Bei den einen sorgt der Name Tribute für glänzende Augen und ruft Erinnerungen an unvergessliche Konzertereignisse Mitte der 80er Jahre im Norden Deutschlands hervor - davon zeugen zumindest viele Augen- und Ohrenzeugenberichte. Und bei den anderen ploppt ein großes Fragezeichen auf - könnte es sein, dass diese Band komplett an mir vorbeigegangen ist? Oh ja, das ist möglich! Fünf Jahre lang führte die Band ein reges Tourneeleben, vor allem im heimischen Schweden sowie in Deutschland und den Niederlanden. Irgendwann wurde es für jene, die nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, aber zunehmend leicht, von der Band niemals Notiz genommen zu haben. LPs wurden gehütet und gepflegt, in Insiderkreisen gehandelt und gelegentlich auf Tapes überspielt. Selbst die später aufgelegte CD-Version kursierte bald nur noch als Sammlerstück. Nun sind Tribute wieder leicht zu haben, in digital aufbereiteter Version, Sireena Records sei Dank.
"New Views" ist das Debütalbum der Band aus dem Jahr 1984 - aufgenommen in Münster, was die von jeher enge Bindung der Musiker zu Deutschland deutlich macht. Kreative Köpfe sind die beiden Bandgründer Gideon Andersson und Josef Rhedin, zwei Typen mit musikalischen Visionen und großen Fähigkeiten an vielen Instrumenten. Dag Westling und Per Ramsby sowie Anderssons Schwestern Lena und Nina komplettieren das Studio-Aufgebot. Wenn von Tribute die Rede ist, dann fällt immer wieder der Name Mike Oldfield. An ihm habe sich die Band viel eher orientiert als an Genesis, Yes & Co. Das stimmt. Aber nur teilweise. Wie sich rhythmische, harmonische und melodische Motive streng linear entfalten und zugleich vielstimmig in die Breite entwickeln - ja, da steckt viel Oldfield drin.
Doch gleich im ersten Stück, "Icebreaker" (wie treffend!) und im folgenden "Too Much At One Time" schwingt auch der Vibe anderer kontemporärer Machwerke mit. Die Alben "90125" und "Genesis" kommen mir in den Sinn. Ich schaue nach - beide sind von 1983, ein Jahr vor "New Views". Dass es so genau passen würde, hätte ich nun auch nicht gedacht! Aber gefühlt. Die Kompaktheit der Stücke (worunter die Komplexität nicht leidet) kann man sich sehr gut als Instrumentalteil epischer Symphonic Prog-Kompositionen vorstellen. Aber es gibt hier (fast) keinen Gesang - die Andersson-Schwestern benutzen ihre Stimme hier und da eher als zusätzliches Instrument, singen ohne Worte. Zusätzlich zum Flügel, zu Synthesizern, elektrischen und akustischen Gitarren, diversem Schlagwerk einschließlich Xylophon, Vibraphon, Marimba und - jawohl - Röhrenglocken. 'Tubular Bells'! Und es schließt sich der Kreis zu Herrn Oldfield.
Doch wie 'neu' sind nun Tributes "New Views"? "Icebreaker" ist auf jeden Fall ungeheuer infektiös. Der kristallklare Groove klingt nach nichts anderem außer nach 80ern. Manch einem mag es steril erscheinen - es ist Geschmacksache. Und manch einem mag es zu konstruiert wirken. Aber die Konstruktion ist ein Meisterstück der Klangarchitektur. Die Dur-Fanfaren der Keyboards schreiben fett gedruckte Schlagzeilen und die rhythmisch detailliert ineinander verquirlten Melodien, die von den Synthies über die Marimba zu den wortlosen schwesterlichen Stimmen wandern, liefern optimistische Poesie in zahlreichen Strophen. Man kann sich ein Lächeln der Glückseligkeit kaum verkneifen. "Too Much At One Time"? Behält das Tempo und die pulsierende Lebhaftigkeit des Openers bei, zeigt sich aber wesentlich gitarrenlastiger. Weniger (Prog-)Disco, mehr Hard (Rock). Die Variation des Lead-Themas sowie die beinahe jazzigen Solo-Spots sind große Kunst; und die gedoppelten Gitarren sorgen für diese speziellen, kribbelnden Momente, von denen natürlich noch reichlich folgen sollen ...
