Wenn die Scheiße am Kochen ist, tut es besonders gut, in all dem trüben Sumpf eine glänzende Perle zu entdecken. Ja, die Scheiße kocht: Im Geisterbahnhof des Milliardengrabes Stuttgart 21 fahren leere Züge permanent hin und her, damit sich kein Schimmel bildet, der Bundestag ist mehrheitlich der Meinung, dass Wasser kein Grundrecht ist, von den monatlichen Energiekosten hätte man noch vor ein paar Jahren ein Haus abbezahlen können und Punker Campino ist sauer, weil Heino den Punk nun auch in die Wohnzimmer der Marke Gelsenkirchener Barock bringt. Freu dich doch!
Ja, es gibt immer wieder Perlen zu entdecken. Zu meiner Schande muss ich gestehen, Tibet bis dato lediglich als zentralasiatisches Hochland gekannt zu haben. Die Band Tibet, die sich 1980 auflöste, habe ich also erst in diesem Jahrtausend kennengelernt und ich konstatiere, ihre Platte hätte damals die gleiche Begeisterung verursacht, wie das Musik der Marke Jane, Nektar, Novalis, um nur mal einige Referenzen zu nennen, schaffte. Nun gut, das Damals ist gegessen und so gibt es diese Perle deutscher Musik eben erst im Jahre 2013.
Zur Bandgeschichte selbst will ich nur wenig schreiben, denn Tibets Website ist mehr als vorbildlich. Dermaßen informative Bandseiten finden sich selten, zumal dann nicht, wenn es die Gruppe nicht mehr gibt. Auch das Booklet ist äußerst informativ und ich will doch hoffen, dass Kraut-Fans, die dieses Album noch nicht besitzen, zuschlagen werden.
Die musikalischen Wurzeln reichen zurück bis Mitte der 1960er und bevor man sich dem krautigen und progressiven Stil verbunden fühlte, machte man in orientalischem Rock. Line-up-Wechsel, Einsatz von Lightshows, erste Auftritte in Jugendzentren... wir kennen alle diese schöne Vergangenheit.
Die Band beteiligte sich u. a. mit Franz K., Bröselmaschine und Kraan an der Gründung der deutschen Rockfamilie, aus der später der deutsche Rockmusikerverband entstehen sollte. Es folgten Auftritte auch im Ausland, wie auf dem Windsor Free- oder dem Watchfield Festival. Neben Gruppen wie Hawkwind, Ginger Baker und Traffic begeisterten sie dermaßen, dass sie als einzige Band zwei Zugaben geben durften und auf einer Bewertungsskala von 1 bis 10 die 10 erreichten!
Musikalisch geht es tief in den Krautrock und ins Progressive. Nicht zu sehr vertrackt zum Glück, sondern höchst melodisch durchstreift die Gruppe verträumte Landschaften mit traumwandlerischem Gespür für Stimmungen. Die Keyboards tönen herrlich voll oder zerbrechlich klingend wie ein Mellotron. Die Rhythmusabteilung setzt punktgenaue Akzente und Klaus Werthmann hat es stimmlich drauf, hier und da wie eine dezente Mischung aus Inga Rumpf zu Atlantis- / Frumpy-Zeiten und Saga zu klingen. Beggars Opera scheinen etwas durch und überhaupt: die Zutaten, mit denen die sieben Tracks garniert sind, schmecken dermaßen gut und erinnern an die ganz Großen des Genres.
Es ist mir unmöglich auch nur ein Stück besonders zu erwähnen, denn allesamt sind sie ganz feine musikalische Kostbarkeiten. ELP, Pink Floyd und Genesis zählen die Musiker zu ihren Inspirationsquellen. Ja, aber über allem schwebt zusätzlich diese bekannte und so typisch krautrockartige Note, wie sie den deutschen Bands aus der Vergangenheit so eigen war.
Diese Platte zu hören ist eindeutig eine Sternstunde im Redaktionsalltag. Ich bin begeistert und freue mich, wenn es stimmt, dass es noch bisher unveröffentlichtes Material von Tibet gibt und Musea bereits die Nase in diese Richtung steckt.
Zum Schluss vielleicht doch noch eine Songempfehlung: "Eagles". Oder auch "Fight Back", "City By The Sea", "White Ships And Icebergs", "Seaside Evening", "Take What's Yours" und "No More Time". Entscheidet am besten selbst...
Line-up:
Klaus Werthmann (lead vocals)
Deff Ballin (keyboards, percussion)
Dieter Kumpakischkis (keyboards)
Karl-Heiz Hamann (bass, percussion)
Fred Teske (drums, percussion, guitars, vocals)
Jürgen Krutzsch (guitars, percussion)
Tracklist |
01:Fight Back
02:City By The Sea
03:White Ships And Icebergs
04:Seaside Evening
05:Take What's Yours
06:Eagles
07:No More Time
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Externe Links:
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