Traumhaus / Ausgeliefert
Ausgeliefert Spielzeit: 76:51
Medium: CD
Label: Progressive Promotion Records, 2014 (2001)
Stil: Neo Prog

Review vom 10.07.2014


Steve Braun
Nach dem überzeugenden Comeback der Limburger Neo-Progger Traumhaus mit Das Geheimnis, legt das Label auch die ersten Scheiben noch mal neu auf. Den Anfang macht das gleichnamige Debütalbum von 2001, das mit neuem Cover und nun "Ausgeliefert" betitelt erschienen ist.
Traumhaus' größte Problematik scheinen in der Vergangenheit die häufigen Besetzungswechsel gewesen zu sein. Jedes Album wurde mit einer nahezu komplett neuen Formation eingespielt. Einzige konstante Größe und letztes verbliebenes Mitglied der Urformation ist Sänger und Keyboarder Alexander Weyland. Es bleibt die Hoffnung, dass nun dahingehend mehr Zielstrebigkeit und Konstanz einkehren werden.
Was sofort auffällt, ist die deutlich rockigere Ausrichtung in den Anfangstagen. Deshalb erinnert "Ausgeliefert" noch einen Tick mehr an Anyone's Daughter zu In Blau-Zeiten als "Das Geheimnis". Dazu passt die sehr poetische Orientierung der Textgestaltung, die mit ihren gesellschaftskritischen Nadelstichen Parallelen zu Novalis nicht verhehlen kann.
Ebenso sticht die noch erheblichere Dominanz der Keyboards ins Auge, was sicherlich daran liegt, dass sich seinerzeit neben Weyland mit Frank Woidich noch ein Organist im Line-up von Traumhaus fand. Dessen giftige Hammond-Attacken haben Rahn'sches Format, fügen sich in die harmonisch-warmen Synthesizer- und Mellotronwände perfekt ein und geben diesen den notwendigen Pfiff.
Dreh- und Angelpunkt bildet das knapp 18-minütige "Ausgeliefert", das nun zum Titelstück erkoren wurde. Fast eine kleine, zu keinem Zeitpunkt klotzig wirkende Sinfonie, die mit mal trübsinnigen, mal harten Passagen das Thema 'Sexueller Missbrauch von Kindern' sehr ansprechend ausarbeitet. Vielleicht in etwas zu plakative Aussagen verpackt, aber es ist wirklich schwierig, dieses Sujet in angemessene Worte zu kleiden.
Der zweite Anker des Album ist "Wandler", das in seiner Dramaturgie sehr stark an Novalis erinnert. Flirrende Synthesizer, wattige Streicherklänge, bissige Einschübe der Gitarre, eine filigran agierende Rhythmusfraktion in persona Michael Dorniak (der gleich die Bass- und Schlagzeugarbeit auf sich vereint) und nicht zuletzt ein irres Hammondsolo - neoprogressives Herz, was willst du eigentlich mehr??
Bärenstark sind auch die beiden Instrumentals, "Peter und der Wolf" und "Navarita", die zwei sehr rockige Zwischenspiele darstellen, wobei speziell letzteres feurig-progmetallische Züge vorweisen kann. Das mächtige "Zu spät" sowie das epische "Das Neue" stehen hier bezüglich der härteren Gangart in nichts nach.
Drittes Hightlight bildet das abschließende "Am Abgrund". Wer angesichts des Titels eine robustere Ausrichtung erwartet, dem wird die Diskrepanz zwischen der Thematik und der hochmelodiösen musikalischen und -poetischen textlichen Gestaltung auffallen. Gänsehautmomente stellen sich ein, wenn gegen Ende mächtige Mellotron-Wälle errichtet werden und in sich zusammenzufallen scheinen.
Die Schwachpunkte sind marginal, fallen kaum ins Gewicht. Das eröffnende "Aufwärts" mögen die einen als kompakten Song mit Hitpotenzial erachten - mir persönlich ist die Ausrichtung etwas zu glatt und eingängig. Hier hätte ich mir mehr 'Widerborstigkeit' gewünscht.
Die beiden Bonustracks sind zwei nette, rein instrumentale Stücke, die sieben Jahre später auf
Die andere Seite realisiert werden sollten, denen man allerdings den etwas unfertigen Charakter noch anmerkt. Trotzdem handelt es sich um eine begrüßenswerte Zugabe, die diesen Tonträger erfreulicherweise an die Grenze des Platzens bringt.
"Ausgeliefert" ist ganz sicher kein klassisches Konzeptalbum, verfügt aber dennoch über den berühmten 'roten Faden'. Das neue Cover passt hervorragend dazu - handelt es sich um einen Einblick in eine Psychiatrie oder einen Knast??
Wie schon gesagt: Die eindeutig rockigere Ausrichtung von "Ausgeliefert" kommt mir persönlich sehr zupass. Die poetischen Texte entbehren nahezu jeder Peinlichkeit, über die Kritiker deutschsprachiger Musik so gerne schwadronieren. Freunde von IQ samt den üblichen Verdächtigen dürfen hier gerne zugreifen!
Line-up:
Alexander Weyland (lead vocals, keyboards, piano)
Frank Woidich (organ, keyboards, backing vocals)
Bernhard Selbach (guitars, bass pedals, backing vocals)
Michael Dorniak (drums, bass, backing vocals, guitar solo - #2)

Additional Musicians:
Nina Weyland (guest vocals - #3,5)
Kuno Wagner (touch guitar - #9,10)
Tobias Hampl (guitar - #9,10)
Tracklist
01:Aufwärts (4:36)
02:Ausgeliefert (17:39)
03:Zu spät (6:05)
04:Peter und der Wolf (5:05)
05:Wandler (8:42)
06:Das Neue (5:37)
07:Navanita (5:20)
08:Am Abgrund (6:54)
Bonustracks:
09:Die Reise [instrumental part "Kein Zurück" 2004] (8:05)
10:Die Reise [early instrumental version 2004] (9:48)
Externe Links: