»Was lange währt...« Wie lange mussten wir auf das 'trans-sibirische Orchester' warten! Seit vielen Jahren tourt das TSO mit riesigem Erfolg durch die größten Hallen - leider bislang nur in Nordamerika. Irgendwie ist es nachzuvollziehen, dass man lieber vor 15.000 Fans in der Heimat als vor einem Zehntel davon in Übersee spielt. Wohl auch deshalb blieb es bislang nur bei Ankündigungen und als im vergangenen Jahr eine mögliche 2011er Tour durch Europa gemeldet wurde, wartete man insgeheim bereits auf die Absage. Gut, die kam folgerichtig, aber es war glücklicherweise 'nur' die des charismatischen Sängers Jon Oliva. Der musste wegen eines schweren Krankheitsfalles in der Familie zuhause bleiben, wurde aber durch den in Mainz überragenden Jeff Scott Soto absolut gleichwertig ersetzt. Soto sprang bekanntlich nicht zum ersten Mal live beim Trans-Siberian Orchestra ein. Beim epochalen "Night Castle" von 2009 war er gar einer der Hauptsänger.
Die Phoenix-Halle - eine alte Montagehalle für Eisenbahnwaggons - war entgegen aller Erwartungen nicht ganz gefüllt, was natürlich verblüffend war. Woran mag das nur liegen, dass die Leute ihren Allerwertesten nicht mehr von der heimischen Couch bekommen? Allein mit den Ticketpreisen ist diese Frage nicht zu beantworten. Wohl eher mit einem gewissen 'Völlegefühl' angesichts der Überfütterung mit musikalisch hochwertiger 'Live-Ware'. Auch über die sprichwörtliche 'Schlaffärschigkeit' meiner Generation könnte man jetzt hier wieder mal schwadronieren, die haben sich allerdings mit dem Verpassen von Beethoven's Last Night ein Eigentor eingehandelt. Denn: Es war wohl das Ereignis des Jahres!
Rund um diesen Abend in Mainz kann man eigentlich nur in Superlativen schwelgen. Fangen wir einmal mit dem Sound an. Dass es auch mit gedrosselter Lautstärke hevorragend zugehen kann, bewies der Mann am Mischpult nachdrücklich. Glasklar und transparent kam der orchestral interpretierte Stoff herüber und selbst in der Nähe der Boxentürme waren Schallschützer nicht notwendig. Einzig die Streicher hätten ein wenig stärker zugemischt werden dürfen.
Das Licht war einfach überwältigend und der Komplexität dieser Rockoper angemessen. Nicht nur mit Pyro- und Lasertechnik wurde großzügig hantiert, auch die drei gotischen Spitzbögen hinter der 'Schlagzeugburg' wurden phantasievoll illuminiert. Zeitweilig klappte dem visuell stark geforderten Zuschauer die Kinnlade herunter.
Im Mittelpunkt stand (natürlich) Keyboarder Rob Kinkel, der bekanntlich die meisten Songs co-komponiert und die klassischen Stücke neu arrangiert hat. Ihm war Gitarrist Al Pitrelli zur Seite gestellt, der teilweise als Dirigent agierte. Roddy Chong gab mal den souveränen Konzertmeister - mal, wie bei Mozarts "Hochzeit des Figaro" und Beethovens "Fünfter, Erster Satz", den Violinen-Derwisch. Dagegen brachten Gitarrist Chris Caffery und Bassist Johnny Lee Middleton den Rock'n'Roll auf die Bühne der Phoenix-Halle, indem sie mitunter fröhlich 'bangend' an der Bühnenkante standen.
Die Stücke von "Beethoven's Last Night" wurden selbstredend in der üblichen Reihenfolge gespielt - zumeist ein wenig langsamer als in den Studioversionen, dafür aber mit höherer Intensität. Die virtuosen Streicherpassagen visualisierte das Genie am Lichtmischpult gerne mal mit einem Lasergewitter. Die Auftritte des teuflischen Mephisto - Jeff Scott Soto ließ hier Jon Oliva vergessen - wurden mit wahren pyrotechnischen Höllenfeuern untermalt. Womit wir bei den Sängern wären... Allesamt überzeugend, kann man da nur konstatieren! Wegen ihrer außergewöhnlichen Klasse sind zwei besonders hervorzuheben: Andrew Ross, der Twists Gesangsparts übernahm und später die Savatage-Klassiker sang, sowie Chloe Lowery die als Beethovens Geliebte Theresa brillierte, obwohl man in dieser Rolle natürlich die phänomenale Patti Russo (ja genau, Meat Loafs Co-Sängerin) vermisste.
