Wild sahen sie aus, die Musiker einer der ersten Glam-Bands. Die Musik, die uns in den Siebzigern entgegenschallte (»Licht aus ... Spot an«) indes war damals nichts für uns junge Rocker. Das war eindeutig zu affig und mädchenhaft. Wir wollten harte Musik und hörten diese auch. Sweet war allerhöchstens geduldet und weil Brian Conolly, Mick Tucker, Andy Scott und Stephen Priest alle lecker lange Haare hatten, hing wohl auch der eine oder andere Bravo-Starschnitt an der Wand.
So wie die jetzigen kurzhaarigen Langmähner von damals heute durchaus Spinat zu schätzen wissen, wären sie wohl auch froh, in der heutigen Mainstream-Landschaft Musik der damals verpönten Glammer zu hören. Die alten Gassenhauer haben rückwirkend ihren Reiz. Zwar spät und vielleicht unter dem Aspekt, etwas Trashig-Kultiges zu hören, aber immerhin.
Als vorliegendes Album ins Haus flatterte, war also klar, dass "Coco", "Ballroom Blitz", "Funny Funny" und Konsorten ihren Weg in des Rezensenten Ohr finden und mit einem geschichtsträchtigen Augenzwinkern besprochen werden ...
Aber ...
Was mir via Reperoire Records da vor die Finger kam, hätte ich so nicht erwartet. Nix da, von wegen Glam Pop. Diese Sammlung rarer Tracks, zusammen auf einem Album mit den
Pipkins (zu denen ich später komme) gab es wohl bereits 1970 auf Vinyl.
The Sweet zeigen hier zwei andere Gesichter. Klar, Sachen wie "Get On The Line" weisen bereits in die spätere Richtung. Aber "Lollipop Man" ist affenstarker, authentischer Sixties-Beat. Davon hat es noch mehr auf der Platte. Was allerdings außerdem auf der Platte schlummert, ist beachtlich und wir langhaarigen Gammler hätten uns damals nicht schämen brauchen, wenn wir gesagt hätten, dass wir
Sweet hören. Die Jungs spielten Blues Rock ("Mr. McGallagher") mit starkem Wah Wah- und Keyboard-Part. Und sie spielten noch blues-rockiger: "The Juicer" à la mode de
Chicken Shack. Als ob das nicht genug der Überraschung wäre, geht "The Spider" gar etwas in eine schwere, psychedelische Rocknummer. Beim letzten Stück, "My Little Girl From Kentucky" grüßen gar die
Byrds. Nicht auszudenken, wenn
The Sweet musikalisch einen anderen Weg eingeschlagen hätten. Sie hatten es drauf ...
Ganz unbekannt sind die beiden Musiker indes nicht. Neben den beiden ersten Tracks, die (ich bin sicher) jeder Leser kennt, war Tom Burrows Sänger u.a. bei Brotherhood Of Man (gewannen 1976 mit "Save Your Kisses For Me" den Grand Prix Eurovision de la Chanson) und Edison Lighthouse (Nummer-1-Hit: "Love Grows (Where My Rosemary Goes)"). Roger Greenaway schrieb ebenfalls einen Nummer-1-Hit. Zusammen mit David Dundas war das "Jeans On" (1976). Sollte jetzt immer noch einer überlegen wegen Pipkins und "Gimme Dat Ding" ...