.
RockTimes: Es gab in den verschiedensten Medien diverse Stellungsnahmen und Mutmaßungen zu den jüngsten Umstrukturierungen innerhalb der Band nachzulesen bzw. zu hören. Beschreibt doch bitte einmal, welche Vorfälle hinter den Kulissen zum aktuellen Split und zu den Umbesetzungen bzw. diversen Entlassungen geführt haben?
Martin: Wir haben mit der vorherigen Besetzung wunderbar bzw. erfolgreich zusammengespielt, aber es kam eben der Zeitpunkt, wo die Interessen weitgehend auseinanderliefen, so dass eine Trennung zwangsläufig erfolgen musste. Die "Alteingesessenen" der Combo, d.h. Norbert Jäger und ich, sahen keinen Sinn mehr
darin, die Musik die wir immer spielten bzw. zelebriert haben, welche doch einen gewissen Standard für sich erwarb, verweichlichen bzw. verwässern und daraus erst recht keine Unplugged-Geschichte machen zu lassen. Leider wollten ein paar unserer Kollegen in dieser Angelegenheit mit dem Kopf durch die Wand, und so konnte nur eine Trennung die Lösung herbeiführen, welche aus heutiger Sicht sehr erholsam für die Band war und das Engagement unserer jetzigen Besetzung zweifelsohne bestärken vermag.
RockTimes: Sind denn diesbezüglich noch eventuelle Rechtsstreitigkeiten um Namensrechte zu erwarten?
Martin: Ich denke mal nicht. Wir haben uns während der Trennung darauf geeinigt bzw. vertraglich festgelegt, dass sich die Geschichte mit "Stern Akustisch" erst einmal ein Jahr lang bewähren darf, und wir danach selbiger weiterhin grünes Licht signalisieren werden oder nicht. Ich denke einfach mal, die Zeit wird eine Lösung herbeiführen, oder wie es der Sachse formulieren würde: »Mir sein mir.«
RockTimes: Thomas, wie ist es für Dich, nach einer etwas längeren Abwesenheit wieder in der SCM-Mannschaft dabei zu sein, und wie lief selbiges eigentlich ab, nachdem damals dein Ausstieg nicht gerade freundschaftlich aufgenommen wurde?
Thomas: Es gibt halt gelegentlich Meinungsverschiedenheiten, was ich durchaus als menschlich erachte, und dann muss man irgendwann den Schwamm darübergeben. Ich habe habe letztendlich ein Stück Leben in die Band mit eingebracht, und konnte mich im gegebenen Fall nicht einfach ignorant verhalten bzw. tatenlos zusehen, und habe mich kurzentschlossen mit Martin in Verbindung gesetzt. Ich rief Ihn daraufhin an, es trennen uns nur sechs Kilometer zwischen Berlin-Wilhelmhagen und Erkner voneinander, da haben wir uns dann eben in der Schenke zu einem positiven Gedankenaustausch getroffen. Er ging zwar anfangs etwas skeptisch an die Wiederbelebung des alten Bandkonzeptes heran, das jetzige Ergebnis beweist mir aber, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Es bereitet mir persönlich wieder einen Riesenspaß, in dieser Bandformation mitwirken zu dürfen, was mit Sicherheit der Chemie unter uns anzurechnen ist. Tatsächlich haben sich dennoch IC Falkenberg und seine Gefolgschaft auf den Schleudersitz begeben bzw. selbst aus der Band katapultiert, da habe ich keine Achse daran. Das unkollegiale und unprofessionelle Verhalten von IC, dass selbiger u.a. Texte nicht singen wollte, konnte auf Dauer nicht toleriert bleiben.
