Wenn der Chef gerade unpässlich ist
»Na toll« dachte ich mir, als mich Dirk von Vibra Agency anrief und um mir die vermeidlich schlechte Nachricht zu überbringen. Was war passiert?
An einem sonnigen Samstag war ich mit Tito Larriva, dem Kopf von Tito & Tarantula, zu einem Interview verabredet. Ort war das Gelände des Motorrad-Ausstatters POLO in Düsseldorf-Reisholz. Neben den Leningrad Cowboys spielten dort auch Tito & Tarantula an diesem Abend und nach dem Konzert sollte ich mich eigentlich mit Tito treffen. Lief auch alles bisher soweit ganz gut: Super Open-Air-Wetter, keine Probleme mit der Gästeliste und dem Einlass und das knapp 60-minütige Konzert der Band war auch vom Feinsten.
Nach der Show allerdings bekam ich diesen oben genannten Anruf von Dirk mit der Aussage, das Tito Larriva leider heute nicht mehr für ein Interview zur Verfügung stehen wird. Tito habe schwere Stimmprobleme und da die Tour gerade erst losging, musste er sich unbedingt schonen. Kurzentschlossen fragte ich dann nach, ob ich nicht mit dem Gitarristen Steven das Interview führen könnte.
Das ging dann auch klar und einige Minuten später befand ich mich im Backstagebereich und saß Steven Medina Hufster, Gitarrist, langjähriger Freund und musikalischer Weggefährte von Tito, gegenüber
Steven: Hallo. Sorry, aber Tito krieg echt keinen Ton mehr raus. Ich hoffe es ist OK für euch, wenn ich die Fragen beantworte.
RockTimes: Sehr nett, dass du dir Zeit nimmst. Klar, kriegen wir schon hin. Ich fang einfach mal an (in diesem Moment betreten auch die anderen Bandmitglieder, Bassistin Lucy La Loca und Drummer Alfredo Gayoel den Raum und gesellen sich zu uns).
Wenn eine Band fünf Jahre kein Album rausbringt, spricht man eigentlich von einem Comeback. Bei eurer neuen CD "Back Into The Darkness" hat es zwar auch so lange gedauert, aber ihr wart ja nie wirklich weg, sondern immer im Sommer in Deutschland auf Tour. Warum habt ihr denn so lange für ein neues Album gebraucht.
Steven: Ja, du hast recht. Fünf Jahre ist eine lange Zeit, aber seit dem letzten Album 2003 hat sich einiges getan. Tito hat u.a. ein anderes Album produziert und war an einem Musikprojekt an der Schule seiner Tochter involviert. Dann kommt der Line-up-Wechsel dazu, denn bis auf Tito und mich ist keiner der Besetzung vom letzten Album mehr da. Tito wollte zunächst unter dem Name Tito From Tarantula weitermachen, aber diese Idee hat sich dann nicht durchgesetzt. Also hat er neue Leute gesucht und erst nach einiger Zeit touren ging es ans Songwriting für das Album. Das war vor knapp eineinhalb Jahren.
RockTimes: Ihr kommt ja wirklich regelmäßig nach Deutschland und vor allem bei POLO seid ihr jetzt schon zum dritten Mal. Habt ihr eine besondere Beziehung zu Deutschland bzw. zu POLO.
Steven: Auf jeden Fall. Das mit POLO hat sich so ergeben und wenn es passt, schieben wir immer gerne wieder einen Auftritt für POLO in den Tourneeplan mit ein. Es ist zwar keine Clubshow, wo es dunkel ist, aber wir genießen immer wieder die Abwechslung und zwischendrin mal ein kleines Open-Air wie heute, bei toller Stimmung und klasse Wetter, ist immer was Feines.
RockTimes: Die neue Platte wurde in Bad Illburg (Anmerkung: In der Nähe von Osnabrück am Teutoburger Wald gelegen) aufgenommen. Sicher ein etwas ungewöhnlicher Ort für eine Band wie euch eine Platte aufzunehmen?
