The Styrenes / City Of Women
City Of Women Spielzeit: 36:38
Medium: CD
Label: Rent A Dog, 2007
Stil: Rock

Review vom 09.07.2007


Markus Kerren
Bereits als ich dieses Album zum ersten Mal gehört habe, musste ich unweigerlich an New York City denken. Nicht an das glamouröse Manhattan, auch nicht an die desaströse Bronx, sondern vielmehr an das an der unteren Mittelschicht kratzende Arbeiterviertel Brooklyn. Es tauchen auch keine jugendliche Gangs vor dem geistigen Auge auf, vielmehr sehe ich Männer zwischen vierzig und sechzig an einem mörderisch heißen Sommertag in ihren kümmerlich kleinen Wohnzimmern oder der heruntergekommenen Bar um die Ecke, während sie eiskaltes Bier schlürfen, um die Hitze nach Feierabend etwas erträglicher zu machen.
Der träge Deckenventilator bringt keine Erleichterung, der Achselschweiß nimmt auffällige Geruchsformen an und die Atmosphäre ist dermaßen lethargisch, wie auch durch unterschwellige Aggressionen angespannt, dass es nur einer Kleinigkeit bedarf, bis sich die aufgestauten Gefühle durch einen üblen Faustkampf entladen.
Als ich von meinem Tagtraum so erwache, denke ich mir: Wow, wenn man mit seiner Musik solch lebhafte und kräftige Bilder in der Fantasie des Zuhörers hervorrufen kann, dann hat man schon mal eine ganze Menge richtig gemacht.
The Styrenes sind tatsächlich keine jungen Hüpfer mehr, kommen ursprünglich aus Cleveland und wurden dort bereits 1975 von Paul Marotta gegründet. "City Of Women" ist ein Rockalbum, das sich gerne mal mit dem Punk-Mantel (allerdings ohne reisserische Fußball-Stadion-Mitgröhl-Plattitüden) schmückt, seine irischen Einflüsse (was den Text und Gesang angeht) nicht verleugnen kann und so authentisch ist, dass man das Gefühl hat, den beißenden Whisky-Atem Marottas unmittelbar hinter sich wahrnehmen zu können.
Mit "Transmogrify" geht es punkig los, während "No Means No" ebenfalls jede Menge Dampf macht, allerdings eher im Rockbereich anzusiedeln ist und der Punkrock hier nur noch gestreift wird. "Fly Away" ist dann so ein Song, bei dem sich der Gesang ganz stark nach Irland anhört, wobei die traditionelle Musik der grünen Insel allerdings nicht stattfindet. "Mr. Handsome", wieder von Irland UND großstädtischer Paranoia geprägt, geht super ins Ohr und besticht. Nach dem verzweifelten, aber warmen und vom Piano glänzend akzentuierten "Imposter" folgt mit dem Animals-Hit "When I Was Young" eine faustdicke Überraschung.
Marottas Version ist um einiges langsamer als die der Combo um Eric Burdon. Der Styrenes-Vokalist steigert sich regelrecht in den Song herein und singt sich die Seele aus dem Leib. Und das Beste ist, dass sich der Song völlig transformiert, einen komplett neuen Blickwinkel erhält. Entfremdung ist das treffende Wort. Was hier rüberkommt, kann nur so beschrieben werden, dass der Protagonist in gehobenerem Alter plötzlich zu der Erkenntnis gelangt, dass er sich vollkommen von dem ambitionierten und abenteuerlustigen, hoffnungsvollen Teenager, der er einst war, entfremdet hat, sich fast kaum noch an ihn erinnern kann. Ein unerträglicher Gedanke, der deshalb schnellstmöglich mit Pillen und Suff runtergespült wird.
In die gleiche Kerbe haut auch "I Wish I Was High (All Of The Time", d.Verf.), das zu knackigen Gitarren und agilen Drums von dem schrecklichen Moment handelt, wenn einem bewußt wird, dass sich sein komplettes Leben vollkommen anders entwickelt hat, als man sich das immer erträumt hatte und durch diese Tatsache in ein tiefes, emotionales Loch fällt.
Erstaunlicherweise haben The Styrenes kaum einen der zwölf Songs selbst verfasst, sondern neben dem Animals-Klassiker auf Songs des befreundeten New Yorker Musikers Tom Warnick zurückgegriffen. Die (Punk-) Rock Songs auf "City Of Women" stellen sicherlich nichts Neues dar, aber wenn man mal einen hart arbeitenden, stark schwitzenden, desillusionierten, rauchenden New Yorker mit gelben Zähnen und reichlich guten, als noch viel mehr schlechten Lebenserfahrungen in sein Wohnzimmer lassen möchte, dann ist Paul Marotta mit seinen Styrenes genau das Richtige.
Die Musik an sich auf "City Of Women" ist bereits gut genug, aber, auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Dieses Album ist die auf CD gepresste Version des arbeitenden, essenden, trinkenden, Midlife Crisis-geplagten, einem Barfight freudig entgegenhechelnden und desillusionierten Amerikaners, wie man ihn täglich in der Bar um die Ecke treffen kann. Von der Spielzeit zwar etwas kurz greaten, aber dafür steckt in jeder Sekunde dieses Silberlings ein Schweiß- und Blutstropfen.
Lohnt sich allein wegen der Authentizität schon allemal!!
Line-up:
Paul Marotta (vocals, guitar, piano)
U.K. Rattay (guitar)
Al Margolis (bass, vocals)
John Keith (drums, vocals)
Tracklist
01:Transmogrify
02:No Means No
03:Fly Away
04:Mr. Handsome
05:Imposter
06:When I Was Young
07:One More
08:City Of Women
09:Agitated
10:I'm Scared
11:I Wish I Was High
12:Big Room
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