Ten To 16 sind brandgefährlich.
Schon lange ist mir kein Album einer Band mehr in die Hände geraten, bei der die 'Gefahr', sie zu unterschätzen, derart groß ist. Die Österreicher sind stilistisch verdächtig unauffällig. Sie machen Rockmusik in Viererbesetzung: Gitarrist, Basser, Drummer und Sängerin. Es geht vordergründig in keine besonders markante Stilrichtung. Sie sind straight, eingängig, melodisch ... Aber komme mir bitte keiner auf die Idee, Ten To 16 als irgendeine von vielen bierselig-stimmungslallenden Stadtfest-Kapellen abzutun. Für alle, die der englischen Sprache mächtig sind, würde die Band zum Stimmungskiller, sobald Frontfrau Sophie den Mund aufmacht. Denn die Texte haben es ganz schön in sich - und spätestens mit dem Studium der Themen fällt auf, mit was für einem Tiefgang Ten To 16 unterwegs sind.
Und was nehmen die sich da eines Stoffes an! Es geht um zerbrochene Lebensträume ("Burn Out"), teils sogar sehr konkret: "Gone West" erzählt kurz und knapp, irgendwie plakativ, aber dennoch treffsicher die Geschichte eines jungen Mädchens aus Osteuropa. Große Träume ziehen sie in den Westen, wo sie sich und ihren Körper verkauft, um am Ende verlassen und verbrannt da zu stehen. Es geht um religiösen Fanatismus und Gewalt ("Breathe"), um halbstarke, untreue Idioten ("3 Pounds Of Nonsense") und um die Hybris einer heuchlerisch verklemmten Gesellschaft, die glaubt, ihre Kinder 'anständig' erziehen zu können ("Porn"). Es geht um zerrüttete Familien ("Living Dad" - was für ein großartiges Wortspiel!); und der Song "10 To 16" beschreibt, wie ein Mädchen den eigenen Vater absticht, der sie Jahre lang vergewaltigt hat. Harter Stoff ...
... aber der wirkt, und wie! Die (relativ) straighte Rockausrichtung will dabei - Hördurchgang für Hördurchgang immer stärker - erstaunlich gut zu den Messages passen. Die Songs sind nicht die dramatischen Moll-Monstren, die sie eigentlich sein 'müssten'. Und dadurch schwingt schon mal ordentlich Sarkasmus mit. Aber vor allem kommen die Botschaften durch die Kompaktheit der Songs mit einem heftigen Punch genau da an, wo sie hin sollen: zwischen den Ohren des Hörers. Und da bleiben sie lange! So aufwühlend die Inhalte der Songs sind, so schnell wechselt auch schon mal die Atmosphäre, die die Instrumentalisten erzeugen. Man pendelt zwischen ineinander fließenden Klargitarren-Arpeggien - verträumt, aber doch irgendwie schon angespannt - und hartem Riffing - "Shut Up", beispielsweise, wird ziemlich grollend und böse.
Die Rhythmusabteilung aus sehr präsent, teils funkig knatterndem Bass und dem viele Akzente setzenden Schlagzeug formt zusammen einen Drive für hohe Ansprüche. Man hört, dass Prog-Mucke einen nicht unwichtigen Teil im Soundtrack des Lebens dieser Musiker einnimmt - Ten To 16 starteten einst auch 'nur' als Nebenprojekt. Die Gitarre schafft es, harmonisch pausenlos viel Interessantes zu bewegen und zugleich der Sängerin keine Räume wegzunehmen. Und diese füllt sie exzellent aus. Sophie hat eine eindringliche, kraftvolle Stimme. Sie belebt ihre mutigen, offensiv ausholenden Melodien mit Power und Leidenschaft. Manchmal ist auch ein bisschen Schmutz dabei. Sie ist so etwas wie das Gegenteil von glatt geschliffenen, sich mit Vibrato-Künsten schwindlig trällernden DSDS-Püppchen. Sophie klingt echt. Schon in zurückhaltenden und zarten Passagen wie zu Beginn von "Gone West" schwingt viel Energie mit - eine gewisse Power unterstreicht immer die Entschlossenheit der Botschaft. Und wenn Sophie dann richtig hoch ansetzt, dann zeigt sie, was alles an Emotion und Stimmvolumen in ihr steckt.
Besonders beeindruckt hat mich "Beautiful Day". Die Nummer startet voller positiver Energie, unterlegt von Vogelgezwitscher und dem Klang spielender Kinder:
»And the birds
The birds are singing
And a breeze so soothing«
Die Atmosphäre wechselt abrupt, als auf dem Spielplatz plötzlich eine Bombe hochgeht ...
»And no birds
No birds are singing
And the air is stinging
Playground is empty / No sound to be heard
A girl on the ground / Her legs not to be found«
Ein Song darüber, was für ein Wahnsinn jeden Tag irgendwo in der Welt passiert, während die Leute anderswo den schönen Tag genießen. Im Song wird es kurz dramatisch, die Atmosphäre trübt sich ein ... und ganz schnell verfliegt all die Aufregung wieder. Harmonisch und ironisch endet "Beautiful Day":
»Dismembered bodies
Lying all over the place
And somewhere they say
What a beautiful day«
Es ist schon fast unverschämt, frech, wie Ten To 16 den Hörer mit 'Stimmungsschwankungen' konfrontieren. Aber das sitzt. Wie passend dazu ist der Name dieses Debütalbums, "Fearless" ... keine Angst, die Wirklichkeiten der Welt beim Namen zu nennen. Ten To 16 selbst nennen ihre Musikrichtung 'SophRock' - 'Sophisticated Rock'. Bedauerlich ist die Nachricht, dass Tommy Nedoma, Gitarrist und wichtiger Songschreiber, die Band inzwischen verlassen hat. Bleibt zu hoffen, dass man trotz dieses Rückschlags eine beständige Zukunft haben wird. Es wäre verdient. Denn Ten To 16 sind alles andere als 08/15.
Line-up:
Sophie Schnitzer (lead and backing vocals)
Thomas Nedoma (guitars, backing vocals)
Ludo Shô (bass)
Tom Daniels (drums, keyboards, sampling, backing vocals)
Tracklist |
01:Living Dad (6:14)
02:Burn Out (3:32)
03:3 Pounds Of Nonsense (4:25)
04:Gone West (6:22)
05:Porn (4:33)
06:Alone (4:09)
07:Breathe (5:54)
08:Shut Up (5:02)
09:Beautiful Day (4:18)
10:On My Way (4:59)
11:10 To 16 (4:36)
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