Steven: Tito & Tarantula sind mittlerweile mehr als eine Band - wir sind eine 'Happy Family'. Ein Teil dieser Familie ist unser Sound-Engineer und Co-Producer Markus, der dort ein Studio hat. Es ist wirklich ein wunderbarer Ort. Das Studio befindet sich in einer alten umgebauten Mühle und liegt Mitten im Wald. Ein anderer Grund, warum wir gerade dort das neue Album produziert habe ist, das wir es während einer Tour dort produzieren konnten. Wir haben ein paar Gigs gespielt und sind dann wieder zurück ins Studio, wo wir sofort weitermachen konnten.
RockTimes: Dann ist es also für euch nicht wichtig, wo ihr aufnehmt? Manche Bands brauchen ja immer ein gewisses Umfeld, damit die richtigen 'Vibes' entstehen?
Lucy (schaltet sich ein): Nein, solange wir vor Ort sind und genug Schnaps da ist, geht das schon (alles lacht).
RockTimes: Eure neue Scheibe weist meiner Meinung nach weniger die bisher typischen mexikanischen Einflüsse auf, sondern tendiert mehr in Richtung Southern Rock. Würdest du mir da zustimmen?
Steven (überlegt): Nein, eigentlich nicht. Das ist eine Entwicklung, die sich durch die letzten Alben zieht. Das Album, was die Leute immer mit uns verbinden, ist natürlich "Tarantism". Es ist auch immer noch ein tolles Album und war ein Segen für die Band. Wir gehen aber weiter und versuchen, nicht immer dasselbe zu machen. Auf der amerikanischen Version von "Back Into The Darkness" gibt es zum Beispiel ein sogenanntes Modern Latin Rock-Stück. Außerdem gibt es auch wieder ein paar Punk-Einflüsse. In Amerika kennt jeder Tito als den ersten mexikanischen Punkrocker, und ich habe damals in den 80s schon mit ihm zusammen Punk gespielt. Diesmal haben wir versucht, den Blues etwas mit Punk aufzumotzen um der Platte eine gewisse Aggressivität zu geben.
RockTimes: Du schreibst ja mit Tito zusammen die Songs. Mich würde mal interessieren, ob ihr die Songs immer sofort in einer Sprache schreibt oder ob ihr später entscheidet, was in spanisch und was in englisch gesungen wird.
Steven: Das passiert automatisch aus dem Bauch heraus, ohne zu überlegen. Manchmal überlegen wir später zusammen, ob der Song in einer anderen Sprache besser klingt, aber meistens steht das schon sofort fest. Wichtiger ist, das wir uns stilistisch nicht festlegen lassen. In Amerika war es bisher immer wichtig, das du zu einer Gruppe gehörst. Du bist Gothic und du bist Latino. Mittlerweile aber verschwindet diese Schubladendenken immer mehr und viele Lationos sagen: »Warum kann ich nicht Morrissey UND Metallica gut finden?« Alfredo (zeigt auf den Drummer, der daraufhin kurz nickt) gehört zu den Pionieren des Latin-Rock. Er gehörte zu einer in den USA sehr bekannten Latin Rock-Band und ist nebenbei auch Tourschlagzeuger bei den Beastie Boys.
RockTimes: Wenn man sich euren Tourneeplan ansieht fällt auf, dass ihr neben sehr vielen Club- und Festivalauftritten in Deutschland dieses Mal auch sieben Konzerte in Kroatien auf dem Plan habt. Was verbindet euch mit Kroatien?
Steven: Ja, das ist schon erstaunlich. Es sind sogar mittlerweile acht Auftritte in Kroatien. Mich hat es auch verwundert, aber ich weiß, dass Tito vor ein paar Jahren schon mal dort getourt ist und auf ein sehr großes Interesse gestoßen ist. Mehr kann ich dir zu diesem Punkt leider auch nicht sagen.
