Bekanntermaßen bin ich (gelinde gesagt) - den Heavy Metal mal ganz außen vorgelassen - kein großer Fan, wenn es um die Musik und Bands der achtziger Jahre geht. Aber es gab glücklicherweise auch die berühmten Ausnahmen von der Regel, wobei ich als einziges Beispiel hier einfach mal The Pogues nennen möchte. Eine weitere Ausnahme waren drei junge Männer aus dem US-Bundesstaat Wisconsin, die sich Violent Femmes nannten und ihr gleichnamiges Debütalbum im Jahr 1983 auf die Menschheit losließen und damit für jede Menge Aufruhr sorgten. Zehn Songs und etwas mehr als 36 Minuten brachten damals einen dermaßen frischen Wind in die Szene, dass sich danach ganze Heerscharen junger Musiker aufmachten, es den 'Gewalttätigen Frauen' gleich zu tun.
Die Tracks wurden bei weitem nicht von Leuten im Alter von '40+' geschrieben oder aufgenommen und bestimmt kommen sie gerade deshalb sehr jugendlich und frisch wie ungestüm um die Ecke. Selbst wenn man den Protagonisten ihr damaliges Alter - rein schon aufgrund der Texte - deutlich anmerkt, verzaubern die gebrachten Stücke dennoch so ungemein, dass es einfach nur mitreißend ist. Und dieses Ergebnis wurde neben dem Gesang lediglich mit einer Akustikgitarre, einem Bass (je nach Titel entweder akustisch oder elektrisch) und einem Mini-Drumset erreicht. An oberster Stelle und auf keinen Fall vergessen werden sollte allerdings auch das schlicht und ergreifend fantastische Songwriting von Gordon Gano.
Von einer rumpeligen Snare-Drum wird zum Beispiel "Prove My Love" eröffnet, bevor die beiden weiteren Instrumente (die Gitarre ist hier ausnahmsweise mal eine elektrische) einfallen und Gordon Gano dann seine höllisch eingängigen Gesangsmelodien drüberlegt. So ausgeklügelt die Kompositionen auch sind, so rau und dreckig wurden sie (ganz bewusst) eingespielt. Das hatte und hat nach wie vor einen so unbändigen Charme, wie es das Lausbuben-Lachen eines jeden erwachsenen Mannes immer noch aufblitzen lassen dürfte (vorausgesetzt, er hat den vor 'piss and vinegar' in sich strotzenden 18-jährigen in seinem Inneren noch nicht verloren und begraben).
Eröffnet wird die Scheibe und somit "Blister In The Sun" mit einem flotten Bass-Riff, zu dem sich sehr schnell die Drums wie Akustikgitarre und der schnoddrige, fiebrig-gelangweilte Gesang von Gano gesellt. Explodierend schließlich in einem (selbstverständlich) grandios eingängigen Refrain, der sowohl Verzweiflung wie auch Entschlossenheit und anspornende Wut in die Waagschale wirft. Gibt es ein geileres Verzweiflungs-Herzschmerz-Epos von einem angehenden Zwanzigjährigen als "Please Do Not Go"? Vielleicht schon, was aber die Leistung der Violent Femmes auf diesem Track nicht schmälern soll. Für die Melodieführung ist hier neben dem Gesang allein der Bass zuständig, der einen Höllenjob verrichtet und dessen melodisches Pumpen, Ächzen und Stöhnen ganz tief aus dem Inneren des Herzens und der Seele zu kommen scheint.
Schlimm genug falls, aber selbst wenn es sonst nichts wäre, was den Hörer bei dem mitreißenden "Gone Daddy Gone" hinter dem Ofen hervorlocken würde, dann ist es zumindest das enthusiastisch eingespielte und ganz leicht an die Musik von Frank Zappa erinnernde Xylophon, das diesen Track zu einem besonderen macht. Oh Mann, und dann der Rausschmeißer "Good Feeling", bei dem neben den anderen Instrumenten ein sehr schönes Piano mit eingebunden wurde. Sehr melancholisch geht es hier zu, dafür aber auch zum Sterben schön melodisch. Immer wieder werden mir bei dieser Nummer längst vergossene (und zum Glück danach wieder vergessene) Tränen aufgrund ehemaliger (damals scheinbarer) Göttinnen erneut in Erinnerung gerufen. Ein grandioser Abschluss eines grandiosen Albums.
Und sonst: Das coole "Kiss Off" ist ein jugendlich-beherzter, kerzengerade aufgestellter Mittelfinger in Richtung all der Dinge, die einen in diesem Alter (und ganz sicher auch danach) nun einmal so ankotzen. Der Grund, warum man sich so locker-leicht in diese Tracks reinversetzen kann, ist, dass man trotz all der Wut und dem Trotz die allgegenwärtige Unsicherheit und Verwirrung des Protagonisten beim Anhören der Stücke nahezu physisch greifen kann. Als Beispiel dazu vielleicht auch nur noch ein kurzer Auszug aus "Add It Up":
»Why can't I get just one kiss?
why can't I get just one kiss?
There may be some things that I wouldn't miss
but I just look at your pants and... I need a kiss...
Why can't I get just one fuck?
Why can't I get just one fuck?
I guess it's got something to do with luck
But I waited my whole life for just one...
Day after day, I get angry and I will say
That the day is in my sight
When I'll take a bow and say goodnight...«
Als mir das Debütalbum von Violent Femmes ca. 1988 (als ich etwa in demselben Alter wie die Protagonisten war, als diese es aufnahmen) zu Gehör kam, ist es schlichtweg in meinem Kopf und meiner Seele explodiert. Und bis zum heutigen Tag hat es nichts von seiner unbändigen Power, von seiner Getriebenheit und seinem ohnmächtigen Protest, den diese entscheidenden Jahre im Leben eines jeden Menschen so mit sich bringen, verloren.
Und selbst wenn ich kein weiteres (der noch folgenden sieben) Studioalben dieses Trios kenne, ist das Debüt der Amerikaner auch dreißig Jahre nach seiner Aufnahme immer noch ein sehr gut behüteter Schatz in meinem Plattenregal und eine CD, die garantiert auch in den nächsten Dekaden keinen Staub ansetzen wird.
Die Band Violent Femmes hat sich im Jahr 2009 zum zweiten Mal aufgelöst.
Line-up:
Gordon Gano (guitars, violin, lead vocals)
Brian Ritchie (acoustic & electric bass, xylophone, background vocals)
Victor De Lorenzo (drums, background vocals)
With:
Mark Van Hecke (piano - #10)
Tracklist |
01:Blister In The Sun
02:Kiss Off
03:Please Do Not Go
04:Add It Up
05:Confessions
06:Prove My Love
07:Promise
08:To The Kill
09:Gone Daddy Gone
10:Good Feeling
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