Martin: Das Problem war, das IC der Frontmann sein sollte und auch sein wollte, in deren Funktion er leider einfach nicht überzeugen vermochte und selbiger sich dabei viel zu wichtig nahm. Leider behandelte er die Stern-Meißen-Geschichte zu stiefmütterlich, was darin gipfelte, dass er die alten Songs nicht interpretieren wollte, und wir teilweise dazu gezwungen wurden, auf einige Provisorien zurückzugreifen, was zum Vorfeld des letztendlichen Auseinanderdriftens wurde. ICs kreative Verwirrungen und Ideen für eine akustische Konzeption von Stern waren seinerseits doch mehr als kommerzieller, und weniger als künstlerischer Nährboden angedacht, d.h. mit wenig Aufwand und Musikern in 'Saure-Gurken-Zeiten' Auftritte in irgendwelchen Klubs zu absolvieren. Diese Sache konnten ich und Norbert Jäger eben nicht nachvollziehen, was als Konsequenz in der Trennung gipfelte. Glückliche Umstände während dieser Phase waren dennoch die Tatsachen, dass Thomas just zu diesem Zeitpunkt wieder Bereitschaft anmeldete mit uns zu musizieren, und die schon bei uns spielenden Musiker Frank Schirmer, Sebastian Düwelt und Axel Schäfer, nebst unseren neuen Sänger Larry B. dazugestoßen sind, eine Fusion zwischen alter Konzeption mit frischer Konstellation, welche die gegenwärtliche Formation ersichtlich gesunden vermag.
RockTimes: Wie habt ihr euren neuen Sänger Michael "Larry" Brödel gefunden?
Martin: Ich weiß es noch genau. Wir hatten damals ein Freiluftkonzert in Meißen, und ich vertrieb mir die Zeit vor unseren Auftritt mit Kaffee und dem Lauschen der Vorgruppe, welche das mir bis dato noch unbekannte Trio von Larry war, der beeindruckend und livehaftig ein Song von Phil Collins interpretierte. Da ich bekennender Fan von Collins bin, fokussierte ich natürlich meine Aufmerksamkeit auf diese Darbietung, und kontaktierte selbigen, welches später unter Mithilfe von Norbert, als Jobangebot für die freie Sängerstelle befriedigend endete.
RockTimes: Welche Details könnt ihr uns über das kommende neue Studioalbum erzählen?
Thomas: Material dafür ist schon reichlich vorhanden und auch schon weitestgehend vertextet, es müssen nur einige Details verfeinert bzw. erarbeitet werden. Stilistisch werden sich ältere mit neueren Einflüssen vermengen, so dass es den heutigen Hörgewohnheiten doch mehr entspricht, dabei haben wir sowohl moderne High-end-Technik, als auch Leslies sowie Mini-Moog und diverse analoge Synthesizer verwendet. Wenn wir doch ehrlich sind dreht man sich musikalisch immer im Kreis - wir produzieren meistens nur eine neue Verpackung dafür, denn die Vorgaben aus unserer Jugend haben sich in uns manifestiert, und sind eigentlich auch gar nicht zu toppen. Textlich haben wir uns bemüht den Zeitnerv zu treffen, so z.B. im Song "Das kurze Leben des Raimund S.", worin das heikle Thema gewaltverherrlichende Computerspiele und die Konsequenzen aufgegriffen werden. Eventuell werden wir uns gegebenenfalls an eine klassische Adaption heranwagen, wobei eine bildhafte musikalische Umsetzung, welche mit unser damaligen Vivaldi-Interpretation aus heutiger Sicht doch sehr gelungen erschien, sich dennoch recht schwierig gestaltet dürfte.
Martin: Wir werden uns musikalisch auf jeden Fall nicht einer verklärten Romantik hingeben, sondern kompositorisch eher einen Bogen zu unserer 82er-Veröffentlichung "Stundenschlag" fortführen.
RockTimes: SCM waren in der ehemaligen DDR Garanten für sehr fortschrittliche Musik. Erzählt unseren Lesern doch bitte etwas über die Entstehungsgeschichte und die stilistische Formung der Band...
