Nahezu vor einem unglaublichen halben Jahrhundert, zu jener Zeit, wo im real existierenden 'Arbeiter- und Bauernstaat' den Mächtigen der Rock'n'Roll als subversives Gebräu in ihr Lipsi-verklärtes Magersüppchen sudelte, schlug die Geburtsstunde unserer wechselvollen musikalischen Helden. Von einer Werte und Moral brechenden und durch Ulbrichts Verteufelung beflügelten Beatle(s)mania getrieben, bestritten die musikhungrigen Oberschüler mit der Namenshinterlassenschaft einer Ex-Betriebskapelle als Banner ihre handwerklich-schöpferische Passion.
Stets am Puls der Zeit erforschte die Stern-Combo Meissen einige rockistische Ausdrucksformeln, gelangte über prägende Tanzboden-Stampfer sowie schwarzseelig befeuerte Jazz-Symbiosen zu ihrer wohl kreativ konstantesten Herausforderung.
Akademische Rockarrangements nebst einem Hang zum instrumentalen Gigantismus, welcher vom Vereinigten Königreich herüberschwappte, erfassten die mittlerweile zum musikalischen Berufsstatus aufgestiegenen Sachsen. Ihre konzeptionelle Rezeptur von Klassik-adaptierter Rock-Soul-Mixtur und restriktive Kontrollen umgehender Gesangs-Poetik ihres Front-Charismatikers Reinhard Fißler prägte dazumal endgültig ihren weiteren Erfolgsweg.
Nach fast fünfzig Jahren Band-Ehe, durchzogen von Scheidungen, Umbesetzungen und Orientierungswirren, sogar einigen Nachwende-Versuchen, den umtriebigen Ostalgie-Gespenstern zu entrinnen, halten Bandgründer Martin Schreiers Mannen nun Rückschau und demonstrieren ihre künstlerische Zähigkeit mit einer audiovisuellen Goldhochzeit.
Eine gegebenenfalls höhere Macht erachtete den Zeitpunkt nun für gekommen, nachdem schon ein Versuch sprichwörtlich ins Wasser fiel, die erste sound- und bildtechnisch versierte Retrospektive der deutschen Artrock-Helden konzertant zu konservieren.
Anstatt der Vollführung simplen Entertainments für jugendliche Schnellkonsumenten buhlten sie schon früh mit orchestralem Aufwand und hehrer Kunstanstrengung um die Ehrerbietung einer eher erwachsenen Zuhörerschaft.
Ihre renitent-sentimentalen Textbotschaften warnten in "Kampf um den Südpol" vor dem menschlichen Beherrschungsdrang sowie Machtanspruch über die Natur und dessen verheerender Tragik, oder widmeten der selbstaufopfernden Lebensaufgabe des Apothekergesellen Böttger und seinem weißen Porzellanwunder gar ein amtliches Rock-Oratorium.
Jenes pompöse Stück DDR-Jugenderinnerung wird nun, knapp 36 Jahre nach seiner Premiere, in Bild und Ton professionell in Szene gesetzt und das mit einem frischen Frontmann, der zu jener Zeit noch nicht einmal geboren war.
Jugendlich unbeschwert und offensichtlich vom musikalischen Amiga-Plattenfundus der Eltern genährt, versucht sich der damals 28-jährige Thüringer Manuel Schmid aus dem übermächtigen Schatten seiner Vorgänger freizusingen.
Es passt wohl wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, wie dieser Heißsporn mit dem Liedkulturgut der Kunstpreis-geadelten Senioren hörbar umzugehen vermag. Fissler-Glorien wie "Kampf um den Südpol" oder "Die Sage" und aktuellere Sanges-Plädoyers wie "Das kurze Leben des Raimund S." intoniert der schmächtige Bursche ministrantengleich ehrfürchtig und mit leibeigenem Timbre.
Ein Glücksfall, wenn man bedenkt, dass die Anläufe dieser Produktion mit irdischen Flüchen, sprich vernichtenden Wetterkapriolen und 'abtrünnigen' Bandfrischlingen samt Sänger belegt waren. Aber bekanntlich können Schatten und Licht ganz einträglich miteinander, weshalb man ohne zu verzagen das Großunternehmen Stage Theater am Berliner Potsdamer Platz in Angriff nahm.