RockTimes: Gibt es bei euch auf Tour noch diesen sagenumwogenen 'Rock'n'Roll-Lifestyle'? Wenn die Leute euren Namen hören, denken viele an deftige Tequilla-Orgien... .
Steven (unterbricht mich lachend): Genau aus diesem Grund haben wir seit knapp zwei Jahren neue Mitmusiker. Es ging nicht nur um die Musik, aber wir wollten endlich wieder Leute, die auch gut feiern können (wieder lachen alle los). Unser letzter Bassist und auch der letzte Drummer zogen sich nach der Show sofort in den Tourbus zurück und sind nicht mehr mit 'auf die Rolle gegangen'. Zum Glück passen wir in der neuen Besetzungen sowohl musikalisch als auch menschlich super zusammen und machen meistens nach der Show nochmals raus. Das mit den 'Tequilla-Orgien' machen wir aber heutzutage nicht mehr, denn man wird einfach älter. Tito und ich haben herausgefunden, dass Wodka das bessere Getränk ist, wenn man lange auf Tour ist. Das dauert länger, bis er dich umhaut. Lucy dagegen schwört als Texanerin auf Jack Daniels (Lucy nickt eifrig und kommentiert das mit einem breiten »Yeahh«).
RockTimes: Aber als Mexikaner habt ihr doch den Tequilla sicherlich nicht ganz verbannt?
Steven (nachdrücklich): Natürlich nicht. Letztes Jahr in Österreich sagte zu uns jemand abwertend, wie man nur Tequilla trinken könnte. Ich wurde daraufhin etwas ungehalten und habe ihm erst mal klar gemacht, das Tequilla nun mal das mexikanische Nationalgetränk ist und man sich bestimmt von keinem Österreicher etwas über Tequilla erzählen lassen muss. Der hier in Deutschland aber bekannte Tequilla (Anmerkung: Name wird hier nicht genannt - dürfte aber allgemein bekannt sein: so hieß in den 80ern mal ein Ford-Modell) ist auch nicht annähernd vergleichbar mit dem richtigen braunen mexikanischen Tequilla. Vor jedem Auftritt trinken wir hinter der Bühne noch kurz einen Tequilla. Das ist unser Bandritual.
RockTimes: Zum Schluss möchte ich gerne noch mit euch über euer Image sprechen. Tito & Tarantula haben immer dieses Image der coolen Säue und der Wüstensöhne. Pflegt ihr dieses Image bewusst oder ist euch das egal?
Steven (lacht schon wieder): Wieso Image? Wir sind wirklich so. Schau uns nur an. Was du hier vor dir hast, sind 100 % wir selber und keine Imagemaskerade. Alfredo mit seiner lockigen Matte wirkt etwas ungewöhnlich, aber er ist so. Lucy wirkt immer etwas verrückt und deshalb heißt sie eben auch La Loca. Ich bin auch schon so lange im Geschäft und habe auch keine Lust mehr, mich zu verstellen. Tito & Tarantula sind also absolut authentisch ohne Image. Eben so wie wir sind, und das mögen die Leute.
RockTimes: Nach diesem gelungenen Schlusswort kann ich mich nur noch bedanken, das wir das hier so kurzfristig noch hinbekommen haben. Viel Spaß noch auf der Tour und beste Genesungsgrüße an den 'Chef'.
Steven: Wir danken auch. Hat echt Spaß gemacht. Schönen Abend noch.
Nachtrag: Hat ja dann doch noch alles geklappt. Ich habe selten ein Interview in so einer angenehmen Atmosphäre geführt. Da kann Tito Lariva sich wirklich glücklich schätzen, das er einen so guten 'Stellvertreter' hat.
Wir danken Dirk Pellmann von Vibra-Agency, der uns das Gespräch mit Steven ermöglicht hat.
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