Der große Erfolg der Tiroler Band Frei.Wild ist natürlich auch bis in den Osten unserer Republik durchgedrungen, so dass zurzeit eine Welle an neuen bzw. längst vergessenen Oi!-/Street Punk- oder meinetwegen auch Deutschrock-Formationen aus dem Boden schießt und ihr Stück vom Kuchen abhaben will. Speziell unter dem in Szenekreisen doch eher ungeliebten Deutschrock-Banner versucht so mancher Proll und Skinhead, sich ein musikalisches Standbein aufzubauen.
Daher verwundert es nicht, dass auch die Torgauer Zwei-Mann-Formation Vogelfrei - deren Ursprünge übrigens im Jahr 1992 liegen - wieder Blut geleckt hat und mit einem neuen Studioalbum in den Startlöchern steht - ganze zwölf Songs geht es hier "Der Dämmerung entgegen", denn Mastermind Ricky Alex kommt nach längerer Ruhepause (das letzte Album "Zwischen Sehnsucht und Rebellion" erschien 2004) mit frischen Liedern ums Eck.
Jedoch waren und sind Vogelfrei nicht mit stumpfem Skinhead-Rock gleichzusetzen. - Dieses Prädikat hat auf Herrn Alex nie passen wollen. Zu ausgeklügelt und filigran sind seine Texte und Songstrukturen, als dass hier ausgelatschte Oi!-Klischees bedient werden können. Und so kann der altbekannte Szene-Schlachtruf »Oi! Oi! Oi!« auf "Der Dämmerung entgegen" auch kein einziges Mal vernommen werden, obwohl die Optik der Musiker durchaus passend ist.
Stattdessen sind die zwölf Songs wieder einmal sehr rockig ausgefallen und die Refrains bestechen oftmals durch eine Dramaturgie. Punk-Berührungspunkte muss man somit schon mit der Lupe suchen. Auch der tiefe, vollmundige, immer leicht melancholische Gesang von Ricky Alex ist so erfrischend anders als das übliche, dilettantische Shout-Einerlei manch anderer Glatzen-Band. Zudem wird der Vogelfrei-Sound dann und wann gar mit Mundharmonika (!) aufgewertet, was den Mut zum Blick über den Tellerrand ganz besonders verdeutlicht.
Somit sollte es niemanden verwundern, dass Ricky Alex in seinen tiefsinnigen Texten glücklicherweise Abstand von standardisierten Szene-Plattitüden nimmt und stattdessen lieber über persönliche Themen singt. Einziger Wehrmutstropfen hierbei: So gelungen auch der Inhalt der Texte ist, gefallen mir die teils etwas holprigen Strophen nicht immer. Dann und wann hätte ich mir eine passendere Wortwahl gewünscht, außerdem hätten die Verse hier und da prägnanter auf das musikalische Fundament geschneidert werden können.
Fazit: "Der Dämmerung entgegen" ist trotzdem eine solide Rückmeldung von Ricky Alex. Wer sein Schaffen bisher geliebt hat, wird auch diese 40 Minuten Musik wieder in sich aufsaugen. Das Album ist in meinen Ohren dabei ganz klar ein 'Grower', sprich: es wird besser, je öfter man wieder auf Play drückt. Straßenrock-Freunde, die ihren Horizont aus aktuellem Anlass mit Vogelfrei erweitern wollen, sollten eventuell also etwas Geduld mitbringen und zudem meine Anspieltipps beherzigen: "Wer wir sind", "In Szene gesetzt", "Niemand", "Ein Platz für uns", "Solange du hier bist".
Anmerkung: Da Bands wie Vogelfrei von so manchem Zeitgenossen gerne vorverurteilt werden, stelle ich abschließend explizit klar, dass diese Musik mit braunem Gedankengut nichts zu tun hat. Leider muss man so etwas in hierzulande ja immer wieder deutlich machen…
Line-up:
Ricky Alex (Gesang, Gitarren)
Carsten Müller (Schlagzeug)
Tracklist |
01:Wer wir sind (3:52)
02:In Szene gesetzt (3:08)
03:Der Dämmerung entgegen (3:11)
04:Niemand (3:39)
05:Wir flogen aus (4:15)
06:Bis zum letzten Atemzug (3:29)
07:Ein Platz für uns (3:53)
08:Mit jedem Schritt (3:56)
09:Sie kriegen uns nicht (2:39)
10:Solange du hier bist (3:16)
11:Eine Zeit im Überfluss (3:49)
12:Lass los (3:35)
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