Nun kann man die unbeugsame Herrenriege tatsächlich bei ihrer schweißtreibenden Drei-Stunden-Bühnenschlacht auf den Brettern der renommierten Unterhaltungs-Fabrik am einstigen Mauerstreifen und beliebten Treffpunkt von Musical-Leichtköstlern und der Film-Hautevolee auf dem Bildschirm bewundern.
Technisch größtmöglichstes sowie zeitgemäßes Know-how und eine Rundumsound-tapezierte Spielkulisse für Musiker, die schon Anfang der Siebziger mit quadrophonen Effekten laborierten, sind für ein Sorglos-Medium somit schon Garantie genug.
Das für seine Synthie-Burgen bekannte Ensemble erschöpft sich sichtlich in seinem technisch hochgerüsteten Budenzauber. Im Schein der High-End-Lichtshow feiert man eine schwülstige Messe und laviert sich in Dopamin-gestärkter Spiellaune durchs Jahrzehnte-Repertoire. Hierbei richtet sich der Kamera-Fokus des Öfteren auf den uneitlen Tasten-Derwisch sowie unumstrittenen Band-Kreativisten Thomas Kurzhals, ein Mann, dessen bildungsbürgerliche Musizierkünste einst weit über das Tal der Ahnungslosen herausreichten.
Nun erwachsen Vivaldis "Frühling" nebst den herrlichen Tastenduellen zwischen dem 'Klassik meets Rock'-Genius und seinem Gegenüber Sebastian Düwelt sowohl zum retrospektiven Trauererlebnis als auch zur Respekt zollenden Hommage an einen prägenden Zeitgenossen des viel geschmähten Ostrocks.
Angesichts der Konzertbilder und schmerzlichen Kenntnis über das kürzliche Ableben von Thomas Kurzhals liegt es nun bei den Erben, die verbindende Kraft und den unermüdlichen Geist seiner Kompositionsgaben zu hüten sowie in Künftigem zu erneuern.
Die Zweifel entkräftende Auferstehung einer der Klassik-verbundensten und delikatesten Deutschrock-Sinfonien, gleichfalls Huldigung an ihre musikalische Brutstätte Meissen, "Weißes Gold", nährt prompt die Hoffnung auf Verfallslosigkeit und demonstriert den tief verwurzelten Stammbaum ihrer Protagonisten.
Im Einklang mit der unaufgeregten Kameraoptik und choreografisch wohldosierten Ausleuchtung reproduzieren die 'Sterne' ihre seelenschweren und dennoch von Zuversicht getränkten Kunststücke mit nahezu motorischer Präzision. Hier bestreiten weder sechs selbstgefällige Virtuosen eine Eigenschaft, welche artifizielles Musizieren oft abverlangt, noch aufgekratzte Ostrock-Archäologen ihren Konzertabend, sondern stilgereifte Freunde und ein willkommenes Küken im Schoße seiner Ziehväter.
Dem Jugendtraum am nächsten, so schmettert Manuel mit Inbrunst und Respekt die Lieder seiner bis dato hybriden Lehrstücke und wird vom Publikum dafür gefeiert wie ein verlorener Sohn. Dabei mag man gern darüber hinweghören, wenn Schreiers grummelnde Sächseleien bisweilen den gesanglichen Gesamteindruck etwas dämpfen, visuell sein altbackener Charme als silberhauptiger Paulus seiner Gefolgschaft jedoch wieder versöhnt.
Die Bühnenakteure hingegen verkörperten an jenem Aprilabend die Bündelung all dessen, was die scheinbar Altersresistenten jahrzehntelang musikalisch ausloteten und bewiesen mit ungebrochener Empathie und spielsicherer Souveränität ihren Umgang mit den meist groß angelegten Arrangements.
Dabei verzichteten die Protagonisten bewusst auf Rock-Gewichtiges wie wirbelndes Gitarren-Inventar, setzten dafür umso mehr auf reichlich Klassik-ambitionierte Tasten-Fingerfertigkeiten und Funk-infizierte Rhythmus-Insignien.