... zum Beispiel bei "A New Morning". Wir betreten einen völlig neuen Klangraum. Der Drive, der Druck, die Elektrizität - alles wie davongeweht. Eine akustische Konzertgitarre und der Feengesang Lena Anderssons lassen den Hörer bei geschlossenen Augen die Bodenhaftung verlieren. Tribute tragen uns davon in ein nebelverschleiertes schwedisches Naturidyll. Manch fein dosierter 'Flügelschlag' von Pianist Per Ramsby lässt den Morgentau glitzern; und das Querflötenspiel Nina Anderssons wie auch das Englischhorn Wolfgang Bernhardt-Holtbernds verleihen der zarten Unschärfe der malerischen Wehmut eine melodische Kontur. Wunderschön. Doch dann ist es wieder an der Zeit, Spannung aufzubauen ...
Welch ein Kontrast. "Climbing To The Top" führt uns in eine synthetische Welt. Es wird 'spaciger' - das Coverbild des Albums bekommt nun seinen musikalischen Ausdruck. Stoisch und beinahe trostlos pendeln die Synthesizer zwischen zwei Polen hin und zurück, auf und wieder ab. Fast wie ein Atmen. Ebenfalls im Jahr 1984 arbeiteten Rush auf "Grace Under Pressure" mit ähnlichen Atmosphären - kalt, aber nicht leblos. Ein mechanischer Bass-Puls wird immer lauter vernehmbar. Gitarren und Keyboards kommen hinzu und türmen mehr und mehr Spannung auf. Am Ende von Track vier, "Climbing To The Top", ist sie 'on top' angekommen. In gefühlt einer halben Sekunde zum sich nahtlos anschließenden Track fünf, "Unknown Destination", zerfällt jegliche Beklemmung und angespannte Nervosität. Interessant: Das Stück gibt als einziges auf dem Album keinen Autor an - 'Improvised', heißt es. Ein weltraumkühler Nachhall aus Bass und Synthies bereitet den Übergang zum großen Finale.
Dieses Finale heißt, wie das Album, "New Views", und beginnt mit einer knapp zehnminütigen Studie für zwei Akustikgitarren. Wie Josef Rhedin und Gideon Andersson einander hier befeuern ist handwerklich imposant und zeugt von großem musikalischem Instinkt. Es beginnt malerisch und endet virtuos und beinahe impulsiv. Es geht weiter mit einer Art 'Best Of' des ganzen Albums - aber ohne Reprisen, sondern mit neuen Gedanken und Motiven: prachtvoll-bombastische Fanfaren, ein afrikanischer Percussion-Part, Synthesizer-Experimente, sphärische Chöre und nicht zuletzt ein weiteres unwiderstehliches Ohrwurm-Thema für die Annalen des Symphonic Rock, das jeden Genre-Aktivisten mit der Zunge schnalzen lässt - egal, ob er nun Tribute kannte, kennt oder gerade kennen lernt.
Dabei sind und waren Tribute mit ihrem Album "New Views" gar nicht so ... 'innovativ'. Ihrer musikalischen Vision verleihen sie Leben im Geist ihrer Zeit. Möglicherweise erregten sie damit nur zeitweise Aufsehen. Doch sie verdienen einen ehrwürdigen Platz im Kanon der progressiv-symphonischen musikalischen Weltliteratur.
Und Gideon Andersson? Ist seit vielen Jahren zusammen mit Dag Westling fester Bestandteil der Band Quilty - irischer Folk made in Sweden!
Und Josef Rhedin? Studierte Komposition und hat sich einen Namen als Dirigent und Arrangeur im Bereich Klassik und Musicals gemacht. Mit den ABBA-'B's Björn und Benny brachte er "Chess" und "Mamma Mia!" auf die Bühne. Musik aus Schweden - so kurz sind manchmal die Wege.
Und Sireena Records? Will auch die anderen drei Tribute-Album noch einmal rausbringen. Wir freuen uns darauf.
Line-up:
Josef Rhedin (grand piano, synthesizer, marimba, syntharmonic orchestra, drums, acousstic guitar, DMX drum machine, choir)
Gideon Andersson (drums, bass guitar, guitars, electric guitar, Marrocan clay drum, choir)
Per Ramsby (synthesizer, grand piano, choir)
Nina Andersson (vibraphone, xylophone, vocals, choir, flute, marimbas)
Lena Andersson (timpanis, tubular bells, percussion, vocals, choir)
Dag Westling (choir, concert guitar, electric guitars)
Wolfgang Bernhardt-Holtbernd (english horn - #3)
Tracklist |
01:Icebreaker [Josef Rhedin] (5:25)
02:Too Much At One Time [Gideon Andersson] (5:49)
03:A New Morning [Gideon Andersson] (4:43)
04:Climbing To The Top [Gideon Andersson, Josef Rhedin, Dag Westling] (4:27)
05:unknown Destination [Improvised] (4:22)
06:New Views [Gideon Andersson, Josef Rhedin] (21:48)
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