Im Moment schaut's zwar nicht nach Winter aus, aber das kann sich schnell ändern. Das Frustfest ist ja auch schon wieder in gut fünf Wochen. Und finster wird's, bevor wir von der Tagesarbeit heimkommen. Also können wir doch auch langsam mal an weiße Landschaften, Stürme, Frost und gemütliche Abende in der Blockhütte am Kaminfeuer und bei Glühwein mit lieben Freunden denken. Am Anfang ist das ja noch ganz romantisch, auch wenn's nur in der Vorstellung ist.
Versetzen wir uns dann doch gleich weiter in eine tief verschneite, menschenleere Gegend, irgendwo in Skandinavien, in der die Blockhütte steht. Dort, wo sich nicht mal mehr Elch und Vielfraß Gute Nacht sagen. Stille, weite Einsamkeit, die alles erdrückt, wo nur die Härtesten (ausgerüstet von 'Jack Wuffskin') überleben, die mit eiszapfenverhangenen Gesichtern sehen, dass sie vom arschkalten Plumpsklo schleunigst wieder zurück in die warme Bude kommen, um ihre Weichteile mit Senfbädern aufzutauen.
Genau so fängt "Nordic Winter" von Streif, einem Quartett aus Norwegen, an. Akkordeon, dezente Marimbawirbel und eine schneidende E-Gitarre produzieren sibirische Kälte und finnische Depression. Im zweiten Stück wird's heimelig, drinnen in der Hütte ist's warm und still. Die Frau summt mit alten Weisen die Kinder in den Schlaf. Und wenn die dann friedlich von Heizdecken und I-Pods träumen, finden die Eltern genussvoll bluesend auf dem Bärenfell zueinander, sofern das Senfbad gewirkt hat. So vergeht Tag um Tag, draußen wird es kaum mehr hell und das kleine Radio hat auch schon lange Selbstmord mit ausgelaufener Batteriesäure begangen.
Aber was ist DAS - entfernte Musik? Der weiße Wahn?? Oder der Gevatter, der zum letzten Tanz bittet (inszeniert von Ingmar Bergman)??? Nein, es kommen völlig unvorhergesehen Gäste zu Besuch, die allerlei Instrumente und viel selbstgebrannten 'Schwarzen Tod' mitgebracht haben. Das gibt ein Fest! Und die Gäste sind sogar von weit her, sie spielen die Musik ihrer Heimat; klarinettenjauchzende Juden aus Russland, dunkle Blechmusikanten aus Ungarn und vom Balkan, flinkfingerige Trommelschläger aus dem Maghreb, ein schnauzbärtiger Franzose groovt auf seinem Akkordeon und auch der Herr Rypdal aus der fernen Stadt Oslo ist mit seiner eiskalten Gitarre samt Batterieverstärker da. Erst spielen sie einzeln, aber dann finden sie zueinander und auch die Einsiedler mischen mit ihren einfachen Instrumenten mit. Aus verhaltener Folklore wird jazzige Worldmusic, es geht hoch her im entlegenen Holzhaus.
Als die Gäste abgezogen sind, bleibt der böse, alte, zahnlose Kater. Die Nachwirkungen des Schwarzgebrannten sind fürchterlich und es stinkt noch lange, bis die vollgekotzten Decken alle gewaschen sind. Die Kinder schwören, dass sie aus dieser Klitsche abhauen, sobald ein Schulplatz in der nächsten Stadt gefunden ist. Aber noch ist der Winter nicht zu ende und wenn die Polarlichter flackern, steht der nordische Blues auf der Schwelle, eine bittersüße Melodie summend und very pale unter dem schwarzen Gewand.
Ein instrumentales, sehr ansprechendes, größtenteils auf Volksmusikweisen basierendes nordisches Winter-Album mit viel Abwechslung und einem beachtlichen Dynamik-Umfang für Worldmusik-Fans. Merkt euch: Streif!
Line-up:
Georg Reiss (Klarinette, Tárogató, Saxophon)
Tom Karlsrud (Akkordeon, Euphonium)
Torbjørn Økland (Gitarre, Bouzouki, Mandoline, Trompete)
Birger Mistereggen (Percussion, Marimba, Schlagzeug)
Tracklist |
01:Estlandsk Vuggevise
02:Brudesang Fra Solør
03:Saktmodig Brudemarsj
04:Jenta I Næset
05:Bessleiken
06:Klarinettlåt Etter Thomas Lurås
07:Den Første Valsen
08:Hjemlandsklokker
09:Ballade
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