Solistische Würdigungen wie Thomas Kurzhals` in Tasten gehämmerte und postum auf ewig konservierte Lebenspassionen sowie die gelegentlichen Ausbrüche des ansonsten solide grundierenden und mit dem Jazz flirtenden Rückgrat bekommen ihren dramaturgisch angemessenen Raum.
Selbst rar gesäte und einst nach Durchschnittskonsumenten sowie Fönwellen-gestärkten Beats lechzende Pop-Konglomerate wie "Wir sind die Sonne" und "Rabe-Medley" changieren dank Manuels kontemplativer und gleichsam weltumarmender Präsenz zwischen lieblicher Achtziger Jahre-Reminiszenz und erfrischendem Optimismus. Zweifelsohne werden die musikalischen Jubilare mit diesem Konzertfilm reichlich andachtsvolle Fan-Laudatien und zementierende Zusprüche für einen längst überfälligen Stammplatz in den deutsch-deutschen Rock-Annalen ernten.
Über die Sinnigkeit filmischer Boni lässt sich bekanntlich streiten, einerseits aber stillen diese ehrgeizigen Sammlersehnsüchte heimkinographischer Genrevertilger, andererseits bilden solche Attraktionen einen informativen Mehrwert. In diesem Fall gewährt man den Konsumenten zunächst durchaus menschelnde Schlüssellochperspektiven in des Künstlers Allerheiligstes, rückt der Psyche der Beteiligten kurz vor der Show beachtlich nahe.
Ein anderes Mal ergründen die Macher Stern-Meissens 49jährige Aufstiegsgeschichte und ihren beharrlichen Drang, statt unterschwellig aufmüpfigem Arbeiterrock ein vermeintlich elitäreres Breitwandformat und die einnehmende Wirkung von Keyboards als Schlüsselinstrumentarium auszuloten. Aus dem band- und managereignen Erinnerungs-Schatzkästchen gekramte Anekdoten über ausufernde Konzert-Pilgermärsche ganzer Klassik-Rock-affiner Jugendscharen und Thomas' einstiges 'Kreativ-Stübchen an der Elbe' dokumentieren ein Stück DDR-Popkultur und den unfehlbaren Instinkt dieser Combo, ihren musikalisch emotionalen Mehrwert über die Zeiten zu retten.
Im Ergebnis musealisiert dieser tadellos produzierte Konzertfilm (alles andere wäre Krümelkackerei) einen denkwürdigen Moment eingefrorener deutscher Rockgeschichte und das von Wehmut tropfende Abschiedsgeschenk eines schier verkannten und unvergessenen Tasten-Maestros gleichermaßen.
Line-up:
Thomas Kurzhals (keyboards)
Manuel Schmid (vocals)
Martin Schreier (drums, percussion, vocals)
Axel Schäfer (bass)
Sebastian Düwelt (keyboards)
Frank Schirmer (drums)
Tracklist |
DVD 1:
01:TNTK Part I/Part II
02:Die Sage
03:Was bleibt
04:Eine Nacht auf dem Kahlen Berge
05:Der Eine und der Andere
06:Der Frühling 2013
07:Reiter der Nacht
08:Das kurze Leben des Raimund S.
09:Ein Tag, ein Jahr, ein Leben
10:Lebensuhr
Making Of...
Der Rückblick auf 49 Jahre SCM
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DVD 2:
01:Weißes Gold
02:Der Alte auf der Müllkippe
03:Licht in das Dunkel/Mütter gehn fort ohne Laut
04:Also was soll aus mir werden
05:Der Kampf um den Südpol
06:Stundenschlag
07:Rabe-Medley
08:Wir sind die Sonne
Bonusmaterial
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CD 1:
01:TNTK Part I/Part II
02:Die Sage
03:Was bleib
04:Stundenschlag
05:Eine Nacht auf dem Kahlen Berge
06:Der Eine und der Andere
07:Der Frühling 2013
08:Der Alte auf der Müllkippe
09:Reiter der Nacht
10:Das kurze Leben des Raimund S.
11:Ein Tag, ein Jahr, ein Leben
12:Lebensuhr
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CD 2:
01:Weißes Gold
02:Licht in das Dunkel/Mütter gehen fort ohne Laut
03:Also was soll aus mir werden
04:Der Kampf um den Südpol
05:Rabe-Medley
06:Wir sind die Sonne
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