Mit höfischer Anmut aus der Zeit König Ludwigs II. schmiegen sich die vier Balkone um die mit königlichen Stoffen überzogenen Wände des Theatersaales. Das Licht unzähliger Kerzenleuchter an den Emporen und eines imposanten Kronleuchters an der edlen Decke lässt die weißen Stuck-Verzierungen golden erscheinen. Über dem Vorhang prangt das güldene, bayerische Staatswappen. Unter dem Vorhang flachsen junge Leute mit langen Haaren und Motörhead-T-Shirts. Passt nicht zusammen? Passt doch zusammen! Dann nämlich, wenn Vanden Plas mal wieder Metal und Oper miteinander verschmelzen, wie an jenem Juliabend im renommierten Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz, der letzten Vorstellung von Christ 0.
Der Name Vanden Plas steht schon seit vielen Jahren nicht nur für Progressive Metal der Spitzenklasse, sondern auch für Theaterinszenierungen der rockigen Art. Vor allem am Kaiserlauterer Pfalztheater saßen Vanden Plas immer wieder im Orchestergraben und lieferten die musikalische Untermalung für diverse Rockopern, während Sänger Andy Kuntz auf der Stage als Hauptdarsteller fungierte. So wurden unter anderem die "Rocky Horror Picture Show" oder "Nostradamus" erfolgreich und mit Verlängerungen auf die Bühne gebracht. 2007 konnte Andy Kuntz sogar seine eigene, proggige Rockoper "Abydos" inszenieren.
Und dann knallten bei Vanden Plas schon wieder die Sektkorken: Grünes Licht für die Inszenierung des jüngsten, bandeigenen Konzeptalbums "ChristO" im Münchner Gärtnerplatztheater! Die Idee, eine "Graf von Monte Christo"-Adaption zu inszenieren, hatte Regisseur Holger Hauer, ein langjähriger Freund von Vanden Plas aus gemeinsamen Theaterprojekten, schon Jahre zuvor. So fand man schnell wieder zueinander. Zusammen haben Hauer und Andy Kuntz das Buch geschrieben, während Vanden Plas-Keyboarder Günter Werno als musikalischer Leiter die Songs passend arrangierte.
Und das Ergebnis ist in dramaturgischer und musikalischer Sicht eine Wucht. Das Opernhaus hat (progressiv) gerockt, und das zu einer Story, die auch für Weltliteratur-Laien überraschend gut verständlich aufbereitet ist. Kuntz und Hauer haben den komplexen Stoff von Alexandre Dumas gekonnt ausgedünnt. Aus der Geschichte um Intrigen, Rache und Vergeltung und was sie mit einem Menschen anrichten können, wurden zahlreiche Nebenfiguren gestrichen und Identitäten sowie Handlungsstränge abgewandelt.
Am Tag seiner Hochzeit mit der hübschen Mercedes wird der anerkannte Seefahrer Edmond Dantès entführt und wegen eines ihm angehängten Verbrechens in den Kerker geworfen. Die neidischen Villefort und Danglars machen auf seine Kosten Karriere - der dritte Intrigant, Fernand Mondego, heiratet später die gutgläubige Mercedes. Nach 14 Jahren kann sich Edmond Dantès befreien und startet als Graf von Monte Christo seinen Rachefeldzug. Hier heißt die Hauptfigur ChristO - 'Christ Zero' gesprochen, eine Anspielung auf den Spagat zwischen dem scheinbar gottgegebenen Recht auf Rache und dem Verlust jeglichen Glaubens.
Ein instrumentaler Mix verschiedener "Christ 0"-Melodien eröffnet die Vorstellung. Vanden Plas spielen ohne Orchester, aber mit punktueller Unterstützung des Theater-Chores, der schon zu Beginn mit den vom Opener des Albums bekannten "Christ Zero"-Gesängen für Gänsehaut sorgt. Auch optisch startet die Rockoper vielversprechend. Hinter einem halbtransparenten Vorhang bereiten sich Monsieur Dantès und Mercedes auf ihre Hochzeit vor, während auf den Vorhang Dantès' schreibende Hand projiziert wird. Doch der Liebesbrief aus der Feder des Bräutigams wird zum gefälschten Abschiedsbrief, der die Handschrift der Verschwörer trägt...
Der Reigen von Vanden Plas-Stücken beginnt mit dem straighten "Somewhere Alone In The Dark", bevor "Welcome To The Feast" den Zeitsprung in der Handlung vollführt. Es ist eines von drei Stücken, die für die Aufführung neu geschrieben wurden. In diesem Fall ist es ein Chorstück mit viel Betrieb auf der Bühne - einer der Wohltätigkeitsabende, der vom Mord an Fernand Mondego jäh unterbrochen wird, dem ersten Lebenszeichen von Edmond Dantès alias ChristO nach 14 Jahren. Neu ist auch "Hurricanes And Butterflies" - ebenfalls ein vielstimmiger Bombast-Mitsinger - und "Isn't It A Wonder", das Duett der jungen und verliebten Albert und Valentine - sehr Musical-like und kitschig, aber wunderbar gesungen und außerdem ein Ruhepunkt zwischen Gitarrenriffs und Double Bass.
Im Laufe des Stücks werden alle Songs vom "Christ 0"-Album dargeboten, und das in ungewohnter Form. Denn hier trifft Heavy Metal auf Operngesang. Neben manchen Soloauftritten kommt es vor allem zu einigen Duetten und Terzetten, bei denen abwechselnd und zusammen gesungen wird. Die Stimmgewalt der Schauspieler ist pracht- und kraftvoll, nur an zwei, drei Stellen wäre weniger vielleicht mehr gewesen, wenn mehrere der Opernstimmen und Andreas Lills Double Bass zusammen doch ein bisschen viel des Guten sind.