Martin: Ich hatte in der neunten Klasse, d.h. 1963 eine Schülerband, welche damals Sachen wie "Rote Lippen soll man küssen" und Rock'n'Roll-Standards nachspielte. Und mit dem Ausbruch der Beat-Welle 1964 erwachte in mir das Verlangen eben eine solche Kapelle ins Leben zu rufen, was ich mit Norbert Jäger, welcher zu dieser Zeit hervorragend Little Richard-Kompositionen am Piano interpretieren vermochte, in die Tat umsetzte. Komplettiert wurde das Ganze mit musizierenden Freunden aus meinem Wohnbezirk, wobei Bassist Bernd Fiedler noch recht lange zur Urformation gehörte. Wir spielten mit Enthusiasmus die damaligen Hitparaden hoch und runter, und waren damit bestrebt immer besser zu werden bzw. uns um Stufe für Stufe künstlerisch zu festigen. Unser stilistischer Schöpfungsprozess hat ihren Ursprung in unserer sächsisch-thüringischen Herkunft, welche sich damals in der Dresdner Musikhochschule zentralisierte und sich allmählich durch den persönlichen Musikgeschmack nebst sächsischer Mentalität formte. Bedingt durch unsere damaligen Inspirationen und Hörgewohnheiten, welche von Formationen wie ELP , Blood, Sweat & Tears, Chicago oder The Flock bestimmt wurden, kristallisierte sich schrittweise der Anspruch heraus, keine 08/15-Musik zu produzieren.
RockTimes: Eure erste Langspielplatte, nämlich eine Live-Produktion gilt heute ja als Novität innerhalb der Ostdeutschen Rockgeschichte. Wie kam es damals zu dieser Produktion?
Martin: Es war zumindest ein sehr gewagtes Unternehmen, weil diese Geschichte hundertprozentig live ablief und nicht mehr reparabel gewesen wäre. Der damalige Chefredakteur und Lektor des DDR-Plattenlabels Amiga, Dr.Rene Büttner war entweder kein Freund der Sachsen oder von uns, d.h. trotz mehrfacher Gespräche und Empfehlungen wollte dieser angesichts der damaligen Berlin-Lobby permanent keiner SCM-Produktion zustimmen. Der befreundete Chef-Produzent im Rundfunk der DDR, nämlich Walter Cikan, räumte uns dennoch die Chance für eine erste Produktion ein, und so geschah es, dass der Titel "Der Kampf um den Südpol" nach Veröffentlichung in allen einschlägigen DDR-Hitlisten acht Wochen den ersten Platz belegte. Unter diesen Druck seitens dieser Medien konnte selbst Herr Dr. Büttner uns nicht mehr länger ignorieren, und gab sein Einverständnis für die Live-Produktion, weshalb im Mai 1977 relativ spontan zwei Konzertabende im Nünchritzer Chemiewerk von den versierten Tonmeistern Klaus Schmidt, Helmar Federowski und Jürgen Lahrtz unter Ausschöpfung der vorhandenen technischen Möglichkeiten auf Konserve gebannt wurde. Selbst Amiga wirtschaftete damals unter ökonomischen Gesichtspunkten, und die Tatsache von 200 000 verkauften Exemplaren ebnete uns den Weg für weitere erfolgreiche Langspielplatten, wie "Weißes Gold" oder "Der weite Weg". Mittlerweile walzte das Rad der Geschichte mit der Wende über Herrn Dr. Büttner hinweg, und so musste selbiger im Rahmen der 50jährigen Jubiläumsfeier vom Amiga-Labeleinen Tortenangriff auf sein Gesicht über sich ergehen lassen.
RockTimes: Wurdet ihr jemals gefragt, als dafür prädestinierte Band, im Rahmen der alljährlichen "Ostrock in Klassik"- Konzertreihe aufzutreten?
Martin: Nein. Die verantwortlichen Macher dieses recht kommerziellen Konzertunternehmens entschieden bisher wahrscheinlich nach ökonomischen Überlegungen, welche angesichts des kaum veränderlichen Besetzungs-Paketes, dafür auch schon einige Kritik einstecken müssen.
Thomas: Das Problem ist dabei aber, wenn man an vorhandene Schlager-Kompositionen eine klassische Konzeption anlegt, driftet das Ganze meistens in weichgespülten Dilettantismus ab, was direkt für ein Orchester konzipierte Arrangements wie bei "Weißes Gold" wohl kaum betreffen dürfte - eine hörbare Tatsache welche die Leute zunehmend zu erkennen vermögen.
