Musik soll Spaß machen! Darüber zu schreiben erst recht. Ohne Spaß am eigenen Treiben gäbe es weder so manches Musikmagazin, noch so manche Band.
Paradebeispiel dafür sind Bill Wyman's Rhythm Kings, wo mein geschätzter Kollege Markus bereits völlig zu Recht anmerkte: »Dieser Band zuzuhören, macht einfach nur Mega-Spaß …«
Jau, nicht nur uns Zuhörern/Zuschauern, sondern auch die Protagonisten selbst sehen sich in einem lustvollen Spaßprojekt und kommen entsprechend rüber.
Nachzuhören/Nachzusehen gibt es das jetzt auf der brandneuen DVD "Let The Good Times Roll", die gar nicht so neu ist, bisher aber nur in Großbritannien herausgekommen war (2004), und der Titel ist selbstredend Programm.
Die "Altherrencombo" des ehemaligen Stones-Bassisten gibt es bereits seit 1996, als Bill Wyman, vermutlich dem Rentnerdasein überdrüssig (und seiner damaligen, ich glaube blutjungen Frau, auf die Nerven gehend), zusammen mit seinem alten Buddy Terry Taylor alte Verbindungen wieder aufleben ließ.
Terry Taylor spielte Ende der 60er/Anfang der 70er bei einer Formation namens Tucky Buzzard, deren erste beiden Alben Bill Wyman produzierte (ein drittes Album unter seiner Regie wurde in Spanien aufgenommen und auch nur dort veröffentlicht - "Coming On Again", 1972). Diese neuerliche Zusammenarbeit mit Terry Taylor entwickelte sich mithin zum Startschuss für Bill Wyman, mit Freunden und Gleichgesinnten endlich dem zu frönen, was er immer schon machen wollte, aber zur Gänze nicht in den Kontext der Institution Rolling Stones passte: Blues, Jazz, Skiffle, Rockabilly, Country, Gospel, Soul, Swing, Jump & Jive, Boogie & Woogie, Roots. Und das ohne jegliche kommerziellen Zwänge. Er deutete diese Ambitionen ja bereits mit dem Willie & The Poor Boys - Projekt an, aber mit seinen Rhythm Kings schwelgt er nun endgültig ganz tief und doch erstaunlich lebendig im Schmelztiegel der genannten Musikstile, sich vornehmlich in den 40er, 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts suhlend.
So kommen wir in den Genuss der gesamten Bandbreite von Ray Charles ("I Got A Woman"), Gene Vincent ("Race With The Devil"), Chuck Berry ("You Never Can Tell"), Mose Allison ("Days Like This"), Rufus Thomas ("Jump Back"), Amos Milburn ("Chicken Shack Boogie"), über Screamin' Jay Hawkins ("I Put Spell On You"), Jerry Byrne ("Lights Out"), Jackie Wilson ("Baby Workout"), Mel Tormé ("Comin' Home, Baby"), Percy Mayfield ("Hit The Road Jack", bekannt durch Ray Charles), Joe Liggins ("Pink Champagne") bis hin zum fast unvermeidlichen Willie Dixon ("Down In The Bottom"). Und damit sind noch längst nicht alle genannt!
Ergänzt wird der Reigen durch einige Wyman/Taylor - Kompositionen, die sich stilistisch hervorragend einfügen und sich definitiv nicht als Neuzeitsongs zu erkennen geben.
Aufgeteilt ist die DVD in zwei verschiedene Konzerte, die beide nicht vollständig enthalten sind, dafür aber auch keine Überschneidungen produzieren.
"Rockin' The Roots" wurde im Lowry (Manchester) mitgeschnitten und gefilmt, wobei ich hätte schwören können, dass es sich dabei um die Londoner Royal Albert Hall handelt - verblüffende Ähnlichkeiten. Dagegen entstand "Let The Good Times Roll" in Bournemouth (Pavilion), einem meiner schwachen Erinnerung nach sehr beliebten, an Englands Südküste gelegenen Seebad. Entsprechend schaut auch wirklich das Publikum aus, lauter Bingo-Damen mit grauer Einheitsdauerwelle und Herren mit schütterem Haar, die vermutlich lieber die diversen Penny-Automaten bevorzugen.
Wie nicht anders zu erwarten, rührt sich im Publikum trotz ultimativer Fußwippmusik (bei der Eröffnungssequenz dieser DVD sehen wir konsequenterweise nichts als wippende Füße - "Rockin' The Roots"-Konzertteil) lange gar nichts, bis Neumitglied Mike Sanchez (Ex- Big Town Playboys) als absolute Idealbesetzung (ersetzt Gary Brooker - Procol Harum- an den Tasten und als Sänger) die Bühnen-Sau raus lässt und uns allen ein Geheimnis verrät ("Tell You A Secret"). Als Götz Alsmann - Variante für den Jump 'n' Jive kommuniziert er mit dem Publikum, begibt sich mitten hinein in selbiges, bringt solche Frotzeleien wie »Anyone here under 50?«, gabelt vollkommen zufällig (natürlich - grins) zwei Jungladies um die 20 auf, damit diese mit ihm zusammen auf der Bühne die Hupfdohlen geben dürfen, und ansonsten wälzt er sich extrovertiert im Bühnenstaub, nicht ohne dabei filmreife Grimassen zu schneiden. Musikalisch wird dabei ein kongeniales Medley aus "I Wish You Would" ( Yardbirds), "Boom, Boom, Boom" ( John Lee Hooker) und "Shake Your Hips" ( Slim Harpo) zum Besten gegeben. Anschließend kochen die arg angestaubten "Kurgästegemüter" und es gibt Standing Ovation.