Das ist aber ganz schnell wieder vergessen bei den Höhepunkten der Aufführung, allen voran dem dramatischen Showdown zwischen ChristO und Villefort und ihrem Duett - oder besser Duell - zu den Klängen des Titelsongs "Christ 0". Trotz akrobatischer Kampfszenen bleiben Andy Kuntz und Philippe Ducloux stimmlich völlig auf der Höhe, fantastisch und dramatisch! Solistische Glanzpunkte setzen Andy Kuntz beim großartig gesungenen "Postcard To God" (mit Chor-Unterstützung!) und Chris Murray als Inspektor X bei "Wish You Were Here".
Dieser Inspektor X ist übrigens ChristO stets auf den Fersen, bis er sich als Alter Ego des Rachemörders selbst entpuppt - Chris Murray spielt diese geheimnisumwobene Figur mit ihrer psychischen Zerrissenheit absolut brillant. In einem Albtraum wird 'X' von drei verkleideten Figuren heimgesucht, hinter deren Masken die drei Intriganten stecken. Sie singen in einem bärenstarken Terzett die heftig variierte Nummer "Judas" vom allerersten Vanden Plas-Album. Noch mehr Vanden Plas, nämlich von "Far Off Grace" gibt's mit der traumhaften Ballade "I Don't Miss You", die als Solo von Agnes Hilpert als Mercedes und später noch mal im Duett mit Andy Kuntz in ungeahnter Pracht erklingt und einem eiskalte Schauer über den Rücken jagt.
Eine dritte 'alte' Vanden Plas-Nummer ist "Free The Fire" - jawohl, ausgerechnet ein Speed-Metal-Kracher! Villefort bringt damit seine ganze Boshaftigkeit zum Ausdruck, und Schauspieler Philippe Ducloux beweist sich zum anerkennenden Erstaunen jedes Headbangers als Metal-Goldkehlchen. Diese Szene ist auch optisch ein Highlight und ein Beispiel für zahlreiche, eingebaute Gags. Villefort ist mit zwei Prostituierten zu Gange und wirft sich einen Mantel über, als Mercedes auftaucht. Als er die Beine übereinander schlägt, offenbart sich dazwischen zur allgemeinen Erheiterung des Theaterpublikums ein Leder-String mit Nieten...
Gepusht wird der furiose "Free The Fire"-Auftritt durch die imposante Projektion von Flammen im Hintergrund - nur eines von vielen Beispielen für optische Leckerbissen. Die Bühnenbilder wie der Innenraum eines alten Seeschiffes oder ein modriger Holzverschlag, in dem ChristO haust, sind extrem aufwändig und detailverliebt gestaltet. Die sind viel mehr als nur Kulisse, lassen den Zuschauer in die Atmosphären eintauchen. Die Requisiten werden einfallsreich aufgepeppt, zum Beispiel durch eingebaute Fernsehbildschirme, auf denen die Handlungen durch Szenen aus der Vergangenheit begleitet werden. Oder durch eine gläserne Badewanne, in der ChristO sein niedergestochenes Opfer Danglars wirft und anschließend anzündet - zum Gesangssolo von Andy Kuntz bei "Fireroses Dance" 'tanzen' damit tatsächlich Flammen auf der Bühne. Nicht zu vergessen sind auch die phantasievollen Makeups und Kostüme: das zombiehafte Antlitz von ChristO, die drei schaurigen Fantasiegestalten im Albtraum von Inspektor X oder der symbolischerweise halbseitig kahle Kopf des Schurken Villefort.
Nach gut zwei Stunden Netto-Spielzeit lässt sich das sehr gemischte Publikum - gut 800 Leute im ausverkauften Haus - nicht lange zu stehenden Ovationen bitten. Etwas unangenehm fielen zuvor manche der jungen Zuschauer, teilweise auch Schulklassen auf, die sich nicht immer eines Theaters angemessen diszipliniert verhielten. Das ist aber wohl der Preis, den man zahlen muss, wenn junge Leute ins Theater gelockt werden. Das jedenfalls gelang mit großem Erfolg, denn "ChristO" konnte sowohl ganz junge Besucher wie auch zahlreich anwesende Metalfans jedes Alters und die 'klassischen' Theaterbesucher und Abo-Besitzer begeistern. Ob man eher dem einen oder dem anderen zugetan ist - der technisch filigrane und kompromisslos hart zur Sache gehende Prog Metal und die optischen und akustischen Reize einer Oper haben gerade im Zusammenspiel überzeugt. Und Lust gemacht auf weitere Rockopern der Marke Vanden Plas!
Wir danken Frau Anke Michaelis für die unkomplizierte Akkreditierung und die Bereitstellung der Bilder.
Line-up:
Andy Kuntz (ChristO)
Chris Murray (Inspektor X)
Agnes Hilpert (Mercedes)
Philippe Ducloux (Villefort)
Sven Fliege (Albert Mondego)
Milica Jovanovic (Valentine Villefort)
Thomas Peters (Danglars)
Dirk Lohr (Faria)
Marcus Wandl (Fernand Mondego)
Vanden Plas:
Günter Werno (keyboard)
Stephan Lill (guitar)
Thorsten Reichert (bass)
Andreas Lill (drums)
Bilder vom Konzert
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