RockTimes: Pflegt ihr den Kontakt mit dem schwer erkrankten Reinhard Fißler? (Anm.d.Red: Bei Ur-Sänger Reinhard Fißler wurde im Jahr 2000 tragischerweise die unheilbare Krankheit ALS diagnostiziert.)
Thomas: Er nimmt sehr rege Anteil am aktuellen Bandgeschehen bzw. der neuen SCM-Konstellation, wobei unser neuer Leadsänger Larry B., welcher quasi in dessen künstlerische Fußstapfen tritt, seine besondere Aufmerksamkeit genießt. Ansonsten verhält sich Reinhard gegenüber der derzeitigen Trennungs-Situation recht unparteiisch, ist aber sehr interessiert an unserer weiteren Entwicklung. Neuerdings vermag dieser auch, dank einer neuen Technologie über E-Mails seine Gedanken mit uns austauschen, und wenn es sein Zustand zulässt, wird er mit Sicherheit noch das eine oder andere Konzert von uns besuchen können.
RockTimes: Larry, was bedeutet es für dich, jetzt in einer seit Jahrzehnten renommierten Formation zu singen bzw. wie nimmst du diesen Umstand wahr?
Larry B.: Umstrukturierungsgerüchte bei SCM wurden schon vor etwa zwei Jahren laut, in einer Zeit als ich noch mit meiner eigenen Formation, der "Krause Band" in deren Vorprogramm auftrat, bis meine Person schließlich von Norbert Jäger, welcher mich, von der Zusammenarbeit mit der Leipziger Prog Rock-Band Toxic Smile kannte, ins Spiel gebracht wurde, und deren ehrenvolles Angebot, als Leadsänger in die jetzige SCM-Besetzung einzusteigen ich einfach nicht abzuschlagen vermochte. Ich denke, dass ich über die Jahre künstlerisch gereift bin, diese durch Reinhard an Bedeutung gewonnene Stelle auszufüllen, ein Umstand, welchen ich mit Sicherheit 1994 während meiner Zeit mit "Karussell" nicht hätte leisten können. Mein eigenes Bandprojekt, welches seit siebzehn Jahren sächsischen Kultstatus genießt, werde ich trotzdem weiter fortführen, um meine Miete halbwegs bezahlen zu können - eine Tatsache, die der derzeitige Job bei SCM noch nicht zu garantieren vermag. Daraufhin muss man erst einmal die künftige Entwicklung bei SCM abwarten, um dann gegebenenfalls persönliche Prioritäten zu setzen.
RockTimes: Welche Lebensphilosophie vertretet ihr?
Thomas: Meine Lebensphilosophie ist neben der Familie mein Beruf, welchen ich noch sehr lange kreativ auszuüben gedenke, und dass die Arbeit mit dem derzeitigen Team eine sehr befruchtende Wirkung auf mich und mein weiteres Schaffen erbringen möge.
Norbert Jäger: Ich glaube an die Wahrheit, an die Wissenschaft und an die Forschung, aber nicht an den lieben Gott.
Martin: Kann ich nicht in wenigen Sätzen sagen, da müsste ich jetzt zu weit ausholen.
Larry B.: Man sollte sich mit dem zufrieden geben was man im bisherigen Leben erreichen vermochte, und diese positive Wirkung für sich kompensieren.
RockTimes bedankt sich für das Gespräch, und die freundliche Unterstützung bei Stern-Combo Meißen, dem Manager Detlef Seidel, dem IBB Hotel Erfurt und der Fotografin Anetta Kostrzewska.
Aktuelles Line-up:
Martin Schreier (Schlagzeug, Gesang)
Thomas Kurzhals (Tasteninstrumente)
Michael 'Larry' Brödel (Lead-Gesang)
Norbert Jäger (Percussion, Gesang)
Sebastian Düwelt (Tasteninstrumente)
Frank Schirmer (Schlagzeug)
Axel Schäfer (Bass)
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