Als einziger Minuspunkt der geschliffen inszenierten Rockoper ist die Rolle des Erzählers anzusehen. Nicht dass Brian Hicks kein charismatischer Storyteller wäre, diese Passagen waren einfach nur etwas zu langatmig. Fraglos muss dieser Rolle eine wichtige Bedeutung zugemessen werden, man hätte die minutenlangen Texte allerdings straffen sollen - teilweise begannen sie dem Schreiber das Nervenkostüm zu strapazieren.
Nach zwei Stunden endete "Beethoven's Last Night" mit Patti Russos verträumtem "A Final Dream" und das Mainzer Publikum, das anfangs etwas spröde wirkte, feierte das Trans-Siberian Orchestra mit Standing Ovations. Was nun folgte machte sprach- und atemlos: Eine geschlagene dreiviertel Stunde lang brachte das TSO Songs aus ihrer aktuellen Rockoper "Night Castle" sowie vom Publikum frenetisch gefeierte Savatage-Klassiker zu Gehör.
Zu "Sleep" kam erstmals der "Beethoven's Last Night"-Komponist und -Produzent Paul O'Neill, mit einer akustischen Gitarre bewaffnet, auf die Bühne. Gemeinsam mit dem einfühlsam singenden Jeff Scott Soto sorgte er für Gänsehautschauer. Beim folgenden "Toccata - Carpimus Noctum" aus dem "Night Castle"-Album wuchs Roddy Chong wieder einmal über sich hinaus. Korsakows "Hummelflug" und "O Fortuna" aus den mittelalterlichen Trinkliedern der "Carmina Burana" begeisterten Liebhaber klassischer Musik wie metallischer Klänge gleichermaßen. Mit den von Andrew Ross phänomenal vorgetragenen Savatage-Klassikern "Another Way You Can Die" und "Chance" endete eine fast drei Stunden dauernde monumentale Show.
Ob das Trans-Siberian Orchestra - wie von einem von den Mainzer Ovationen augenscheinlich überwältigten Al Pitrelli euphorisch angekündigt - im kommenden Jahr wieder nach Europa kommen wird, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Es wäre zu schön, um wahr zu sein...
"Beethoven's Last Night" war für mich das Konzert-Highlight des Jahres - darauf kann ich mich locker festlegen. Was soll diese gigantische Show eigentlich noch 'toppen'?
RockTimes dankt Raphaela Ciblis von Moderne Welt für die freundliche Akkreditierung und den Platz in der ersten Reihe.
Setlist:
01:Overture
02:Midnight
03:Fate
04:What Good This Deafness
05:Mephistopheles
06:What Is Eternal
07:Mozart and Memories
08:Vienna
09:Mozart (Die Hochzeit des Figaro)
10:The Dreams of Candlelight
11:Requiem (The Fifth)
12:I'll Keep Your Secrets
13:The Dark
14:Für Elise
15:After the Fall
16:A Last Illusion
17:This Is Who You Are
18:Beethoven (The Fifth, 1. Set)
19:Mephistoteles' Return
20:Misery
21:Who Is This Child
22:A Final Dream
Zugaben:
23:Sleep/Help-Medley
24:Toccata - Carpimus Noctum
25:Flight Of The Bumble Bee
26:Hall Of The Mountain King
27:Carmina Burana: O Fortuna
28:Another Way You Can Die
29:Chance
Line-up:
Al Pitrelli (guitar)
Robert Kinkel (piano, keyboards, background vocals)
Chris Caffery (guitars)
Johnny Lee Middleton (bass)
Jeff Plate (drums)
Roddy Chong (violin)
Mee Eun Kim (keyboards)
Brian Hicks (narrator [Erzähler])
Andrew Ross (vocals, guitar)
Paul O'Neill (rhythm- & acoustic guitar, production)
Rob Evan (vocals)
Patti Russo (vocals)
Jeff Scott Soto (vocals)
Jennifer Cella (vocals)
Alexa Goddard (vocals)
Kristin Gorman (vocals)
Steena Hernandez (vocals)
und andere...
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