Daraufhin kommt Bill Wyman allein auf die Bühne zurück und zelebriert eine 'face by face' Vorstellung seiner fantastischen Band. Nacheinander werden ausgesprochen launig die einzelnen Mitglieder gehuldigt, Graham Broad - »our answer to Burt Lancaster«-, Frank Mead & Nick Payn als personifizierte Hörner, Terry Taylor als 'no name' in der Truppe, Mike Sanchez als Vorschlag vom 'Kiddies-Minister', Albert Lee als vermeintlich schwieriges Gitarristengenie, Beverley Skeete als letztes Kleeblatt der Fourplays und schließlich Georgie Fame als Grandsignore der Orgel, was dieser allein schon damit dokumentiert, dass er bei den Konzerten der Rhythm Kings mit seiner alten, riesigen Hammond auf einem Podest über allem und allen thront.
Insgesamt überrascht mich Bill hier als verschmitzter Humorist, der seine eigene Person aber sehr bescheiden zurückhält. Ein Brüllen kann ich mir nicht verkneifen, als Beverley Skeete zu den furchtbar schrägen und schiefen Tönen von "Satisfaction" Bill Wyman höchstpersönlich vorstellt und dieser dann grinsend kundtut, dass ja nun alle wüssten, warum seine Band keine Stones-Songs im Set habe. Anschließend bricht Georgie Fame in wildes Hühnergegacker aus und die Band legt mit einem fulminanten "Chicken Shack Boogie" als Zugabe los.
Damit sind die absoluten Höhepunkte geschildert, was aber nicht bedeutet, dass der Rest langweilig wäre. Oh nein, hier sind absolute Spitzenkönner am Werk, denen der Spaß am eigenen Tun jederzeit deutlich anzumerken ist.
Neben dem Unterhaltungstalent Mike Sanchez, der nebenbei bemerkt vokalistisch und an den Tasten eine hervorragende Figur macht, ragt vor allem Albert Lee heraus, der speziell bei fetzigen Titeln wie "Lights Out" oder "Tear It Up" deutlich unter Beweis stellt, warum er zu den besten britischen Rock'n'Roll-Rockabilly-Hillbilly-Countryrock - Gitarristen zählt, wenn nicht sogar der Beste überhaupt ist. Immerhin ist er 'sieben Meilen gegen den Wind' herauszuhören und brilliert mit unheimlich charakteristischen Griffbrettläufen. Aber auch alle anderen geben sich keinerlei Blöße und tragen zu einem unheimlich stimmigen Gesamtkunstwerk bei.
Worin nun allerdings ein (musikalischer) Unterschied zwischen "Rockin' The Roots" und "Let The Good Times Roll" liegen soll, entzieht sich meiner Kenntnis, jedoch geht es bei Ersterem insgesamt schmissiger zu.
Ergänzt wird das Paket durch einen stimmungsvollen und informativen 'On The Road' - Film, der die Band on tour zeigt, quasi als Familienunternehmen in einem großen Doppeldeckerbus und fast immer in bester Laune.
Unter anderem erfahren wir dabei, dass Bill Wyman für dieses Projekt seinen Bassgitarrenstil grundlegend geändert hat. Bediente er sein Instrument vormals eher wie eine normale E-Gitarre, so klingt er nun so, als würde er Kontrabass spielen. Ich wollte es erst nicht glauben, aber beim Abspielen der auch klanglich hervorragenden DVD war es nicht zu überhören - bei geschlossenen Augen hätte ich tatsächlich auf einen Kontrabass in der Band getippt.
Fazit:
Diese DVD wendet sich wohl tatsächlich eher an eine 50+ Generation und wird garantiert auch denen gefallen, die bereits die Swing-Ära miterlebt haben.
Aber eigentlich sollte hier jeder Liebhaber/jede Liebhaberin guter, handgemachter Rockmusik ein Ohr/ein Auge riskieren. Denn einen besseren Anschauungsunterricht für Roots-Musik im eigentlichen Sinne kann es gar nicht geben!
Line-up:
Bill Wyman (bass/vocals)
Albert Lee (guitar/vocals)
Mike Sanchez (electric piano/vocals)
Terry Taylor (rhythmguitar/vocals)
Frank Mead (horns/woodwind/harmonica)
Georgie Fame (organ/vocals)
Beverley Skeete (vocals)
Nick Payn (sax/flute/harmonica)
Graham Broad (drums/percussion)
Tracklist |
Concert One - Rockin' The Roots; Gesamtzeit 45:00
01:I Got A Woman
02:Jitterbug Boogie
03:Jump, Jive and Wail
04:Baby Workout
05:Kiddio
06:Down In The Bottom
07:Comin' Home, Baby
08:Flatfoot Sam
09:Real Wild Child
10:Lights Out
11:Tear It Up
Concert Two - Let The Good Times Roll; Gesamtzeit 75:00
12:You Never Can Tell
13:Mule Skinner Blues
14:Days Like This
15:Jump Back
16:I'll Be Satisfied
17:Race With The Devil
18:Hit The Road Jack
19.Pink Champagne
20:I Put A Spell On You
21:Tell You A Secret
22:Chicken Shack Boogie
Special Feature - On The Road; Gesamtzeit 30:00
|
|
Externe Links:
|